Calling Elvis


Alle Jahre wieder: Jemand will ihn gesehen, ein anderer verschollene Aufnahmen entdeckt haben. Der Elvis-Kult ist ein alter Hut. Zu seinem 15. Todestag aber treibt die Manie bizarre Blüten wie nie

Elvis Presley hatte nach seinem Tod alle Hände voll zu tun: Er geistert durch unzählige Songs, ist Stammgast bei der Yellow Press („Elvis lebt!“), liefert die Scripts für Filme und TV-Serien, ja darf sogar bei „Gottschalk“ angebliche Elvis-Aufnahmen vorstellen, die nach seinem angeblichen Tod gemacht wurden.

15 Jahre nach nämlichem Exitus ist Elvis derart omnipräsent, daß man Regisseur Spike Lee nur aus ganzem Herzen zustimmen kann. Der nämlich bemerkte unlängst zu Elvis-Fanatiker Eddie Murphv: „Ich wünschte, der gottverdammte Kerl wäre nie gestorben. Dann müßte ich nicht jeden Tag diesen Schwachsinn über ihn lesen.“

Der bizarre Elvis-Kult ist Thema eines voluminösen Buches, das gerade in den USA erschien. Es sind vor allem die pseudo-religiösen Auswüchse der Presley-Verehrung, denen Greil Marcus in „Dead Elvis“ nachgeht. Elvis, so seine Theorie. “ war der Urknall. Mit ihm detonierte das Musikuniversum — und vergrößert sich immer noch. Solange die Partikel durch den Kosmos irren, werden auch die bizarren Elvis-Theorien nicht verstummen. „

Nach Jahren des Chaos‘ hat sich auch die Elvis-Firma RCA aufgerafft, die verstreuten Bestandteile von Presleys musikalischem Vermächtnis zu einem stimmigen Mosaik zusammenzusetzen. Presleys Nachlaß-Verwalter hatten so eifrig Repertoire-Recycling betrieben, wie ein glühender Umweltschützer seine leeren Weinflaschen entsorgt: Seit dem Tod des Kings im Jahre 1977 wurden sage und schreibe 35 „neue“ Presley-Platten aufgelegt, von vertretbaren Wiederveröffentlichungen bis hin zu hirnlosen Dubletten. Die übelsten Kompilationen wurden in den Jahren direkt nach seinem Ableben auf den Markt geworfen, dazu gehören u.a. so schwachsinnige Editionen wie „Elvis Sings For Children And Grownups Too“ und bizarre Kollektionen, die man entweder ihres ursprünglichen Klang-Hintergrundes beraubte oder mit angeblich „modernen“ Over-Dubs aufzupäppeln versuchte.

Doch damit nicht genug. Wer ¿

annimmt, die RCA-Verantwortlichen seien des Repertoire-Kannibalismus überdrüssig, irrt gewaltig. Justament hat man firmenintern einen nachgerade revolutionären Ansatz entwickelt: Man nimmt sich und die gestellte Aufgabe ernst! In den letzten beiden Jahren hat die RCA — oder, um genau zu sein, die Bertelsmann Music Group (BMG) — eine weltweite Suche nach den besten Presley-Masterbändern gestartet. Außerdem hat die Firma ein fünfköpfiges Expertengremium, genannt „Elvis Committee“, berufen, dessen Aufgabe darin besteht, die Pflege des Presley-Kataloges zu überwachen. Mag sein, daß es klingt wie die geheime Order der Bruderschaft ehemaliger Presley-Bodyguards, aber die Fünfer-Bande hat sich ernsthaft vorgenommen, der Welt geschändetsten Katalog seriös zu betreuen. Glaubt man dem dänischen Delegierten Ernst Jorgensen, dann ist die momentane Suche der Versuch der vollständigen Inventari; sierung aller Presley-Titel.

In jüngster Zeit entwickelte das Komitee bemerkenswerten Ehrgeiz, saubere Wiederveröffentlichungen, gelungene Box Sets und Raritäten-Sammlungen zu veröffentlichen, die eigens für bestimmte Märkte entwickelt wurden. Im Hinblick auf das globale Vorgehen nannte Jorgensen die Mission des Komitees „Elvis für jederm an“ (nach einem gleichnamigen Album aus dem Jahr 1965).

Obwohl die RCA — angespornt von dem durch die CD ausgelösten Reissue-Boom — bemüht ist, das wilde Patchwork des Presley-Erbes unter Kontrolle zu bekommen, gesteht Jorgensen gern ein, daß die Katalogpflege ein haariges Kapitel ist. „Wir sind heute zumindest so weit, definieren zu können, was der Katalog im Falle von Elvis überhaupt ist“, sagt Jorgensen. „Unser Grundsatz heißt: Der Katalog besteht vornehmlich aus jenen Originalalben, die zu Lebzeiten von Elvis veröffentlicht wurden. Dazu gehören aber nicht jene seltsamen Kompilationen, die die Veröffentlichung der Originalalben überlappen.“

Doch damit steht man schon vor dem vertracktem Problem: Elvis hat

im Gegensatz zu den Beatles in seinem ganzen Leben keine Alben, sondern Songs aufgenommen.

Und noch ein zweites Ärgernis plagt die Gralshüter des Presley-Nachlasses: Das Kommitee ist dummerweise nicht für alle Presley-Veröffentlichungen verantwortlich, die RCA schließlich herausbringt. Und so gibt es Grabenkriege und Intrigen zwischen den Presley-Experten zuhauf.

Der Musikkritiker Greil Marcus, Autor des gerade veröffentlichten Buches „Dead Elvis: A Chronicle Of A Cultural Obsession“, meint trotz aller Probleme, daß die Handhabung und Pflege des Elvis-Katalogs besser sei, als er es erwartet habe. „Man versucht“, so Marcus, „Elvis davor zu bewahren, eine blutleere Kultfigur zu werden, wie es etwa bei Gene Vincent oder Eddie Cochrane der Fall ist. Elvis soll präsent bleiben ab Teil der Massenkultur mit all den Widersprüchen, die dies letztlich beinhalten mag. „

Auch Elvis-Forscher Jorgensen hat sich das Ziel gesetzt, „die Well auf Elvis aufmerksam zu machen. Es wäre zu wünschen, daß gerade die Amerikaner Elvis wiederentdecken für das, was er ursprünglich war — und sich seiner nicht erinnern als übergewichtiger Pummel, der unter obskuren Umständen gestorben ist und nichts mehr drauf hatte in den letzten fiinf, sechs Jahren seiner Karriere. Immer wenn man mit einem Amerikaner über Elvis spricht, kriegt man einen müden Witz über seine unappetitlichen Eßgewohnheiten serviert, über sein monströses Aussehen… Sie machen ihn lächerlich — und das ist bedauei _g lieh. Denn Elvis Presley gehört nun =* mal zu den wirklichen wichtigen Fi-I guren der amerikanischen Kultur des 1 20. Jahrhunderts — als Zeitgenosse I innerhalb seines sozialen Umfeldes t! und natürlich auch als Sänger und I Popularmusiker.“

Anläßlich des 15. Todestages von Presley im August soll — laut RCA-Repertoire-Pfleger Don Wardell — ein repräsentatives CD/LP-Set veröffentlicht werden, das alle Aufnahmen aus den 50er Jahren enthält. In der Pipeline sind außerdem die vierte Ausgabe von „Essential Elvis“. Reissues von „Back In Memphis“, ,.EIvis In Person At The International Hotel“, „He Touched Me“, „Elvis Country“ und „Aloha From Hawaii Via Satellite“ — alles unter dem Motto „Elvis forthe90’s“.

Die Feinabstimmung des Elvis Kataloges wird das Komitee voraussichtlich bis 1995 in Atem halten — und selbst wenn dann in der westlichen Welt ein gewisser Sättigungsgrad in punkto Elvis erreicht sein dürfte, gibt es genügend neue Märkte, die man auch im nächsten Jahrtausend noch bedienen kann (und wohl auch bedienen wird). Zum Beispiel: China. “ Um Elvis dort entsprechend einzußhren“, so Don Wardell von RCA, „engagierten wir einen Sänger, der die berühmtesten Elvis-Titel in Kantonesisch aufnimmi. Wenn die Originale dann irgendwann einmal auf den Markt kommen, haben die Menschen zumindest eine vage Vorstellung von dem, was ,Blue Suede Shoes‘ überhaupt sind. „

Da haben die Amerikaner ganz andere Probleme. Zum Todestag im August soll Elvis erstmals auf einer US-Briefmarke verewigt werden. Nur: Soll’s der junge, schlanke Elvis sein — oder doch das aufgeschwemmte Monster, dessen Todestag am 16. August gedacht wird? Die amerikanische Öffentlichkeit ist aufgerufen, unter 21 Vorschlägen den Elvis für die Ewigkeit auszuwählen. Denn daß Elvis tot ist, beweist nicht zuletzt auch die Initiative der amerikanischen Post: „Auf eine Briefmarke kommt nur“, poltert der US-Postminister Anthony Frank, „der nachweislich mindestens zehn Jahre tot ist.“