BAP Övver Woodstock


20 Jahre ist es her, daß ein Pop-Festival Geschichte schrieb. 20 Jahre später, im Vorfeld ihrer anstehenden Open-Air-Tournee, möchten BAP zumindest einen Hauch von Woodstock vermitteln: Statt eines wahllos zusammengewürfelten Festival-Programms wollen sie ein Fest für Freunde. Zum Beschnuppern besuchte Wolfgang Niedecken den Festival-Gast und Woodstock-Veteranen Joe Cocker in New York.

BAP auf englisch, das klingt, als würde man eine Cola-Dose öffnen. Aber ansonsten war New York so kurz vor Ostern eine runde Sache. Der Schmal und ich waren schon fünf Tage vor dem eigentlichen Lokaltermin mit Joe Cocker über’n großen Teich geflogen, denn für uns beide – für den Schmal mehr noch als für mich – ist New York so etwas wie eine zweite Heimat. Der Kollege Boecker hat schließlich seinerzeit ein gutes Jahr lang in New York gelebt, geliebt und gearbeitet.

Die Autofahrt in die City dauert und dauert. Stets die erste Erfahrung, die man auf amerikanischem Boden macht: Unsere europäischen Entfernungsmaßstäbe werden von den Ausmaßen dieses Landes gesprengt. Alles ist größer, gigantischer und schneller. Köln wirkt im Vergleich wie ein Dorf, geradezu betulich.

Der erste Abend ist schnell vorüber, denn die innere Uhr läuft noch nach mitteleuropäischer Zeit. Man will sich nur mal so zum Relaxen ein bißchen langmachen und wacht mitten in der Nacht wieder auf. Das Hotel Grand Bay, in einer Seitenstraße des Broadway gelegen, ist komfortabel. Draußen jaulen die Polizeisirenen. Es klingt genauso, wie man das aus der Amis TV-Serien kennt.

Apropos Fernsehen. Die Fernbedienung gehört hier zur Grundausstattung. Man hackt sich sein Programm zusammen. Bei MTV rotiert Bon Jovi heftigst. Jon Bongiovi verlost sein Elternhaus. Außerdem gibt’s für den Gewinner 10000 Dollar, ein Motorrad „um die Nachbarschaft kennenzulernen“ und eine Einweihungsparty mit der Bon Jovi-Truppe. Man kann diesen Trailer spätestens nach einem Tag mitbeten. Der Wahnsinn hat hier wirklich Methode.

Als leidenschaftlicher Spaziergänger bringe ich Schmal dazu, die Stadt mit mir zu „erwandern“. Sowas läuft hier unter der Überschrift „eingrooven“. Denn als wir das letzte Mal in New York waren, nämlich zum Jahreswechsel 1979/80, kamen wir unter ganz anderen Bedingungen und feierten ein ganz anderes Fest.

Wir wollten nun da wieder anfangen, wo wir aufgehört hatten. Das ist leichter gesagt als getan. SoHo – der Name ist eine Abkürzung für die Gegend „South Of Houston“ – galt seinerzeit als ein Künstlerviertel. Dort wurde die inzwischen populäre Wohnidee des „Loft“ entwickelt: das Leben und Arbeiten in großen Etagen, Atelier mit Bettnischen und Kaffeemaschinen. Inzwischen ist es So-Ho ergangen wie der Kölner Süd-Stadt: Zugewanderte haben das für sie exotische Viertel plattgemacht. Wo Kolorit als schick ausgegeben wird, sind die Neureichen und Pseudos nicht weit.

Die Wanderschaft durch New York führt durch die Bowery, den berühmt-berüchtigten Penner-Stadtteil nach Greenwich Village. Wer genau hinschaut, kann auf dem VON DRINNE NOH DRUSSE-Innencover ein Foto entdecken: Wolfgang Niedecken an historischen Plätzen. Genauer gesagt: vor „Gerde’s Folk City“, jener Folkkneipe, in der Gevatter Dylan seine Karriere begann.

Unser zentrales Jagdrevier war und ist das East Village oder, wie Schmal es Stadtunkundigen erklärt, die „Südstadt New Yorks“. Dort trifft man noch auf den Wildwuchs und den Charme, den Künstlerviertel ausstrahlen. Dort – im Planquadrat zwischen 2nd Avenue, 14. Straße und St. Marc’s Place – sind wir zuhause.

Hier wohnt auch unser alter Freund Rainer Gross, genannt „de Motz“. Um die Familienverhältnisse mal zu klären: Rainer war ein Urur-Mitglied von BAP. Mit ihm und Schmal wurde die Idee, kölsch zu singen, entwickelt. Der Spitzname „Motz“ datiert noch weiter zurück. In die sogenannte Beatzeit. Rainer trommelte bei einer Truppe, die unter dem Namen Poor Boys firmierte. Da er den Einsatz des öfteren verpennte, taufte man ihn Schlafmütze, auf Kölsch „Schloofmötz“.

De Motz ist seit 1973 in New York, wo er, was kein Leichtes ist, als Maler gut lebt. Rainer, inzwischen mit einer Amerikanerin verheiratet, hat sein Atelier auf der 2nd Avenue. Beim Arbeiten hört der Mann ausschließlich klassische Musik. Seine CD-Sammlung, zu 99 Prozent Beethoven und Co., macht nur eine Ausnahme: BAP.

Balou, unser Manager, ist angekommen. Das bedeutet Arbeit. Er arrangiert das Treffen mit Cocker, telefoniert mit Cocker-Manager Michael Lang und einem New Yorker Fotografen, der diese Zusammenkunft lichtbildnerisch festhalten soll. Lang ist übrigens einer der Männer, die vor 20 Jahren von einem Bauern einen Acker mieteten, der in die Rockgeschichte einging: Woodstock, three days of love and peace. Bestrebungen, dieses Live-Ereignisses in Form von Konzerten in Woodstock, Berlin und anderswo zu gedenken, stecken noch im Planungsstadium.

Die Idee, unser Treffen auf dem Woodstock-Acker abzuhalten, wird aufgrund der Entfernung (mindestens vier Stunden Autofahrt) fallengelassen. Neuer Tatort: die Sigma Studios im Herzen von Manhattan. In der Empfangsecke treffen wir uns: Schmal, Balou, Michael Lang, Fotograf Waring Abbott und meine Wenigkeit.

Cocker führt sich ein, wie man es von diesem alten Haudegen erwartet. In bester Laune fragt er, ob es „some liquid refreshment“ gäbe. Wir werden einander vorgestellt. Die erwähnten Cola-Dosen gehen auf. “ Wie heißt die Band? Bääp???“

Cocker ist gut drauf. Sein neues Album A NIGHT OF SIN ist gerade fertig geworden. Stolz führt er uns im Kontrollraum die ungemischten Fassungen vor. In dieser Beziehung scheinen alle Musiker gleich zu sein.

Während wir andächtig lauschen, was Cocker & Co. zustandegebracht haben, baut der Fotograf seine Lampen auf.

Nach der privaten Audition werden wir allesamt in einen Gästeraum des Studios verfrachtet. Der Fotograf ist ein echter New Yorker: Schnell und professionell. „Arm etwas höher, Kinn etwas mehr so..!“.

Waring, Haus- und Hof-Linsenmann von Lou Reed und seit Jahren f+r dessen Cover zuständig, soll uns Karten ßr eine Reed-Show in einem Broadway-Theater besorgen. Ob Joe auch mitkommen will, fragen wir. Er ist zögerlich und windet sich. Schließlich rückt er raus mit der Sprache und meint, Lou Reed sei der beste „non singer-singer“, den es gibt. Aber sein Bier wäre das nicht. Der Mann wird Freude an mir haben, falls wir im Juni tatsächlich Zugaben zusammen darbieten.

Auf der Fahrt ins East Village, wo man ein paar „Schüsse“ mit New York-Kolorit machen will, blättere ich in der neuesten Ausgabe des „Rolling Stone“. Ein Artikel fällt mir – ganz klar warum – ins Auge: „Now They Spell It Wood$tock“. MTV wird den Originalfilm senden und eine Serie mit dem Titel „Woodstock Moments“ lancieren. Warner Brothers, die Besitzer der Filmrechte, werden den Film wieder in die Kinos bringen.

Man plant auch Merchandising-Kampagnen: Hüte, Jacken, Aufkleber und – aufgepaßt – T-Shirts mit dem berühmten Tauben/Gitarrenhals-Emblem. Ich sehe schon die Dollarzeichen in den Augen der Verantwortlichen.

Joe hält sich zu diesem Thema bedeckt. Er hat schon oft genug seinen Senf zu diesem Thema abgelassen.

In East Village am St. Mark’s Place sucht der Fotograf Motive: Zeitungsstand, Taxifahrer, eine echte amerikanische Ambulanz. Als die Frage aufkommt, ob man mal eine Pause einlegt, wird Joe wach. „Please“, meint er mit Seitenblick auf Michael, „I need a refreshment.“

Die Bar ist ein düsterer langgezogener Raum. Keiner nimmt Notiz von uns. Wir reden über New York. Cocker, der mit seiner Frau im sonnigen Santa Barbara wohnt und sich derzeit per Green Card um eine Daueraufenthaltserlaubnis bemüht, steht auch auf die Stadt. „Aber nach ein paar Wochen werde ich ramdösig, dann muß ich langsam wieder ein paar Bäume und ein bißchen Grün sehen. Wäre nichts auf Dauer für mich.“

Nach weiteren Fotoaufnahmen im East Village mahnt Lang zum Aufbruch. Wir schauen trotzdem noch bei der „Motz“ rein, wo Joe sich redlich bemüht, den Hintersinn der Objekte zu erfragen.

Good Friday, Karfreitag. Es regnet. Schmal fährt mit dem Taxi durch halb New York, um den Whiskey zu erwerben, den Keith Richards genießt. „Der Liquor Store war so groß wie bei uns ein Aldi. Soweit dein Auge reicht nur Spirituosen. Und ,Rebel Yell“.“ Aus dem von Balou angekündigten Hubschrauberflug zum Flughafen wird nichts. Es windet zu sehr. Cocker ist auf dem Weg nach Kalifornien. Über Woodstock hat er nicht gesprochen.