Böse Onkels


Keine andere Band ist so umstritten wie die des amerikani- schen Musikers Marilyn Manson. Und keiner beherrscht das Spiel mit den Medien besser als der selbsternannte Antichrist.

V Viele Menschen in Amerika hallen es /iimiiulesi mkIii liir ausgcsililossen, liass Marilyn M.inson kk’jiu° Kiiulcr tiisst. Kt’in Wuiulci“, li.it der 31-jiilirigc in diii kl/.kn /i’hn Jahren doch al-U-s, wirklich alles unternommen, siih /um UürRersfhrerk der N.uinn hoih/usiilisieren. Man son h.u s.iiiiilic he (.ron/en dos guten – .i’schni.itks gospiengl, alle gängigen Moralvorslel hingen ühi’r den I l.iult’ii geworfen, keine (U-legenheit ausgelassen, du{¿uii’ii Siucii mit l-‚üKcn zu treten. Mit seiner Strategie aus ge/.ieller l’rovokalion und geschickt gestreuten Ceriiihten ist er heule das, was er im Tilel seines “JCier-Alliunis ankiindigle; dei Antiehrist Superstar lütern selien in ilim eine liedrulning für das Seelenheil ihrer Kinder, religiöse Organisationen wr.ieliUMi ihn, konservative Politiker würden gerne seine Platten und Shows verbieten lassen Auf der anderen Seile seine laus, die ihn verehren und seine Alben .in die Spitze der ( haus kaulen. Anders stellt sich die Situation in Luropadai In der Allen Welt nimmt m.in Marilyn M.inson nicht m.il halb so ernst. Im (iegenteil, man steckt ihn in die Abteilung Skurriles, zwischen „K“ wie Rocky Horror l’ictuic Show und „S“ wie Sigue Sigue Sputnik und verp.issi ihm die Holle von I lui-Uuh, dem Rocknespenst.

Gründe dafür gibt es viele. i:iner. „I lier/ul.uulc li.t ben die Leute ein liespiir (in Ironie und S.irk.ismus“, do/iert ein .uilgei.iumlei, vergleichsweise dezent geschminkter Marilyn M.inson im Interview. „In Amerika ist das leider völlig «Inders, die Leute dort stumpfen mehr und mehr ah, weiden von lag zu l‘.ig dümmer.“ Inwieweit die (iover des neuesten Albums „lloly Wood“, das einen gekreuzigten M.inson zeigt, und der Single „Oisposablc leens“, auf der ein gekreuzigter fötus abgebildet ist, noch irgendetwas mit Ironie und S.irk.isimis zu tun haben, sei mal dahingestellt, lür M.inson selbst sind die provozierenden Motive nur Mittel zum /weck. Ihm geht es darum, crölstmönliche Titelthema

Aufmerksamkeit zu erzielen. „Diejenigen, die mich hassen, werden mich sowieso nie verstehen. Warum soll ich denen klein bei geben? Ich will im Gespräch bleiben, meine Kunst verkaufen. Musik hat heutzutage eine sehr kurze Halbwertszeit, die Aufmerksamkeitsspanne der Leute nimmt ständig ab.“

Um dem entgegenzuwirken, hat Manson im Laufe seiner Karriere Skandal an Skandälchen gereiht, jedem und allem vor den Kopf gestoßen und so manch amüsante, publicityträchtige Anekdote gestreut. Vor einiger Zeit zum Beispiel ließ er verbreiten, dass seine Villa in Los Angeles zum Auffangbecken abgehalfterter Hollywood-Existenzen geworden sei: „Mein Haus ist so eine Art ‚Studio 54‘ geworden. So zwischen sechs und sieben Uhr morgens veranstalte ich gern einen Karaoke-Wettbewerb. Da kann es schon mal vorkommen, dass Leute wie Corey Feldman (war Mitte der Achtziger ein gefeierter Nachwuchsschauspieler, u.a. in „Stand By Me“ und „The Lost Boys“ zu sehen; Anm. d. Red.) und Leif Garrett (er spielte in „Die Outsider“ 1983 an der Seite von Tom Cruise und Malt Dillen, danach hone man so gut wie nichts mehr von ihm; Anm. d. Red.) zusammen den Titelsong von ‚Grease zum Besten geben. Eine durchaus bizarre Vorstellung. Ein anderes Mal zoffte er sich medienwirksam mit Billy Corgan von den Smashing Pumpkins, der ebenfalls gern und oft Gast in der Manson-Villa gewesen und dort auch so maneher illegaler Erfrischung Flicht eben abgeneigt gewesen sein soll. ALich Kollegen hielten die Cerüchteküche am Brodeln. Brian Molko von Placebo attestierte Manson auf offener Bühne, dass er ganz exquisite Blowjobs gebe. Ozzy Osbourne wusste zu berichten, dass er einmal mit dem Vater von Marilyn Manson geplaudert habe, und der hätte ihm ins Gesicht gesagt: „Du bist der Antichrist, aber mein Sohn ist der Antichrist Superstar.“ Wirklich vorgefallen oder gut erfunden? Egal. Einzig Alice Cooper, von dem sich Manson bekanntlich so manches abgeschaut hat, wollte am munteren PR-Spielchen nicht teilnehmen. Auf Manson angesprochen, meinte er einmal nur höhnisch: „Der Typ hat sich einen Frauen-Vornamen zugelegt und trägt Make-up. Wie originell.“

Iniwischen hat Manson Schützenhilfe jedweder Art eigentlich nicht mehr nötig. Sein Marketingkonzept ist voll aufgegangen, er ist ohne Frage einer der größten Rockstars der Gegenwart, eine Ikone der Popkultur. Der Preis dafür war relativ hoch. Die Medien nämlich beschäftigten sich meist nur mit Marilyn Manson, dem komplett durchgeknallten Freak, dem furchteinflößenden Sex- und Drogen-Monster. Die andere Seite von Marilyn Manson, die des talentierten Künstlers, der seine bizarren, extravaganten visuellen Vorstellungen und seine – zugegebenermaßen weniger extravaganten – musikalischen Ideen zu einem doch eindrucksvollen Gesamtkunstwerk vereinte, ging dabei oft unter. Das soll sich jetzt ändern. Zwar will Manson weiterhin nicht von Provokationen jeder Art lassen, doch liegt ihm viel daran, dass er auf seinen Alben durchaus etwas zu sagen hat. „Mit ‚Antichrist Superstar‘ habe ich das Ende festgelegt, ‚Mechanical Animals‘ war der Mittelteil.

Mit ‚Holy Wood‘ erzähle ich jetzt den Anfang der Geschichte. Das Ganze trägt sehr starke autobiografische Züge. Auf ‚Antichrist Superstar‘ habe ich damals schon beschrieben, wo ich heute stehen werde. ‚Mechanical Animals‘ erzählt, wie mich die Plattenfirma gerne gehabt hätte, und ‚Holy Wood‘ Schilden, wie ich mich am Anfang meiner Karriere gefühlt habe.“ Im Mittelpunkt steht dabei immer sein Hass auf die Gesellschaft, auf Bigotterie und doppelbödige Moralvorstellungen. „Ich kann nachvollziehen, wie sich lugendliche heutzutage fühlen. Ich kenne dieses Gefühl der Isolation, diesen Hass, diese Verbitterung. Sie merken, dass ihre Meinungen nicht gefragt sind, sondern dass sie nur als Konsumenten wahrgenommen werden. Dass sie nichts wert sind, solange sie nicht das kaufen, was ihnen die ganze Zeil im Fernsehen vorgeführt wird. Das ist es, was einem in Amerika unterbewusst ständig eingetrichtert wird. Ich habe glücklicherweise die Möglichkeit, meine Wut darüber in einer Platte zu verarbeiten.“ Dass viele ob des theatralischen Brimboriums, das Manson um seine Figur veranstaltet, die Botschaft nicht mitkriegen, ist ihm sehr wohl bewusst. „Als Künstler kann ich nicht erwarten, dass jeder alles so interpretiert, wie ich das gerne hätte. Einige finden meine Songs gut, weil ihnen der Sound gefallt, andere mögen sie, obwohl sie kein Wort von dem Text verstehen. Anderen hingegen geben sie das Gefühl, dass da jemand ist, der sie versteht. Ich möchte die erreichen, die zumindest mit den Grundideen etwas anfangen könne. Ich kann und will den Leuten keine Antworten geben, ich will sie nur in die richtige Richtung lenken.“

Nachdenkliche Töne, die man in dieser Form bis dahin selten von Marilyn Manson gehört hatte. Noch vor anderthalb lahren war das ganz anders. Der einschneidende Punkt war der 20. April 1999. An diesem Tag erschießen Dylan Klebold und Eric Harris an der „Columbine Highschool“ in Littleton, Colorado, 13 Mitschüler, bevor sie sich selbst richten. In den ersten Meldungen heißt es, die beiden seien fanatische