Bildband „The Family“: Im Angesicht des Verbrechens


Mit “The Family” führt der britische Fotograf Jocelyn Bain Hogg seine sinistre Dokumentation über die britische Unterwelt fort.

Ein Club in Soho, einige Whiskeys und ein Männergespräch. So kam der britische Fotograf Jocelyn Bain Hogg durch Zufall in Kontakt mit einem Mitglied der britischen Unterwelt im Londoner East End. Man mochte seine Fotos. Und so bekam er über vier Jahre lang Zugang zu einer Welt voller strikter Codes, Loyalitäten – und alltäglicher Gewalt. Er portraitierte den Londoner Bandenführer Joe Pyle Sr. und dessen Umfeld. Pyle Sr. war mit den berüchtigsten britischen Gangstern der 60er und 70er Jahre befreundet – den Kray-Zwillingen und den Richardsons, war tief verstrickt in den britischen Drogenhandel, und besaß Verbindungen zur internationalen Mafia. Das war 2001, und Bain Hogg veröffentlichte diese Fotos in dem Bildband The Firm.

Nun, zehn Jahre danach, erschien The Family, für das er aufgrund einer Auftragsarbeit über Jugendkriminalität erneut mit dem Pyle-Clan in Verbindung kam. Wieder entstanden Bilder von erschreckender Brutalität, die seinen Angaben zufolge allesamt nicht gestellt sind. Nach dem Todvon Joe Pyle Sr. 2007 übernahm dessen einziger Sohn John Pyle Jr. die Londoner Geschäfte, und Bain Hogg begleitete ihn und seine „familiäre“ Entourage, die der Vater noch vor seinem Ableben um ihn geschart hatte, in Clubs, zu illegalen Boxkämpfen, auf Beerdigungen, in ihre Häuser und während der täglichen Geschäfte.

Unheimlicher als die Tatsache, dass die britische Unterwelt eben alles andere als eine überhöhte popkulturelle Projektion von Filmemachern wie Matthew Vaughn oder Guy Ritchie zu sein scheint, ist beim Betrachten der Bilder die Nähe, die die Abgebildeten zulassen. Ihr Selbstverständnis scheint sich nicht durch Unsichtbarkeit in der Schattenwelt zu definieren, oder durch politische Korruption. Stattdessen wirken die Aufnahmen konfrontativ, eitel und fast wie die britischen „Sopranos“: Sie empfinden sich als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft.