Chancen auf „Bester Film“: Mit „Roma“ ist Netflix auf Oscar-Kurs


Ab Freitag können Netflix-Kunden „Roma“ in der Mediathek abrufen, bereits jetzt läuft der Film in ausgewählten Kinos. Eine ungewöhnliche Maßnahme des Streaming-Dienstes, der sich dadurch im Februar den begehrtesten Filmpreis der Welt sichern möchte.

Alfonso Cuaróns Drama „Roma“ ist in mehrfacher Hinsicht ein besonderer Film. Der Regisseur nutzt seinen Hollywood-Freifahrtschein, den er durch den Erfolg mit „Gravity“ erhalten hat, nicht für einen weiteren Blockbuster, sondern geht zurück in seine Heimat und Vergangenheit. In Mexiko hat Cuarón auch Momente aus seinem eigenen Leben verfilmt und in die Geschichte von Cleo, dem Hausmädchen einer Familie in Mexico City einwebt. „Roma“ ist dazu in schwarz-weiß gehalten, steht somit im noch größeren Kontrast zu „Gravity“ und „Children of Men“, Cuaróns vorherigen Filmen.

Des Weiteren wird „Roma“ dadurch besonders, weil er die verschobenen Machtverhältnisse in der Filmindustrie aufzeigen könnte. Und zwar, indem er im Februar bei der Oscar-Verleihung nicht nur als „Bester nicht-englischsprachiger Film“ (gilt als sicher) ausgezeichnet wird, sondern auch den Award in der Kategorie „Bester Film des Jahres“ erhält.

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Cuaróns Geschichte über den Stadtteil Roma und die politischen Umwälzungen in den 1970ern ist bisher der einzige ernsthafte Favorit auf den Titel „Bester Film“ (spannender ist es in den Darsteller-Kategorien), was vor allem für den Streaming-Dienst Netflix eine Genugtuung ist. Denn obwohl der Konzern in den vergangenen Jahren zum größten Konkurrenten für Kino und linearem TV geworden ist, fehlt es immer noch an Prestige für exklusiv von Netflix produzierte Filme. Zwar gewann die exklusive Doku „Ikarus“ 2018 einen Award bei den Oscars, Konkurrent Amazon ging aber schon ein Jahr früher mit dem Preis für den „Besten Hauptdarsteller“ (Casey Affleck für „Manchester by the Sea“) nach Hause.

„Roma“ hat schon erste Preise gewonnen

Bei der nächsten Preisverleihung will Netflix also mehr als nur ein paar aussichtslose Nominierungen oder Preise in Nebenkategorien, weshalb nun Alfonso Cuarón mit allen künstlerischen Freiheiten und wahrscheinlich einem ordentlichen Budget für sein ungewöhnliches Drama ausgestattet wurde. So sicherte sich Netflix mit „Roma“ einen Film, der deutlich anspruchsvoller ist als bisherige Großprojekte. Zum Vergleich: Genau vor einem Jahr veröffentlichte der Streaming-Dienst „Bright“ als Highlight zu Weihnachten. Darin kämpfte Will Smith mit einem Zauberstab gegen Monster in Football-Trikots.

Um bei den Oscars antreten zu dürfen, muss „Roma“ für kurze Zeit in einigen Kinos in den USA zu sehen sein – so die Bedingungen der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Bereits in der Vergangenheit brach Netflix mit seiner eigenen „Kein Kino“-Politik und brachte zum Beispiel „Beasts of No Nation“ auf einige Leinwände in Kalifornien, allerdings ohne groß dafür zu werben und wirklich Zuschauer anziehen zu wollen. Bei „Roma“ ist nun alles anders, sogar in Deutschland kann man die beeindruckenden Bilder Cuaróns auch auf der großen Leinwand sehen. Selbst wenn die Anzahl der Kopien und Vorstellungen eigentlich ein schlechter Scherz ist.

Neue Kategorie, gekürzte Show: Die Oscars werden zum Trostpreis

Netflix geht mit dem Release einen kleinen Schritt auf Traditionalisten, die großen Kino auch gern im Kino sehen möchten, zu und dürfte sich damit auch bei den Mitgliedern der Oscar-Academy beliebter machen, die in den kommenden Monaten den „Besten Film“ des Jahres 2018 wählen werden. Der Sieg in der wichtigsten Kategorie der wichtigsten Filmpreisverleihung der Welt wird auch dadurch wahrscheinlicher, weil Cuaróns Drama bereits das Filmfestival von Venedig, sowie den renommierten Preis der Los Angeles Film Critics gewonnen hat.

Ein weiterer Faktor, der einen Oscar-Triumph von Netflix wahrscheinlicher macht, sind die Probleme der Veranstaltung selbst. Sinkende Einschaltquoten belasten die Academy seit Jahren, 2019 wird die Show deshalb kürzer gestaltet und zugleich mit der umstrittenen Kategorie „Herausragenden Leistung im populären Film“ erweitert, mit der auf Biegen und Brechen ein Blockbuster (wahrscheinlich Marvels „Black Panther“) prämiert werden soll. Es würde ins Schema passen, wenn obendrein auch noch ein Film aus dem Hause Netflix ins Rampenlicht gerückt wird. In der Hoffnung, dass die Millionen Nutzer des Streaming-Dienstes für einen Abend dann doch noch einmal ins lineare Fernsehen wechseln, um den prestigeträchtigen Erfolg des Konzerns mitzuerleben.