Aus der Musikexpress-Ausgabe Juli 1970: Paul McCartney – Die Beatles bestanden schon lange nicht mehr als Gruppe


„Wenn ich ein König gewesen wäre, der plötzlich seine Abdankung bekannt gemacht hatte, wäre der Schock und die Enttäuschung auf der Welt nicht so groß gewesen wie jetzt.“, meint Paul McCartney beim Rückblick auf die rezente Hilarität, welche durch seine Erklärung, dass er es jetzt allein probieren wolle (sieh M.E. Juni 1970) entstanden war. Sein zweideutiges Interview, das unter dem verkehrten Motto „Paul verlässt die Beatles“ in die Welt hinaus geschickt wurde, ließ die weniger Interessierten mitleidig den Kopf schütteln. Sie hatten das Unvermeidliche schon lange erwartet und gaben sich einfach damit zufrieden. Aber die neue Generation fragte sich ruhelos, ob sie nicht doch von ihren Favoriten betrogen waren und die Zeitungen schrieben gleich in aller Eile die Memoiren von den „Fahnenträgern der westlichen Jugend, im Zeitalter der Verständigung“ und Paul wurde als Übeltäter ausgemacht. Aber obgleich jeder sich daran beteiligte den Sarg der Beatles zu zunageln und zu Grabe zu tragen, kam niemand auf den Gedanken, dass Paul eigentlich überhaupt nicht Ursache der Trennung der Beatles gewesen war und es realisierte sich niemand, dass die sterblichen Reste der Beatles schon vor Monaten eingefroren waren. Denn trotz aller Vermutungen und Veröffentlichungen, gab es die Beatles als Gruppe nur noch in den Plattenstudios (wo sie im August 1969 zu letzten Mal waren) und in unserer eigenen bunten Fantasie. Es war John Lennon der im Dezember vorigen Jahres in einem niemals bekannt gemachten Interview erklärte, dass die Beatles zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr bestanden. Alle Mitglieder der Gruppe wussten das, aber niemand wollte es zugeben . . . Darum war Paul auch so böse, dass sein Interview ausgerechnet das seine, welches eigentlich nur zur Begleitung seines ersten Soloalbum’s bestimmt war, Aufruhr und Panik in der internationalen Popwelt verursachte. Darum brach er seine jahrelange Schweigsamkeit, um in einem neuen Interview alle Missverständnisse aus der Welt zu schaffen und zu beweisen, dass nicht nur er allein, sondern alle anderen Beatles ebenso viel Schuld an dieser „Situation der individuellen Erfolge“ haben.

BRUCH MIT LENNON

Die definitive Entzweiung des Duos Lennon & McCartney liegt schon ungefähr zwei Jahre zurück, als John Yoko kennenlernte. Paul konnte sich nicht mehr konzentrieren, weil Yoko ständig dabei saß. „Sie irritierte mich irgendwie, und jedes Mal wenn ich zu einem Text etwas aufschreiben wollte, wie „I love you, girl“ hatte ich das Gefühl, dass Yoko mir auf die Finger sah, mit einem Blick, als wollte sie sagen, lass dir etwas besseres einfallen. Jetzt aber glaube ich, dass sie meine einfachen Sätze bestimmt auch gut fand, aber ich fürchtete einfach ihre Kritik, ich konnte sie irgendwie nicht leiden. Trotzdem darf ich John seine Liebe zu Yoko nicht unterschätzen und sie ihm auf keinen Fall übernehmen. Darum haben wir es später noch einige Male miteinander versucht, aber jetzt ging es einfach nicht mehr. Darum habe ich eines Tages John angerufen und ihm gesagt, dass ich böse und eifersüchtig auf Yoko war, und dass sie beide Schuld daran hatten, dass das Duo Lennon & McCartney niemals mehr etwas zustande bringen würden. Es hat länger als ein Jahr gedauert, bevor ich begriffen hatte, dass die zwei nur für einander leben wollten und sich liebten, genau so wie Linda und ich . . .

SCHON VOR MONATEN

Als wir mit den Aufnahmen für unser „Weißes Album“ beschäftigt waren, verkündete uns Ringo, dass er keinen Spaß mehr daran hatte, um weiterhin bei uns zu bleiben, aber als wir ihm sagten dass er der beste Drummer der Welt war und wir ihn dringend nötig hatten, kam er nach zwei Tagen wieder zurück. Bei den Aufnahmen von „Abbey Road“ lief George plötzlich weg, weil er seiner Meinung nach zu wenig Einspruch bei den Aufnahmen der Platte hatte. Diese und noch mehr Meinungsverschiedenheiten unter anderen leiteten dazu, dass die gute „close-harmony“ im Gesang, so wie wir sie früher hatten, auf „Abbey Road“ nicht zu finden war. Es wurden keine Duette mehr gesungen, weil jeder alles selber machen wollte, jeder wollte der große Mann sein. In dieser Zeit wurde es uns allen klar, dass wir an uns selbst vorbeigestrebt waren, und dass die feste Einheit der Gruppe durch diverse Solo-Erfolge verloren gegangen war. Es war John, der den Knoten zum Reißen brachte, als er sagte,dass er es vorläufig lieber „Solo“ versuchen wollte. Wir wussten damals alle nicht, wohin das führen würde, und beschlossen darum bis März jeder seinen eigenen Weg zu gehen, bis der Film „Let It Be“ in Premiere gehen sollte (diese Uraufführung wird nun erst im Juni erwartet).

John hat die „Plastic Ono Band“. Ringo seine Filme und George seinen „Radha Krislina Temple“, aber ich hatte überhaupt noch nichts. Ich bin zu aktiv um drei Monate still zu sitzen. Darum machte ich mir Sorgen und hoffte nur, dass John eines Tages doch noch kommen würde und zu mir sagen würde, „es ist in Ordnung Paul, lassen uns mal wieder an die Arbeit gehen“. Aber John kam nicht. Ich war enttäuscht und so wuchs die Idee für ein Soloalbum in mir. Die anderen drei Beatles hatten ihr neues Gesicht schon gezeigt: Das Album „McCartney“ sollte das meine werden . . .

FINANZIELLER NACHTEIL

Die vier Solokarrieren bringen aber einen finanziellen Nachteil mit sich, wie bekannt ist unterschrieben die Beatles einen Kontrakt, in dem steht, dass das gesamte Einkommen ehrlich geteilt werden muss. Da dieser Vertrag erst 1977 abläuft, kommt der Gewinn ihrer heutigen Kreativität in eine gemeinschaftliche Kasse. Auf Grund dieses Vertrages ist es auch nicht möglich, um selbständig etwas zu verdienen. So werden also die Platten der „Plastic Ono Band“ sowie die eigenen Produkte von Paul, George und Ringo bis 1977 wie eine normale Beatles-Platte behandelt, von der jeder 25 % des Gewinnes erhält. Außerdem haben John und Paul noch einen Vertrag mit Northern Songs laufen, in dem festgelegt wurde, dass sogar durch eine Person geschriebene Texte, gemeinschaftlich geteilt werden müssen. Um dies zu ändern würde Paul gerne eine Kommission ins Leben rufen, die eine neue Regelung ausdenken müsste, um jedem der Beatles nur das Geld zukommen zu lassen, was ihm auch wirklich zukommen müsste. Aber Manager Klein ist dagegen, denn er meint, dass man etwas derartiges nicht realisieren könnte wegen der Steuerbestimmungen.

„Klein wollte auch nicht, dass ich mein Soloalbum herausbringen sollte, weil er fand, dass dies die neue Beatles L.P. „Let it be“, welche damals noch nicht einmal aufgenommen war, benachteiligen würde. Ich habe Klein eigentlich niemals leiden können, und bin noch immer überzeugt, dass mein Schwiegervater ein viel besserer Manager für die Beatles gewesen wäre. Wahrscheinlich wäre es dann auch gar nicht soweit gekommen, dass jeder von uns jetzt etwas anderes macht.