Aus für FormelEins?


Innerhalb weniger Monate hat sich die Video-Show aus München in der Gunst der Fernsehzuschauer ganz nach vorne geschoben. Dennoch ist die Fortführung des Programms – und ähnlicher Sendungen – grundsätzlich in Frage gestellt. Es geht ums liebe Geld: Die Plattenfirmen, die die PR-Videos bislang praktisch kostenlos zur Verfügung stellten, fordern nun nicht unbeträchtliche Summen. Das Fernsehen aber winkt ab. Ob, wann und wie der Streit gelöst wird, steht noch in den Sternen. Für ME/Sounds bezogen die beiden Parteien Position: Produzent Andreas Thiesmeyer als Vertreter von „Formel Eins“ – und Dr. Norbert Thurow als Sprecher der deutschen Plattenindustrie. Die Streitfrage: Darf das Fernsehen weiterhin kostenlos Musik-Videos ausstrahlen?

PRO

Andreas Thiesmeyer – Produzent „Formel Eins“

Die Schallplattenindustrie versucht neuerdings über die GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) vom jeweils ausstrahlenden Sender pro Sekunde 25 DM zu kassieren. Das entspricht einem Minuten-Preis von 1500 DM oder zusätzlichen Kosten für eine FORMEL-EINS-Sendung von ca. 40000 DM bzw. 1.6 Millionen Mehrkosten für40 Sendungen, die die ARD 1984 ausstrahlen möchte Mit dieser Forderung stellt die Schallplattenindustrie leichtfertig eine Sendereihe aufs Spiel, die ihr sehr nutzt.

Ob die Forderungen der Industrie grundsätzlich gerechtfertigt sind, kommt sicher auf den Blickwinkel des jeweiligen Betrachters an Ich halte sie aus folgenden Gründen für absolut unkorrekt:

Videos werden in über 60 Ländern der Welt seit mehr als 10 Jahren eingesetzt. Keine Anstalt der Welt zahlt dafür mehr als symbolische Gebühren (z.B. die BBC 16 Pfund = ca. 60 DM) Einzige Ausnahme seit kurzem: MTV in den USA, weil dort mit Hilfe der Musikvideos Werbespots verkauft werden. In dem Fall sind Gebühren natürlich berechtigt.

2. Videos werden nicht hergestellt, um den Fernsehanstalten billige Programme zu ermöglichen, sondern aus kaufmännischem Kalkül.

Nehmen wir als Beispiele die erfolgreichsten Top-Acts der letzten Monate: Michael Jackson und David Bowie. Beide verfügen über teure Videos und treten grundsätzlich nicht „live“ im Fernsehen auf. Gehen wir einmal davon aus, daß die Videos für „Billie Jean“ und „Beat It“ zusammen etwa 500000 Dollar gekostet haben. Michael Jacksons LP hat sechs Millionen Exemplare verkauft, gegen Ende des Jahres werden es acht Millionen sein, und das Vielfache an Singles.

Legt man die Video-Produktionskosten auf die Anzahl der verkauften Tonträger um, so ergibt sich ein Pfennigbetrag. Um den gleichen Effekt ohne Videos zu erreichen, hätte Michael Jackson mindestens sechs Monate lang kreuz und quer um die Welt, von einer Fernsehstation zur anderen, reisen müssen.

Dasselbe gilt für David Bowie, dessen „Let’s Dance“-Video die Märkte für seine Welttournee vorheizte. Anstatt für jeweils 1000 DM Gage in TV-Studios Zeit zu verlieren, trat er jeden Abend in Riesenhallen oder Fußbalistadien auf. Umsatz pro Tag: 250000 bis 1000000 DM Die Werbung lief im Fernsehen per Video. Kostenlos! Und dafür sollen ARD und ZDF auch noch bezahlen?

3. Es ist allgemein bekannt, daß ohne Hörfunk und Fernsehen keine Schallplatten zu verkaufen sind.

Die Art ihrer Produktion bringt der Schallplattenindustrie den einmaligen Vorteil, daß sie selbige kostenlos – noch dazu mit verbindlicher Warenprobe – in Funk und Fernsehen bewerben kann. Jede andere Industrie muß Millionen für Werbung aufwenden, um ein neues Produkt im Markt zu etablieren.

CONTRA

Dr. Norbert Thurow – Geschäftsführer (GVL)

Die Schallplattenurnen haben der GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) die Inlands-Senderechte für Video-Clips mit Wirkung vom 1 3.1983 übertragen. Damals wurde absehbar, daß die Attraktion dieser Videos dazu führen würde, daß diese regelrecht zu Programm-Elementen des Fernsehens geraten würden.

Die Tonträger-Hersteller sehen sich zunehmend den Wünschen ihrer Künstler ausgesetzt, deren Titel auf Video zu produzieren und anzubieten. Das heißt dann, daß solche Clips „auf Verdacht“ hergestellt werden, denn die Fernsehanstalten suchen sich verständlicherweise aus einem immer größer werdenden Angebot mit wachsendem Vergnügen die attraktivsten Titel für ihre Sendungen heraus.

Selbst wenn man unterstellt, der Werbeeffekt der Ausstrahlung könne die Kosten für die Produktion eines Clips wieder „einspielen“ (warum sollte das eigentlich der Fall sein, wenn bereits bekannte Künstler und deren Hits präsentiert werden‘), gilt dies natürlich nicht für die aufwendig produzierten, aber dann von den Programm-Machern verschmähten Clips.

Ergebnis: Viele Tonträger-Hersteller sehen sich durch diese Entwicklung in die Rolle von Fernsehauftrags-Produzenten gedrängt, jedoch ohne Auftrag wider Willen und (bisher) praktisch ohne Vergütung.

Gäbe es kein Nachfrage-Monopol der Anstalten, sondern eine Vielzahl nachfragender Sender für solche Clips, so würde sich sehr schnell ein angemessener Marktpreis für die attraktiven Programme bilden, wie er sich gegenwärtig in den USA einzupendeln scheint. Dieser Preis könnte logischerweise nicht unterhalb der Produktions-Kosten liegen.

In der derzeitigen Medien-Situation in der BRD ist dies nicht möglich. Deshalb wurden die Rechte auf die GVL übertragen, die als Verwertungsgesellschaft angemessene Vergütungen (die der Nachprüfung durch das Deutsche Patentamt unterliegen) fordern kann, ohne Pressionen ausgesetzt zu werden, denen sich konkurrierende Anbieter gegenübergesehen haben und gegenübersehen Die Höhe der GVL-Vergütung muß noch ausgehandelt werden Jedenfalls wird sie weit unter den Kosten liegen, die eine Anstalt für Eigenproduktion entsprechender Programme aufwenden müßte. Schon die Beschaffungs-, TV-Systemwechsel-, Handling- und Service-Kosten liegen manchmal bei mehreren tausend DM pro Clip, Wenn derzeit für GVL-Rechte beim ZDF etwa 1.- DM pro Sekunde bezahlt werden (wenn es sich z. B. um Untermalungsmusik von Schallplatten handelt, so ist unschwer einzusehen, daß die Vergütung für ein ganzes geliefertes Programm incl. Bild entsprechend höher liegen muß. Für nur regional ausgestrahlte Sendungen sind verminderte Vergütungen ins Auge zu fassen.