Aus der Musikexpress-Ausgabe Mai 1974: David Bowie in Amsterdam


Ins Amsterdamer Amstel-Hotel lud kein anderer als David Bowie neulich zu einer Presse-Party verschiedene Journalisten ein. Der bislang größte Rock-Star der Siebziger Jahre war tags zuvor überraschenderweise mit seiner Ehefrau Angie und Sohn Zowie in die Niederlande gekommen, um hier im. Plattenstudio an seinem neuen Album, dem Nachfolger zu 'Pin Ups', zu arbeiten. Bei dieser Gelegenheit wurde ihm auch gleich der Edison, eine Art Platten-Oscar, überreicht, den er sich bereits im letzten Jahr mit seiner supererfolgreichen 'Ziggy Stardust'-LP verdient hatte. Wie sein Management uns verriet, wollte Bowie sich außerdem in Amsterdam nach neuen Mode-Trends umsehen.

EXKLUSIV FÜR MUSIK EXPRESS!!

Trotz der Mitteilung der Plattenfirma, David würde sich weder fotografieren noch interviewen lassen, machte sich ME mit zwei Redakteuren und mehreren Fotografen auf den Weg, um das Unmögliche zu versuchen. Als Bowie dann schliesslich mit Frau und Kind auf der Bildfläche erschien, zeigte sich, dass das Foto-Verbot wohl doch nicht so ernst gemeint war. Wegen ejner angeblichen Augenverletzung trug der modisch gekleidete Superstar eine Augenbinde, die vielleicht auch nur bewirken sollte, dass die Fotos dieses Tages nur eine befristete Aktualität haben würden.

Nachdem Ad Visser, Disc-Jockey von Hollands ‚Top-Pop‘ TV-Show, vor surrenden Fernseh-Kameras den Edison überreicht hatte, konnten einige der anwesenden Journalisten kurz mit David und seiner Frau ein paar Worte wechseln. Erst als ME-Redakteur Lutz Wauligmann ihm die ausführlichen Bowie-Re-/portagen in MUSIK EXPRESS zeigte, machte der grosse Meister eine Ausnahme und gab exklusiv für unsere Leser das folgende Interview:

‚YEAH, ICH WERDE DIE WELT VERÄNDERN‘

ME: Es ist nicht das ersten Mal, dass Du Holland besuchst, oder?

David: Oh nein …

ME: Wann hast Du dieses Land entdeckt?

David: Vor ungefähr sechs Jahren.

ME: Du hast noch nie eine Tournee über den europäischen Kontinent unternommen …

David: Nein.

ME: Meinst Du, dass wir dich in Holland oder in Deutschland nie zu sehen bekommen?

David: Ja. Nein. Ich mache doch überhaupt keine Live-Auftritte mehr….

ME: Nie mehr?

David: Ja.

ME: Noch immer?

David: Ja.

ME: Aber man kann doch ziemlich sicher damit rechnen, dass man dich, wenn es soweit ist, im Kino auf der Leinwand erleben wird …

David: Ja.

ME: Wie weit sind die Filmvorbereitungen oder Pläne schon fortgeschritten?

David: Da gibt es keine konkreten Pläne. Ich habe nur einen Plan — und das ist mein Leben … die Welt verändern.

ME: Die Welt verändern? Das hört sich gut an…

David: Yeah, ich werde die Welt verändern.

ME: Und wie?

David: Du wirst es erleben! Warte mal ab…! Ich verändere sie zum Beispiel gerade jetzt, während ich dieses Interview gebe…

AJAX T-SHIRT FÜR ZOWIE

An dieser Stelle unterbricht einer von Bowies Managern unser Gespräch, um darauf hinzuweisen, dass in wenigen Minuten ein Vertreter der Schallplattenfirma, der sehr eng mit dem Ajax Amsterdam Fussball-Team befreundet ist, an Davids dreijährigen Sohn ein ‚Ajax‘ T-Shirt überreichen möchte. Bowie fragt, wo sein Nachwuchs sich denn überhaupt im Moment herum treibe. Darauf meint der Manager: „Der sitzt mit Angie in der Bar.“ Darauf David: „Dann hol‘ ihn mal schnell hinter seinem Whisky weg!“

ME: Sprechen wir mal über deine LPs. Anstelle von ‚Pin Ups‘ hätten viele Bowie-Fans vielleicht noch lieber ein Album gesehen, auf dem neue, eigene Songs von dir drauf sind. Schließlich beruht dein Erfolg zu einem nicht geringen Teil auch auf deinen Songtexten …

David: Nun, ‚Pin Ups‘ hab‘ ich im Urlaub aufgenommen. Das war ein Urlaubs-Album. Zur Erholung. Wenn man sich andauernd damit beschäftigt, wirklich außergewöhnliche Songtexte zu schreiben, dann kann man die Aufnahmen zu ‚Pin Ups‘ wirklich als Urlaubsbeschäftigung bezeichnen.

ME: Weisst Du, dass John Lennon auch plant, ein Oldies-Album aufzunehmen?

David: Alle möglichen Leute sind damit beschäftigt…

‚ICH SPIEL‘ WIE ‚NE SAU…!‘

ME: Hast Du auch davon gehört, daß Dylan sagte, Du wärst von ihm wesentlich beeinflusst worden?

David: Ja.

ME: Und Lennon sagte… was sagte er noch mal…

David: Er sagte, ich spiel‘ wie ’ne Sau …! (‚rock like a bitch‘)

ME: Au ja? Er sagte auch, dass Du für Amerika ’ne Gefahr bedeutest. Hast Du auch dieses Gefühl?

David: Ja, ich bange jedes Mal um mein Leben, wenn ich nach Amerika fahre.‘ Ich hab‘ ganz bestimmt viele Feinde dort…

ME: Das kann man sich ja beinahe nicht vorstellen….

David: Ich schon.

ME: Du machst hier in Holland einige Aufnahme-Sessions im Plattenstudio. Arbeitest Du an einer neuen Single oder an einem neuen Album?

David: An einem neuen Album.

ME: Und das heißt wie?

David: ……….

ME: Das willst Du uns bestimmt noch nicht verraten….

David: Richtig. Der Titel steht schon fest, aber ich verrate ihn noch nicht.

‚KEINE AHNUNG VON FRAUEN?‘

ME: Als ME-Redakteur ist man in deinem Fall bisher immer auf Stories angewiesen gewesen, die von englischen oder amerikanischen Korrespondenten kamen. Jetzt mochte ich es direkt aus deinem Mund hören, was es mit dir und deinem bisexuellen Verhalten auf sich hat….

David: Angefangen hat es damit, als ich noch zur Schule ging und Pfadfinder war. Ich hab‘ einfach das Zusammensein mit und die Gefühle von anderen Jungs genossen.

ME: Viele Leute können sich nur schlecht vorstellen, wie man als Junge sexuelle Gefühle anderen Jungen gegenüber entwickeln kann. Allerdings soll sowas ja in der Pubertätszeit recht häufig vorkommen…

David: Hahaha, mach‘, daß Du rauskommst! Ich kenn‘ die Jungs, ich weiss, was in ihnen vorgeht. Come on, Du weisst genau, was ich meine….

Im gleichen Moment streichelt Davids Hand zärtlich über das rechte Bein eines leicht verwirrten ME-Redakteurs!!!

ME: Das ist ja ein reichlich verrücktes Interview!

David: Wann wirst Du mir erzählen dass ich keine Ahnung hab‘ von Frauen….?

DIE REVOLUTION DER SPIESSER

ME: Haha seh‘ ich so aus? Aber erzähl Du doch mal, ob Du Ahnung hast von deutschen Rock-Gruppen …

David: Da muss ich erst mal nachdenken. Stell‘ mal dein Tonbandgerät ab.

Nach zwei Minuten Denkpause läuft das Bandgerät wieder:

David: Ich mag ‚Can‘. Ich hab‘ sie mal gesehen und ich fand sie okay. Rock auf dem europäischen Kontinent — es ist sehr schwierig was darüber zu sagen — jedenfalls ist es sehr wichtig, daß sich die ’scene‘ dort weiterentwickelt. Die meisten Rockmusiker im nichtenglischen Europa wissen, glaube ich, noch nicht so genau, was sie mit sich anfangen sollen.

ME: Wie wird es weitergehen? Was passiert deiner Meinung nach in, sagen wir, fünf Jahren in der internationalen Rock-Szene?

David: In fünf Jahren, in fünf Jahren wird Roxy Music die größte Band der Welt sein. Sie werden so enorm groß sein, weil sie die erste Band, weil Bryan Ferry der erste Sänger ist, der aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammt und der die gutbürgerlichen Typen revolutioniert. Das macht ihn so wichtig. Bisher wurde immer nur von der Revolution der Arbeiterklasse geredet.

ME: Aber was unterscheidet Bryan Ferry denn von Frank Sinatra? Was ist revolutionär an ihm?

David: Es geht eben nicht um die Arbeiterklasse. Es ist keine Revolution der Arbeiterklasse. Es geht um die Revolution der bürgerlichen Spiesser — und dafür ist Bryan Ferry genau der Richtige. Er ist sehr romantisch veranlagt, und das ist etwas, worauf gutbürgerliche Typen ansprechen. Bryan ist die personifizierte Revolution der bürgerlichen Spiesser.

ME: Und wie sieht die Revolution der Spiesser aus?

David: Genau wie Roxy Music ….