Attacke Azteka: Airen und die Nacht


"Denn die Nacht ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen. Grenzen verschwimmen im Alkohol. Nur dem wahrhaft Lebendigen wird die Logik der Nacht einleuchten"

Wenn es dunkel wird, wenn der Tag sich abmeldet, wenn sich eben die Schatten zu einem großen verschworenen Ganzen verbinden, genau dann, wenn die verborgenen Geister der Dunkelheit langsam aus dem Dämmerlicht des dampfenden Asphalts aufsteigen: Wenn also die heilige, allumfassende Nacht einbricht – ja was dann? Jeden Abend aufs Neue beginnt eine neue Zeitrechnung, sobald die Sonne untergeht. Wenn eben der Tag endlich, endlich in den Silhuetten der Großstädte verbleicht. Die treibende Sonne, die Pflicht, die Vernunft, alles – weg! Alles, was soeben noch gegolten hat, wird von der Dunkelheit verschluckt: Und es wird verdaut und undeutliche Brosamen des Neonlichts werden ausgespuckt und jedem vor die Füße gekotzt, der vorhat, jetzt noch aufzubleiben.

Was heißt schon aufbleiben? Erst wenn es dunkel wird, ist die Zeit gekommen, aufzustehen! Was bedeutet ein Tag schon bei Nacht? Der Tag ist ein verbleichendes, verwelktes Theoriekonstrukt, ein krankendes, fellarmes, leckendes Tier, er ist Zwang und Krampf und Selbstverleugnung. Der Tag ist das unwirklichste aller Konstrukte, die die Natur je hervorgebracht hat. Denn die Nacht ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen. Tags wacht der Geist über dem Laden und Entladen von Gütern. Nachts wirft er Eitelkeiten in immer neuen Spielen in jungfräuliche Hände. Grenzen verschwimmen im Alkohol. Nur dem wahrhaft Lebendigen wird die Logik der Nacht einleuchten. Nachts wacht der Geist um seiner selbst Willen, um abzugehen, endlich, um den innersten Flash zu finden, den der Tag nur schal verspricht, um der verbrecherischen Verlierervisage des Lebens in die geweiteten Pupillen zu starren und um die Blüten seiner tagtäglichen Tüchtigkeit endlich den Göttern der Dunkelheit feilzubieten.

Eine jahrtausendealte Tradition der Tunichtgute empfängt den verschwendungssüchtigen Nachtfalter in den warmen Armen ihrer sinnlosen Poesie. Niemand muss mehr überzeugen – aber jeder muss bezahlen. Die Preise der Nacht sind gering, aber gerecht. Nur in der Nacht kann man einen fairen Wechselkurs finden; den gerechten Handel Kitzel gegen Cash, Kitzler gegen Crash. Dunkle Hinterhöfe entwerfen plötzliche Szenarien, und nur dein Portemonnaie entscheidet, wie der entscheidende Endkampf ausgehen wird.

Wem die ganze kulturelle Endkampfscheisse langsam zu faschistoid einfährt, der darf auch einfach mal in seine persönliche Nachtphilosophie hineinhorchen. Denn da wummert es ja noch immer gewaltig, und Töne drehen sich auf den Kopf und es ist noch immer der kleinste gemeinsame Nenner, der dich und mich und ihn auf dem gleißenden Dancefloor akzeptiert. Wie sind wir hierher geraten? Was hat uns so weit getrieben? Wie konnte es dazu kommen? Wir sind ja alle gleich:

Wenn die Nacht uns gesehen und gefühlt und getanzt hat und wir da plötzlich auf einer After in Berlin Mitte mit einem mittlerem Ketamin- und Lebensabfuck landen und erkennen: Was mich am Tag essen lässt, behält nur dann seine Gültigkeit, wenn es mich auch des Nächtens zum Tanzen bringt. Tränen tropfen in die unerklärliche Unendlichkeit des anbrechenden Morgens. Traurige Nachrichten werden mutwillig verschluckt. Die Zeit läuft weiter, schändende Mäuler laufen weiter über in ihrer übereifrigen Geldgier, aber die Clubs und Technoläden locken weiter, weiter, weiter mit namensbefleckten Flyern und Residents und Newcomern und mannshohen Boxen und da warten wir jetzt, um einer neuen Generation an Styleerschaffern ihre nächtliche Bühne zu geben.

Hinter samtenen Vorhängen verschwinden zerknitterte Scheine, aus skropulösen Arabermäulern werden glitzernde Pacs gespuckt. Später sind es weiche, runde Arabermäuler, die deinen Schwanz in einer darken Symphonie einrahmen, eine kurze Momentaufnahme, die niemals belichtet werden darf. Die dunklen Eckläden der Großstadt, vor denen die Dealer patroullieren. Die verhuschten Prostituierten an den verstummten Hauptstraßen, die verborgenen Eingänge zu geheimen Vergnügen, die eisenharten Türen der Technoclubs, ja, hier sind wir! Ja, jetzt schlüpfen wir aus unseren Puppen! Ja, erst jetzt ist die Zeit gekommen und der Raum geschaffen für die ultimative Huldigung des Lebens!

Das Problem des Tages ist, dass man an ihm arbeiten kann. Nichts geht mehr wider die menschliche Natur, als Arbeit. Erst wenn Arbeit nicht mehr möglich ist, erst wenn die nächtlichen Umrisse verschwimmen und man nichts mehr als Chimären erkennt, kann das wahre Leben beginnen.

Diese ganz düstere Prophezeiung, die die ganze Matrix einbezieht. Meine nächtlichen Klasssiker sollen auf dem nächtlichen Scheiterhaufen des Lebens brennen! Alles sollte der Genialität geschuldet sein, und nichts dem Kommerz. Das Nulllicht der Nächte rettet uns über die tagfernen Flashs der Philosophen. Die Nacht ist ein heruntergekommener Straßenhund, der an einer öligen Pfützen säuft. Nicht einmal Du solltest von diesem geheimen Kraftfuttermischwerk mitbekommen. Trotzdem rutschen mir manchmal die Tasten ab.