Auf Tor mit Cure


Schon die Vorzeichen für die dritte Cure-Europa-Tour sind alles andere als vielversprechend: Fünf Tage vor dem Start komme ich in England an, mache mich an die Arbeit und hole den gemieteten Tourbus ab, um die nötigen Besorgungen zu machen. Nach drei Tagen gibt die Karre ihren Geist auf. Ich muß mir hämische Kommentare anhören, daß Deutsche wohl zu unbedarft seien, um rechtsgesteuerte Autos zu fahren.

Den zweiten Bus lasse ich vom Mann der Verleihfirma zum liegengebliebenen Bus fahren. Und siehe da! Mit einem Engländer am Steuer schafft Bus Nr. 2 sogar stolze 500 Meter!

Der dritte Bus innerhalb von sechs Tagen muß her. Und diesmal klappt es: Der „Black Devil“, Taufname der Band für unser schwarzes Plüsch- und Plunder-Vehikel aus dem Hause Volkswagen, läuft und läuft und läuft.

Ab zum ersten Gig nach Newcastle. Seit zwei Jahren waren die Cure nicht mehr auf Tour; die letzte endete im Chaos: Schlägereien in der Band, 5000 Pfund spurlos verschwunden. Nervenzusammenbrüche und drei abgesagte Konzerte. Kein Wunder, daß einige Akteure vor dem ersten Gig ein flaues Gefühl in der Magengegend nicht verheimlichen können.

Hinzu kommt noch die Nervosität von Sänger Robert Smith, der unsicher ist, wie das Publikum nach den vergleichsweise kommerziellen Singles „Let’s Go To Bed“ und „Love Cats“ reagieren wird. Man kann die Spannung fast mit den Fingern fassen.

Dann die erste Erfolgsmeldung: Die gesamte EnglandTour ist binnen drei Wochen total ausverkauft! Und das ohne jede Plakatierung! Drei Anzeigen im „NME“, „Melody Maker“ und „Sounds“ waren genug.

Aber Robert ahnt Übles: „Die kommen nur wegen der Singles. “ Er hat tierische Angst davor, daß die Kids auf das ältere Material der Cure nicht einsteigen werden. Wohl nicht ganz zu Unrecht: „Forrest“, „M“ oder „Primary“ sind nun wirklich starker Tobak für ungeschulte Teenager-Ohren.

Mit buchstäblich schlotternden Knien steigen sie in Newcastle zur Premiere auf die Bühne. Und – alle Befürchtungen werden von einer Welle der Euphorie weggespült. Und – die Mädchen stürzen sich wie ein Bienenschwarm auf Robert… es ist unfaßbar. Und was gibt es heutzutage für einen besseren Maßstab für die Beliebtheit einer Band, wenn die T-Shirt-Verkäufer in der Halle an einem Abend rund 7000 Mark Kasse machen.

Edinburgh, Glasgow, Birmingham, Bristol. Überall das gleiche Bild: Rasende Fans, die nach zweieinhalb Stunden Cure pur voll in den Seilen hängen. Frappierend ist überall das Verhältnis der Band zu ihren Fans: In den fünf Jahren ihres Bestehens scheint sich halb England mit Robert & Co. näher bekannt gemacht zu haben. Allein in den drei Hammersmith-Odeon-Konzerten in London werden 500 Gästetickets unters Volk gebracht und noch einmal 100 Namen auf der Gästeliste verewigt.

In Portsmouth, Oxford und den drei Sets im Hammersmith hat ein mobiles Studio ein geplantes Livealbum mitgeschnitten; danach ist erst einmal zwei Tage Relaxing angesagt. Phil Thornalley, der Bassist, fährt aufs Land; Laurence Tolhurst und Robert zieht es in ihre Heimatstadt Crawley, 30 Meilen außerhalb Londons.

Dann Brüssel. Um sieben Uhr früh müssen wir in Nacht und Nebel zum Flughafen Heathrow. Keine Zeit für Musiker und dementsprechend bleich sind die Gesichter. Der Taxifahrer dreht sich kopfschüttelnd zur Seite und murmelt: „Sehen aus wie Leichen.“

In Brüssel ziehen erste Gewitterwolken auf. Drei Ex-Freundinnen von Robert verweisen gleichzeitig auf „ältere Rechte“. Doch der Vielumschwärmte erweist sich bei der Party am späten Abend als routinierter Taktierer. Um Ärger zu vermeiden, wird ein ausgeklügeltes Versteckspiel gestartet: Beim morgendlichen Weckruf ist jedenfalls kein Musiker in dem ihm zugeteilten Bett zu finden: „Good Morning, Andy…“-,, Ya, but this is Laurencer’Und so weiter. Nachtränenreichen Abschiedsszenen geht’s per Bus weiter nach Lille, Frankreich.

Man kann das drohende Unheil geradezu greifen. Gereizte Stimmung als erster Vorbote des obligaten Tour-Kollers, der sich an diesem Abend noch heftigst entladen soll. In der Garderobe wird Bier, Wodka und Rotwein gemixt und aus großen Sektschalen geschlürft. Als obendrein der Gig – als einziger dieser Tour – kaum Zuschauer zieht, müssen backstage die vertraglich angeforderten Blumendekorationen dran glauben. Danach ist die Luft erst mal wieder rein.

PARIS! 6500 Zuschauer im „Zenit“. Ein silbrig glänzender Metallbau wird zur Stätte eines absolut magischen Cure-Konzertes. Die berstend volle Halle erlebt Momente, die einfach nicht mit Worten wiederzugeben sind. Sogar der ansonsten eher penetrante Anblick der brennenden Bic-Feuerzeuge wird zu den Klängen von „Forrest“ zu einem Schauspiel, das selbst dem hartgesottensten Tourneebegleiter noch eine Gänsehaut über den Rücken jagt.

Die Band ist nicht minder ergriffen. Laurence erzählt später, daß er – völlig überwältigt von diesem Anblick – plötzlich nicht mehr wußte, wo seine Tasten waren. Nie habe ich nach dem Konzert die Cure in dieser Verfassung erlebt: Ohne ein Wort zu sprechen sitzen sie eine halbe Stunde da, in stiller Andacht über das eben Geschehene.

Der darauffolgende Gig konnte nur ein Absturz sein. Das war so sicher wie Roberts Sturm-Frisur! Und in der Tat: Eine viel zu kleine Bühne in einer provinziellen Riesen-Disco, der Gestank von abgestandenem Rauch und verschüttetem Bier und eine miese Garderobe bringt die Crew schnell wieder auf den Teppich der Rock ’n‘ Roll-Realitäten zurück. Gestern das Flair von Paris heute die Kloake von Lyon! Allein der Lichtaufbau benötigt fünf Stunden, um mit allen erdenklichen Tricks (und gezählten 36 Kurzschlüssen!) das Equipment auf der katastrophalen Bühne unterzubringen.

Nizza Eines der nobelsten Hotels am Platz, gleichzeitig die Filmfestspiele im nahen Cannes – das bedeutet viel High Snobiety und verschärfte Security. Wir lassen uns so wenig wie möglich davon irritieren und feiern samt Crew eine Party im Hotel. Bis fünf Uhr früh halte ich mich wach und gehe, da alles in geordneten Bahnen verläuft, beruhigt schlafen.

Um neun Uhr ist’s mit dem Träumen vorbei, als im Flur des Hotels ein Wahnsinniger herumtobt, wie verrückt an eine Zimmertür hämmert und immer wieder brüllt: „Come out, III kill you.“ Ich schleppe mich und meinen morgendlichen Kater zur Tür. Da steht Andy Anderson, der farbige Schlagzeuger, vor einer Zimmertür – in der rechten Hand eine volle Flasche Perrier, in der linken eine Metall-Kaffeekanne, mit der er wie von Sinnen gegen die Holztür schlägt. Ich versuche ihn zu beruhigen – ohne jeden Erfolg.

Mittlerweile hat man die Gendarmerie alarmiert. Langsam beruhigt sich Andy, läßt Flasche und Kanne zu Boden gleiten und ist mit einem Mal nur noch ein Häufchen Elend. Der Flur ist plötzlich voll mit Schaulustigen. Die Bullen hören natürlich auf keine Erklärungen, sondern nehmen Andy kurzerhand mit:

Folgendes war passiert: Andy spaziert bester Laune morgens gegen halb neun durchs Hotel, um jemanden zu finden, der mit ihm an den Strand gehen will. Dabei läuft er den hoteleigenen Security-Leuten in die Arme, die sofort wissen wollen, wer zum Teufel er eigentlich sei und was er hier verloren habe. Andy, der einzige schwarze Gast im Hotel, zeigt seinen Zimmerschlüssel. Nun ja, der könnte ja geklaut sein.

Die smarten Herren wollen nun seine Papiere sehen. Andy geht zu seinem Zimmer, zieht seinen Reisepaß aus dem Koffer und dreht sich zu den beiden Wachhunden um. In diesem Moment jagt einer der beiden ihm aus heiterem Himmel eine satte Ladung Tränengas ins Gesicht.

Andy rastet aus. Vorübergehend blind, stürzt er den Uniformierten hinterher und baut sich vor der Zimmertür auf, hinter der er die freundlichen Herren vermutet. Doch – es ist die falsche Tür! In besagtem Zimmer nächtigt die Gattin eines französischen Film-Bosses, obendrein verwandt mit dem Bürgermeister von Nizza. Was die Sache nicht unbedingt vereinfacht. Mir fallen sofort die Stranglers ein: Die gingen in Nizza für 14 Tage in den Knast, nur weil sie nackt über den Hotelflur flitzten!

Die gnädige Frau hängt sich natürlich sofort an die Strippe, um den honorigen Bürgermeister auf diesen Vandalismus aufmerksam zu machen. Die Hotelmanager runzeln die Stirn und meinen ungerührt, daß der gute Andy zumindest für die nächsten 48 Stunden vom Fenster weg sein wird.

Nun steht aber bereits für den nächsten Tag unser erster Gig in Italien an. Der französische Tour-Promoter Jules Frutos versucht, seine Beziehungs-Muskeln spielen zu lassen, während ich mich auf Entschuldigungs-Tour begebe.

Acht Stunden lang rede ich mit Zimmermädchen, Hotelobrigkeiten und der Polizei, bis ich am späten Nachmittag den General Manager des Hotels auf meiner Seite habe: Die präsentieren mir eine Rechnung für die „entstandenen Beschädigungen“ und nehmen mir das Versprechen ab, Andy direkt von der Zelle in den Bus zu verfrachten. Auf ein nochmaliges Wiedersehen würde kein Wert gelegt.

Wir schlagen drei Kreuzzeichen, packen unsere Sachen und fahren mit dem Bus nach Monte Carlo ins Casino. Nach diesem Schock ist ein wenig Zerstreuung wohl das beste. Als dann noch Paul Thompson, zum ersten Mal überhaupt in einem Casino, im allerersten Spiel beim Roulette 100 Francs auf die Sieben setzt – und selbige auch kommt, ist die Stimmung wieder gerettet.

Italien. Erst Bologna, anschließend Mailand. Schnell können wir feststellen, daß hier andere Gesetze und Mentalitäten herrschen. Der Soundcheck in Bologna wird durch etwa 1000 Italiener unmöglich gemacht, die vor einem schweren Gewitter schon nachmittags in das Zelt stürmen, es sich auf der Bühne bequem machen und dort ihre eigenen Songs zum besten geben.

Auch die Gage kann man in Italien nicht – wie anderswo üblich – gleich nach dem Konzert mitnehmen. Die Kohle wird zuerst von Finanzbeamten sichergestellt, geht weiter an die Bank und darf nach sechs Wochen Prüfung aller zuständigen Instanzen endlich überwiesen werden.

Und auf italienischen Flughäfen sollte man schon gar nicht mitteleuropäische Maßstäbe anlegen: Als wir von Mailand aus nach Zürich fliegen wollen, sind wir eine Stunde vor Abflug zur Stelle. Wir haben noch nicht mal ein Ticket, als die Maschine schon startet. Rund 80 Leute stehen da vor zwei Schaltern der Alitalia, doch die Angestellten zeigen absolut kein Interesse, von ihrem Fünf-Minuten-Takt pro auszustellendem Tikket abzuweichen.

Also rein ins Taxi und ab nach Zürich. Kostenpunkt: 900 Mark. Was immer noch billiger als die Flüge ist. Aber es gibt wahrlich angenehmere Reisemethoden, als zu fünft im Mercedes in hefti-I

gern Reiseverkehr über kurvige Bergstraßen geschüttelt zu werden.

Zürich. Länderspiel Deutschland Italien. Verstopfte Einfahrtsstraßen lassen uns immer häufiger auf die Uhr sehen. Eine Viertelstunde vor dem Gig kommen wir bei der Halle an, wo die vorausgefahrene Crew schon knapp vor der Absage steht. Und trotz der ganzen Schlaucherei und Hektik legt die Band wieder einmal einen jener magischen Sets auf die Bretter, für die es keine logischen Erklärungen gibt. Nur: „Mensch, der helle Wahnsinn…“

Dann Deutschland: München, Düsseldorf, Hamburg und Berlin stehen auf dem Schedule. Die Mannschaft ist mittlerweile gut eingespielt, alles verläuft ruhig, sieht man von kleineren Schwierigkeiten ab, die entstehen, wenn man morgens um fünf in sogenannten Luxus-Hotels noch Drinks auftreiben will.

4500 Leute erleben in der Düsseldorfer Philipshalle das beste deutsche Konzert – und derselbe Veranstalter, der dort vor zwei Jahren mit nur 800 Cure-Fans noch 10000 Märker minus machte, hat angesichts der heutigen Besucherzahlen wahrlich ein Lächeln auf den Lippen.

Am freien Tag nach dem Berliner „Metropol“-Gig stehen die Zeichen wieder auf Sturm. Robert war nach Hause geflogen, um Siouxsie & The Banshees mitzuteilen, daß er nicht mehr die Kraft habe, um gleichzeitig noch in ihrer Gruppe zu spielen.

Die Trucks mit der Anlage machen sich um 14 Uhr auf den Weg nach Holland, wo die letzten drei Gigs der Tour stattfinden sollen. Am späten Nachmittag ein Anruf von einem DDRPolizeirevier: Der Backhne-Truck kam durch Aquaplaning ins Schleudern und kippte von der Straße. Die Vopos packten sich prophylaktisch die beiden panischen Engländer und verlangten Geldstrafe. In Devisen, versteht sich. Die Fahrer haben natürlich nicht eine müde Mark dabei, doch nach drei Stunden „Verhör“ läßt man sie wieder laufen.

Erst um fünf Uhr früh kommen die Trucks mit den fix und fertigen Fahrern an der deutsch-holländischen Grenze an. Wir telefonieren – und ich schlage ihnen vor, sich erst mal für ein paar Stunden aufs Ohr zu

hauen, aber spätestens um 10 Uhr weiterzufahren, da sie sonst nicht rechtzeitig nach Utrecht kommen. Sie sollen mich aber in jedem Falle vor der Abfahrt anrufen. Was nicht geschieht. Wir haben obendrein durch eine falsche Zeitangabe unsere Direkt-Maschine nach Amsterdam verpaßt und müssen über Frankfurt umbuchen.

Als wir endlich in Utrecht ankommen, ist vom Backline-Truck keine Spur zu sehen. Wir warten bis halb acht – dann wird der Gig abgesagt. Fünf Minuten später kommt der LKW.

Dabei war ich so stolz gewesen, eine Cure-Tournee zu begleiten, auf der (fast) nichts danebenging, keine extremen Exzesse, keine Schlägereien, keine Absagen – und dann das! Glücklicherweise ist ein zweiter Gig in Utrecht ohnehin vorgesehen – und da dieses Konzert auf einen Feiertag fällt, ist es ein Leichtes, ein Ersatzkonzert am Nachmittag einzuschieben.

Trotzdem geht bei solchen Aktionen die Stimmung der Crew automatisch in den Keller. Der ganze Aufwand, die ganze Hektik – alles umsonst! In der Nacht zertanzen wir unseren Frust in einer Disco in Amsterdam. Richtig lustig wird es sogar, als Robert in seiner phlegmatischen Art frühmorgens versucht, zu knackigen Funk-Rhythmen das Tanzbein zu schwingen.

Dann die beiden letzten Gigs dieser Tournee in Utrecht, wo sich fast 100 Fans aus Berlin, München, Düsseldorf, Paris, Italien und England eingefunden haben, um die Band vor dem Tour-Schluß noch einmal zu sehen. Das Konzert erweist sich als würdiger Abschluß dieser sechs Wochen, die inzwischen eine Menge Substanz bei Mensch und Material gekostet haben. Vor allem in den letzten Tagen gerät eine Tour unweigerlich aus der Kontrolle. Wenn diese Konzerte noch dazu in einem Land stattfinden, in dem so manche Genußmittel schneller zu beschaffen sind als eine Flasche Bier, dann kann man sich den Rest selber ausmalen…

20000 englische Pfund wurden als Gewinn vor der Tour kalkuliert. Nach Abzug der unerwarteten Kosten, wie etwa der nicht eingeplanten Flüge, bleiben noch immer gut 10000 Pfund Reingewinn übrig. Was im heutigen Tourgeschäft mehr als eine Seltenheit ist. Dafür wog ich allerdings auch fünf Kilo weniger…