Böses Blut


Es war eine schwere Geburt. Nach einem unerwarteten Karriereknick wollte es Falco diesmal besonders gut machen. Demos seiner bisherigen Produzenten Bolland & Bolland lehnte er ab und engagierte für seine LP WIENER BLUT die Jennifer Rush-Macher Mende/DeRouge. Doch nach kurzer Euphorie flogen die Fetzen. Statt Wiener Blut gab's:

Er hatte die Asse in der Hand. „Amadeus“ war als erster deutschsprachiger Popsong Nummer 1 in den heiligen Billboard-Charts geworden; der erste, über drei Alben laufende Plattenvertrag des ehemaligen Wiener Szenenkindes war ausgelaufen. Manager Horst Bork konnte sich zurücklehnen und Hofhalten. Mit Teldec handelte er einen Plattenvertrag aus, der sich von allen anderen in einigen wenigen, aber wesentlichen Punkten unterscheidet: Falco stehen rund 15% Tantiemen zu —- dazu Garantien in Millionenhöhe. Und — was in den letzten Monaten zum wichtigsten Vertragspunkt wurde -— das Recht, sich jede Nummer für seine Platten selbst aussuchen zu können. Kurzform: Teldec zahlt. Falco befiehlt. Hauptsache, die LP wird innerhalb einer gestellten Frist fertig.

Der Vertrag wurde unterschrieben, die ersten Garantiezahlungen entzückten Hans Hölzeis Bankdirektor. Nicht aber den österreichischen Finanzminister: Falco zog es vor, Ausländersteuer in Deutschland zu zahlen und sich so einen netten Prozentsatz der rotweißroten Spitzensteuer (62%) zu ersparen.

Allein —- der Erfolg blieb aus. Das erfolgsgewohnte Team Falco/Rob und Ferdi Bolland hing durch. „The Sound Of Music“, der Versuch, ein US-Kitschmusical für einen Chartserfolg zu mißbrauchen, floppte. „Coming Home“ noch mehr. Die großartige Nummer „Emotional“ kam als Single zu spät: die LP war bereits gestorben.

Die Schuldigen wurden von Falco und seinem Manager schnell geortet: Sie saßen in Holland und hießen Bolland -— und sie machten, was sie wollten. O-Ton Horst Bork: „Die forcieren ihre eigene Karriere. Das find ich toll und riesig, aber dann haben sie nicht mehr das kreative Potential, das Falco braucht. Ihnen ist die eigene Platte näher als die vom Hans. Damit kann man leben.“

Sicher: Denn noch während die Gebrüder Bolland schwache Demos an Falcos Privatadresse schickten und nicht daran zweifelten, nach dem größten Erfolg eines deutschsprachigen Künstlers auch dessen nächste LP produzieren zu können, hatte sich der Bayer Bork im Frankfurter Interconti mit den beiden Produzenten Günther Mende und Candy DeRouge zusammengesetzt, beeindruckt von deren Erfolgen mit Jennifer Rush, Bonnie Bianco und Sallv Oldfield. Vier Wochen später legen die beiden vier Demos vor —- darunter „Walls Of Silence“, eine langsame Nummer mit leicht orientalischem Touch, und „Book Of Love“, das Falco endgültig davon überzeugt, seine neuen Steigbügelhelfer gefunden zu haben.

Die Bollands werden geschaßt. Falco, noch nie auf den Mund gefallen, weiß sofort, warum: „Die glauben, ich singe auf ihrer LP. Und sie wollten über Prozente verhandeln, bevor sie Demos abliefern. Ein Titel hieß dann ,Rap Rap Rhapsody‘, da hat’s mir gleich die Ohren angelegt. Ich nur in der Gefahr, mich in einer gewissen Selbstherrlichkeit zu wiederholen!“

Also traf man sich zum Jahreswechsel ’87/’88 im „Far Studio“ in Roßbach bei Frankfurt. Man lachte, scherzte, spielte, produzierte, sang. Und man lobte sich. Bork: „Wer für Jennifer Rush und Sally Oldfield so haarscharf auf den Punkt schreiben kann, wird das auch für Falco first class erledigen!“

Mende: „Falco ist eine der genialen Topgeschichten dieser Zeit. Fr lebt durch seine ganz eigene Art der Interpretation und durch seine Textideen. Bei ihm passiert sehr viel im Kopf. Es lohnt sich, seine Gedankengänge zu verfolgen!“

Ende Januar 1988 war die neue, fünfte Falco-LP fertig. AYA hätte sie heißen sollen —- die letzte Silbe der geplanten Singleauskoppelung „Sand am Himalaya“. Zeitgeistiges Zitat aus dem Lied:

„Abgehoben ist die Welt von heut‘, ob allein, zu zweit, oder am Kanapee bei Sigmund Freud. Doch ungeachtet des Geschlechts folgt im Tango jedem Schwung nach links der Schritt nach rechts. Wir suchen Sand am Himalaya, suchen Schnee am Playa. Der neue Sinn des Lebens: Die Politik des Schwebens…“

Irgendwann im Februar muß irgendjemand Falco einen Floh ins Ohr gesetzt haben. Ein Freund, ein Berater, oder ein Herr von der Plattenfirma. Die Lieder wären ja ganz gut, aber nicht so ganz Falco-like. Zu gelackt, zu Jennifer Rushmäßig. Vor allem: Kein Hit in Sicht.

Wenige Wochen können alle Beteiligten den Umsturz der Falco-Pläne vertuschen. Wer nach dem Verbleib der Bänder fragt, hört, daß sie bei einem Einbruch gestohlen worden wären. Oder daß sie irrtümlich gelöscht worden wären. Tatsächlich aber hatte Falco beschlossen, nur vier der Lieder aus den Frankfurter Sessions zu verwenden, ein in den Hamburger Star-Studios („Modern Talking“) selbst produziertes Lied („Do 1t Again“, ein Cover von Steely Dan) dazuzugeben und für den Rest die beiden Bolland-Brüder zu beauftragen. Die reagieren zuerst verhärmt. Dann hören sie auf ihren Business-Berater, schließen einen Vertrag und schicken -— diesmal exzellente -— Demos. Falco weiß wiederum sofort, warum er zurückkehrt:

„Der Frankfurter Ausflug war eine erzieherische Maßnahme für die Bollands!“

Die Wut im Bauch macht sich inzwischen bei Mende/DeRouge breit. Nicht nur deswegen, weil die beiden ihre amerikanischen Verlagsrechte an der Falco-LP angeblich schon nach Amerika verkauft hatten und jetzt ohne LP dastehen, sondern auch aufgrund der Vorgangsweise des Falco-Clans: „Wir haben die Bänder abgeliefert und seither weder vom Künstler noch von seinem Management etwas gehört. Es kamen nur Briefe, und zwar in der unverschämtesten Art und Weise. Die Plattenfirma wollte etwas anderes aus unseren Bändern machen, dagegen haben wir uns gewehrt!“

Mit einer gerichtlichen Verfügung wollen Mende/DeRouge ein neues Abmischen ihrer Tapes verhindern. Bork, auch nicht faul, will mit einer weiteren gerichtlichen Verfügung die Herausgabe der Bänder erwirken -— erfolgreich. Tatsächlich kommen jetzt nur diese vier Titel auf den neuen Falco-Longplayer. der Ende Auaust erscheint und zuletzt den Arbeitstitel WIENER BLUT trug: „Walls Of Silence“, „Book Of Love“. „Sand am Himalaya“ und „Solid Booze“. Was Günther Mende zu einer Schimpfkanonade provoziert: „Da kommt so ein krankes Wiener Hirn, läßt uns nach sieben Monaten gemeinsamer Arbeit im Glauben, daß alles toll ist und ist dann plötzlich aufgrund von Dingen, die in seinem Kopf passieren oder auch nicht, nicht mehr zufrieden. Auf so einen Schwachsinn kann ich nicht eingehen, wenn aufgrund irgendwelcher psychosomatischer Umstände im Hirn eines Künstlers irgendetwas aussetzt. Ich habe es mit einem völlig hirnrissigen, kranken Fuzzi zu tun!“

Bork zu dem Fall: „Wir waren von Anfang an vorsichtig, haben uns gedacht: erstmal fertigmachen und dann entscheiden. Wenn ich mir den Level von Falco anschaue, dann reicht von diesen Liedern eben nur die Hälfte dafür. Eine herbe Wahrheit, aber sie muß ausgesprochen werden. Was für Helen Schneider und Bonnie Bianca reicht, reicht für Falco eben nicht!“

Faco selbst kommentiert ebenfalls: „Diese Lieder waren mir nicht gut genug. Wenn Prince eine Platte einstampfen kann, kann ich das auch. Ich bin sehr resolut, wenn’s darum geht, meinen Willen durchzusetzen.. Auch wenn das sehr viel Geld kostet.“

Jedenfalls: Am 15. Juni, dem Tag der Abgabe der Mastertapes, war alles in Butter. Falco war bei den Bollands gewesen. Man lachte, scherzte, spielte, sang. Und man lobte sich. Wie üblich. Denn man ist -— wohl zu Recht — überzeugt, Tophits auf dem Album zu haben. Da sind zuerst einmal die beiden Titel, für die das Wiener Duo Hannes Rossacher/Rudi Dolezal Anfang August die Videos drehen: „Wiener Blut“, ein schnelles Lied, gerapt, voll im Wiener Dialekt. Und „Falco Rides Again“, die englisch/deutsche „Kennmelodie“ zum Plattencomeback des Falken. „Garbo“ ist auch nicht zu verachten: ein starkes Stück mit Sprechgesang und typisch holländischem Ohrwurm-Refrain.

Kein Zweifel: Falco wird es wieder schaffen, wird mit WIENER BLUT in die Charts zurückkehren, wird bei seiner Deutschlandtournee ab 1 Oktober Erfolge feiern. Kein Zweifel: In diesem Geschäft gibt es keine Sympathien. Außer die für den Dollar.