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„Carnival Row“ auf Amazon Prime: Die fantastische Flüchtlingskrise im Viktorianischen Zeitalter


Seit dem 30. August gibt es mit „Carnival Row“ Nachschlag für Fans von spannenden Serien mit Fabelwesen. Hier sind fünf Gründe, warum das trotzdem nicht als erfolgreiches Methadon-Programm für eingefleischte „Game of Thrones“-Fans reicht.

Seit dem 30. August gibt es bei Amazon Prime Nachschlag für Fans von spannenden Serien mit Fabelwesen. Eine Kriminalgeschichte, eine Liebesgeschichte, nackte Haut und Splatterszenen gibt es dazu noch obendrauf. Hier sind fünf Gründe, warum das zwar kurzweilige Unterhaltung bietet, aber trotzdem nicht als erfolgreiches Methadon-Programm für eingefleischte „Game of Thrones“-Fans reicht.

Erstens: Fantasy-Klischees – Wer hat’s erfunden?

Ja, „Game of Thrones“ muss hier nicht nur zu Anfang nochmal gedroppt werden, weil die Serie schon vor dem Start von „Carnival Row“ einfach zu oft als Benchmark herhalten musste. Der Vergleich liegt natürlich nahe, sobald Elfen, Orks, Satyrn und Werwölfe auftauchen, und neben der „Herr der Ringe“-Trilogie nebst Spin-Offs noch eine Vergleichsmöglichkeit gesucht wird. Andererseits sind Fabelwesen schon seit Jahrhunderten Bestandteil von Schaudermärchen und Sagen und nehmen bei „Carnival Row“ erstmals nicht die Superheldenrolle, sondern eher die der unangepassten Sonderlinge ein, die mit Diskriminierung und offenem Hass zu kämpfen haben.

Zweitens: Darf es auch eine Liebesgeschichte sein?

Die Hauptfiguren in den acht Folgen der ersten Staffel sind der menschliche Kriegsveteran und Polizeiinspektor Rycroft Philostrate (Orlando Bloom) und die aus ihrer Heimat, dem Königreich Anoun vertriebene Fee Vignette Stonemoss (Cara Delevingne). Während Philostrates Heimat The Burgue einem dreckigen Spiegelbild des viktorianischen London ähnelt, triggert Vignettes Heimatland mit dichten Wäldern und Steilen Bergen überdeutlich die Glücksgefühle klassischer Fantasyfans.

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Ebendort lernen beide sich während des Krieges kennen, „Philo“ ist Soldat in der Burgue-Armee, Vignette die Behüterin der größten geheimen Bibliothek von Anoun. Inmitten des Kampfes gegen die skrupellose Pakt-Armee entspinnt sich eine kurze Liebesaffäre. Das Zusammentreffen der beiden „vermeintlichen Gegensätze“ wirkt leider arg bemüht, auch Delevingne hölzerne Mimik ist da wenig hilfreich. Neben der Jagd von Inspektor Philostrate auf einen mysteriösen Massenmörder ist diese Liebesgeschichte aber auch einer der zentralen Handlungsstränge der Serie.

Drittens: Oder möchten wir uns doch für ein anderes Format entscheiden?

Der vermeintlich größte Trumpf ist tatsächlich das größte Manko von „Carnival Row“ – zu viele, durchaus perfekt durchkomponierte Set-Designs und Stimmungen konkurrieren hier um die Aufmerksamkeit des Zuschauers. Pittoreske viktorianische Wohnzimmer treffen auf die verruchten, dunklen Ecken der Sündenmeile Carnival Row, die im nächsten Moment von bedrohlichen Burgmauern im Feenwald abgelöst wird. Verschiedene Einstellungen erinnern wahlweise an „Herr der Ringe“, „Taboo“, „Sherlock Holmes“ oder gar an „Downton Abbey“.

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Was man als provokanten Stilmix, oder aber als ziemlich unentschlossene Suche nach einem „Corporate Look“ bezeichnen kann. Und obwohl hier keine vierhundert Adelshäuser in dreihundert verschiedenen Provinzen um die Macht kämpfen wie bei GoT, wirken die Verquickung einer Liebesgesichte, einer übersinnlichen Kriminalgeschichte, eines politischen Machtkampfs verschiedener Völker und die Standeszwiste in der feinen Gesellschaft von The Burgue als Nebenschauplatz doch schnell sehr ermüdend.

Viertens: Startschwierigkeiten und die „Hollywood Blacklist“

Im Gegensatz zu vielen erfolgreichen Streaming-Serien gab es für „Carnival Row“ keine Roman- oder Comicvorlage. Vielmehr gab es nur ein sogenanntes „Spec Script“ namens „A Killing on Carnival Row“ von Autor Travis Beachham („Pacific Rim“), welches es zwar bereits im Jahr 2005 auf die „Hollywood Black List“ schaffte, aber lange bis zur Umsetzung brauchte. Guillermo del Toro hat neben René Echevarria (Star Trek: Deep Space Nine) am Drehbuch für die Pilotfolge mitgeschrieben, die 2016 an Amazon verkauft wurde, zu einer geplanten Zusammenarbeit mit del Toro als Regisseur kam es jedoch nicht. Immerhin hat Amazon nach den acht Folgen der ersten Staffel bereits eine zweite Staffel bestellt, wie deadline.com im Juli berichtete.

Fünftens: Wird der GoT-Fan hiermit trotzdem ein kleines bisschen glücklich?

Der Abstand zu Game of Thrones bleibt in allen Belangen stets sehr groß, dafür gibt es zu viele logische Fehler, seltsam-abgehakte Handlungswendungen und kein stimmiges, einheitliches Erscheinungsbild. Spannend ist „Carnival Row“ aber trotzdem, und liefert noch einige charmante Aspekte. Die in London geborene Cara Delevingne musste sich für ihre Rolle einen irischen Dialekt draufschaffen und auch sonst glänzen hier viele gelungene Dialoge mit dem Reichtum der britischen Sprache.

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Zudem schafft es die Serie, diverse aktuelle Diskursthemen aus der realen Welt in die Carnival Row zu verfrachten, etwa die Flüchtlingsproblematik durch die Zuwanderung und Flucht zahlreicher Fabelwesen (hier „Kreas“ genannt), das Auseinanderbrechen von etablierten politischen Strukturen, die Probleme der Integration und die Verschmelzung von Kulturen. Ob das purer Zufall oder gewollte Gesellschaftskritik ist, werden wir dann wohl in der zweiten Staffel erfahren.

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„Carnival Row“ steht seit dem 30. August auf Amazon Prime im Stream zur Verfügung.  Momentan gibt es nur eine OmU-Version, die deutsche Synchronfassung wird am 22. November nachgereicht.