Interview

Anti-Flag: „Wir schlagen mit unserer Musik gegen eine Mauer der Lügen“


In den Song des neuen Albums 20/20 VISION sprechen Anti-Flag, eine der beständigsten Punkrock-Bands der Welt, Klartext – vor allem über US-Präsident Donald Trump. Ein Gespräch mit Gitarrist Justin Sane und Sänger Chris #2 Barker.

Seid ihr eine Art Bob Dylan des Punk-Rock?

Chris #2 Barker: Irgendjemand hat mir mal gesagt, mit euren Texten klingt ihr wie Woodstock-Hippies. Ich glaube, der Unterschied ist: Bob Dylan war ein Poet und wir stecken den Finger in die Wunde. Ich wäre sehr gerne ein Poet, aber ich bin geschickter darin aufzuzeigen, was los ist in der Welt und zu fragen: Was tun wir?

Aber leben Amerikaner nicht nach dem Grundsatz: Wenn du Erfolg haben willst, zeig nicht mit dem Finger auf irgendwen oder irgendetwas?

Barker: Da hast du Recht. Es ist viel einfacher, Menschen dazu zu bringen, sich auf deine Kunst einzulassen, wenn sie nicht vollständig auf sie zugeschnitten ist. Bob Dylan ist ein beängstigendes Beispiel dafür. Die Interpretationen seiner Songs sind so weitreichend, dass sie beinahe Platz für alle Menschen bieten. Wir würden uns selbst belügen, wenn wir das versuchen würden. Die Kunst, die mich am meisten angezogen hat, ist eine immer ehrliche Kunst, geradeaus und direkt.

„Donald Trump ist für den Wiederaufstieg des globalen Faschismus verantwortlich“

Aber ihr schafft euch damit viele Feinde.

Barker: Manchen ist es egal, ob die Leute etwas missbilligen oder nicht, und genau das hat uns zu dem gemacht, was wir sind. Wir setzen uns ein. Auf jeder einzelnen Platte tragen wir das mit uns herum, was die Leute beschäftigt. Wir haben immer davor gewarnt, dass man nicht wirklich frei ist, wenn man nicht für die am meisten Ausgegrenzten und Unterdrückten eintritt. Diese Sache mit Donald Trump ist anders als alles, was wir sonst aus der Politik kennen. Er wird in die Geschichte eingehen als derjenige, der für den Wiederaufstieg des globalen Faschismus verantwortlich ist. Für Menschen, die wirtschaftlich leiden. Ein Präsident, der Rassismus, Sexismus und Homophobie als Mittel seiner Macht eingesetzt hat. Wir wollten sicherstellen, dass wenn die Leute eines Tages fragen, was die Kunstcommunity getan hat, um sich gegen ihn zur Wehr zu setzen, jemand unsere Platte in der Hand hält und sagt: Zumindest gab es da diese vier Jungs aus Pittsburgh, die gerufen haben: „Fuck this guy!“

„Auch wenn es keine politische Musik ist, Musik ist trotzdem politisch“

Kann Musik eine politische Bewegung sein?

Barker: Das möchten wir zumindest sehr gerne glauben. Das geht nicht über Nacht, das ist uns klar. Als wir 1996 angefangen haben, hatte die Regierung in Pittsburgh eine große Kampagne gestartet und junge Menschen für die Armee angeworben. Wir haben mit unserer ersten Platte versucht, sie davon abzuhalten und zu überzeugen, kein Land zu unterstützen, das seinen wirtschaftlichen Erfolg auf Krieg aufbaut. Das ist uns bei ziemlich vielen gelungen. Punk-Rock, oder die kulturelle Bewegung, wie du es nennst, sorgt dafür, dass die Kids Fragen stellen, wenn sie mit Mom und Dad beim Abendessen zusammensitzen.

Justin Sane: Die Musik bringt Leute mit unterschiedlichen Ansichten zusammen. Manche werden bei einem Rockkonzert vielleicht zum ersten Mal auf Leute treffen, die völlig anders sind als sie. Spaß an einer Sache zu haben, an der auch sie Spaß haben, bringt sie zueinander. Das kann Barrieren niederreißen. Auch wenn es keine politische Musik ist, Musik ist trotzdem politisch.

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Aber sollte Musik nicht eher zum Dialog anregen? Diskutiert ihr mit Trump-Anhängern?

Barker: Am Erntedanktag war ich bei meiner Familie in einer kleinen Stadt mitten in Pennsylvania. Das ist ein Trump-Bundesstaat, und große Teile meiner Familie haben Donald Trump tatsächlich gewählt. Natürlich musste ich mit ihnen über dieses neue Album diskutieren. Sie haben akzeptiert, dass ich es ausspreche, wenn ich Rassismus irgendwo erkenne. Das habe ich sogar bei meiner Mutter einmal getan, als sie in meiner Gegenwart rassistische Dinge gesagt hat. Ich habe versucht, ihr zu erklären, dass man das in der heutigen Zeit einfach nicht mehr sagt, und ich glaube, sie hat das verstanden. Meine Mutter ist eine italienische Immigrantin, sie kam nach Amerika als sie 13 war. In ihrer damaligen Kultur wurden Dinge akzeptiert, die heute nicht mehr gehen, weil sie deutlich rassistisch sind. Aber das muss man ihr sagen.

Wie bekommen ihr Trump-Anhänger dazu, euch zuzuhören?

Barker: Indem wir Freundlichkeit ihnen gegenüber demonstrieren. Ich zeige ihnen zum Beispiel Bilder und sage: Schaut her, so sieht es in einem Flüchtlingslager in Frankreich aus. Oder Fotos aus Afrika, als wir dort mit einer Organisation Brunnen gebaut haben. Sie müssen erst ein Bild von der Welt bekommen, bevor sie einschätzen können, wie verletzend die Wortwahl Trumps dort und anderswo aufgenommen werden muss.

Habt ihr Erfolg damit?

Barker: Ich hatte erwartet, dass den meisten viel schneller die Augen aufgehen würden. Ich hätte nicht gedacht, dass das länger als ein Jahr dauert.

Sane: Es gibt ein paar Leute, an die kommst Du nicht ran. Sie glauben ihm einfach alles, jedes Wort. Ihnen gefällt alles, was er tut. Du kannst nicht mehr machen, als es immer und immer wieder zu versuchen, aber ich halte einige für verloren.

Barker: Alleine Trumps Einstellung zum Klimaschutz. Ist das nicht schrecklich? Aber weiß du was: Du brauchst nicht jeden, um auf Elektroautos umzusteigen, wir brauchen nur die meisten. Dann können wir sagen: Fuck him!

Wird das Impeachment-Verfahren Erfolg haben?

Sane: Ich hatte fest damit gerechnet, man würde Trump aus dem Amt jagen, als herauskam, dass er an der Grenze Kinder mit Gewalt von ihren Eltern getrennt hat. Er erklärte auf Twitter, warum er sich genötigt sah, so etwas zu tun. Und ich dachte: Wow, das ist eine komplett andere Sicht auf die Dinge, als ich sie habe. Deshalb haben wir unser neues Album 20/20 VISION genannt. Wenn du in Amerika zum Augenarzt gehst und er kommt auf das Ergebnis „20/20 Vision“, bedeutet das, du brauchst keine Brille, du siehst perfekt. Wenn also Trump sagt, es gab Gründe, Kinder von ihren Eltern wegzuschließen, sagst du: Nein, ich habe 20/20 Vision darauf und weiß, dass es falsch ist. Er bringt viel Lärm und Rauch ins Spiel, um von Fakten abzulenken.

Was möchtet ihr mit euren Anti-Trump-Songs bewirken?

Sane: Wenn die Leute den Rauch wegziehen lassen und die Rechtfertigungen ignorieren, dann sollten sie feststellen, dass es falsch ist, was er tut. Wir schlagen mit unserem Album gegen eine Mauer der Lügen. Trump sagt, alles sei Fake, glaubt nicht an das, was ihr seht oder hört, glaubt nur an mich. Deshalb wurde es einfach Zeit, ein Album zu machen, das ihm die Maske herunterreißt und die Leute wachrüttelt.

„Fast alle Religionen auf der ganzen Welt sind ganz nah am Faschismus“

Ein Song auf dem Album heißt ,Hate conquers all‘. Glaubt Ihr wirklich, dass am Ende der Hass alle erobert?

Barker: Als Trump so gut wie gewählt war und die Opposition sich ihrem Schicksal ergab, entstand in Amerika der Slogan: „Love Trumps Hate“, also liebe Trumps Hass. Es sollte heißen, dass wenn du Liebe in die Welt steckst, sie dabei helfen wird, hasserfüllte Menschen zu entradikalisieren. Ich finde, das ist eine wundervolle Idee. Sie erinnert mich an diese Hippie-Zeit, als die Leute sagten: Make love not war. Aber bei Donald Trump ist das anders. Er ist ein Rassist. Er ist ein Faschist. Er steckt an der amerikanisch-mexikanischen Grenze kleine Kinder in Käfige. Das ist nicht Hass, das ist Gewalt gegenüber anderen Menschen. Deshalb war „Hate conquers all“ unsere Antwort auf „Love Trumps Hate“. Solche Typen wie ihn müssen wir bekämpfen mit allen legalen Möglichkeiten. Das fängt bei der Kunst an. Wir benötigen viel Einfühlungsvermögen und Optimismus, die Hoffnung auf eine Zukunft zu verbreiten, die anders ist als die Gegenwart.

Welcher Song des Albums hat die stärkste Message?

Sane: Ich denke, es ist ,Christian Nationalist‘. Das ist kein rein amerikanisches Phänomen. Du siehst es mehr und mehr auch in Teilen Europas, dass politische Anführer ihre Religion dafür missbrauchen, ihren Nationalismus zu rechtfertigen. In England tun sie das gerade mit dem Brexit. Weiße christliche Menschen denken, sie seien die einzigen Kinder Gottes und könnten über den Rest von uns regieren. Das ist eine rassistische Ideologie. Die Wahrheit ist doch, dass fast alle Religionen auf der ganzen Welt ganz nah am Faschismus sind. Ihre Philosophien sind letztlich die gleichen. Die Idee bei diesem Song war, Leute, die verfolgt und misshandelt werden, wissen zu lassen, dass sie nicht allein sind. Wir wollten ihnen eine starke Message schicken.
Barker: Dieser Song ist nicht für diejenigen, die denken, ein Amerikaner zu sein, sei das Größte auf der Welt, und wer ein Moslem ist, ist zwangsläufig ein Böser. Er richtet sich eher an Leute, die ständig verletzt und benachteiligt werden. Um sie wissen zu lassen, dass wir mit ihnen fühlen und dass es eine Community gibt, die sie unterstützt.

Anti-Flags 12. Studioalbum 20/20 VISION ist am 17. Januar 2020 erschienen.

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Anti-Flags neues Album „20/20 VISION” im Stream hören:

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