Berlin Festival 2015: Zu Gast im elektronischen Großstadtzirkus


"Berlin in a nutshell" könnte die Unterzeile des Berlin Festivals lauten – die Macher des Drei-Tage-Spektakels können zufrieden sein, denn bei den Besuchern kam der künstliche Großstadtzirkus gut an.

Das Berlin Festival hat umgesetzt, wovon es bereits im letzten Jahr geträumt hat – die Macher haben das einstige BVG-Depot in einen Spielplatz für Erwachsene verwandelt, auf dem der polarisierende Großstadtvibe in Erscheinung und Sound dominiert. Berliner Kunst im Art Village, Lesungen (wie die von Westbam aus seiner Biografie „Die Macht der Nacht“), Filmvorführungen und adoleszente Leichtigkeit an jeder Ecke boten den Besuchern abseits der Bühnen reichlich Unterhaltung und Instagram-Potenzial, im Retro-Zirkuszelt forderten Stelzenläufer tagsüber zum Bällewerfen auf. Gegen 22 Uhr war Schluss mit den Faxen auf dem Rasen vor den verwinkelt gelegenen Bühnen und Zeit für die Hauptattraktion: Tanzmusik in den Hallen.

Für Electrofans bot das Berlin Festival dieses Jahr ein starkes Line-Up: Am Freitag waren es vor allem Marek Hemmann, Tiga und Westbam, die den gemächlich eintrudelnden Partygängern die alte Schule näherbrachten. Mit Ratking mischte sich auch ein genreflexibles New Yorker Hip-Hop-Projekt in den Abend ein – dem aufgeputschtem Trio hätte man im Glashaus deutlich mehr Zuschauer gewünscht, ebenso wie Beatrice Eli (nicht EGLI) aus Schweden, die im strengen Domina-Look Frauenthemen von Sex bis Liebeskummer durchpeitschte. Spätestens bei GusGus aus Island kam es dem akustikaffinen Festivalgänger dann doch wieder über die Lippen – der Sound in der Arena konnte auch in diesem Jahr nicht vollends überzeugen und verschluckte den Punch, mit dem das Kollektiv seine Musikstücke unterfüttert.

An Tag zwei sorgte insbesondere der Auftritt von James Blake für weiche Knie, zumindest für jene, die sich auf das vielschichtige Soundgefüge des Briten einlassen wollten. Einfacher gestrickt, aber nicht minder gefeiert war da Zopf- und Bomberjackenfan Romano sowie die anschließende souveräne Performance vom Berliner Fritz Kalkbrenner. Am Sonntag galt es dann „schon“ um kurz vor 20 Uhr wieder auf den Beinen zu sein. Atari Teenage Riot gaben den Zuschauern vor der Mainstage ordentlich auf die Zwölf, zum Stimmungsliebling des Abends kürte das Publikum allerdings zweifelsfrei Rudimental. Mit den Bühnenshow-Profis Róisín Murphy, Occupanther und zu guter Letzt Underworld wurde der finale Festivalabend noch einmal erstklassig besetzt. Kleiner Schreckmoment des Abends: Die Feuerwehr musste anrücken, weil hinter den Kulissen eine Kiste mit Feuerwerk hochgegangen war.

Aus den Fehlern und Fehlschlägen des letzten Jahres haben die Veranstalter viel gelernt. Während man sich bei der letzten Ausgabe noch durch verstopfte Gänge von Bühne zu Bühne schlängeln musste, boten dieses Mal zusätzliche Ausgänge und ein ausgeklügelteres Leitsystem Entlastung. Auch an den Festivalbars hat sich etwas verändert. Man zahlte mit Armbandchip, der zuvor an extra eingerichteten Zelten aufgeladen werden musste. Eine zum Teil umständliche Sache, denn anstatt an der Bar stand man sich nun dort die Beine in den Bauch, wenn man zuvor die Bierpreise unterschätzt hatte. Trotz mancher Motzereien überwiegt jedoch der positive Eindruck: das Berlin Festival hat sich neu erfunden und überzeugt heimische wie internationale Besucher in seiner Rolle als elektronischer Großstadtzirkus.