Compact Discs


Big Business mit Elvis, Marktlücken bei Country, Variationen zu Ike & Tina Turners Klassiker RIVER DEEP MOUNTAIN HIGH und andere Schätze aus den gigantischen Back-Katalogen der Schallplattenfirmen. CD-Experte Franz Schaler berichtet von der Digital-Front.

„Schon etwas merkwürdig“, meint Wolfgang Immelmann, Entwicklungschef bei der weltweit größten CD-Plantage von Philips & DuPont Optical in Hannover-Langenhagen. “ Wir haben in diesem Jahr die Lohnfertigungspreise für CD ständig senken müssen, aber im Handel merkt man davon nicht viel.“ Zwar kommen jetzt auch bei Pop-Produkten vermehrt Billigpreis-Serien auf den Markt. Aber da wird denn auch ziemlich viel Ramsch wiederveröffentlicht, während viele Schätze aus Blues und Folk, Rock und Soul weiterhin nicht auf Laserplätfchen publik gemacht sind. Von den sinkenden Fertigungskosten profitieren nicht zuletzt CD-,, Bootlegger“, die sich aus obskursten Quellen Bänder besorgen und auf Laserplatte rausbringen.

Um einen solchen Fall handelt es sich beispielsweise bei THE GREATEST HITS 18 von BUDDY HOLLY & THE CRICKETS (Overseas Records 30CP-103), ein Japan-Import, der mitnichten ihren AOR angehauchten Mainstream-Heavy Rock lässig aus dem Ärmel, spielen sich regelrecht frei und haben die Nase vorn. 4

Originalaufnahmen besagter Hits bietet, sondern private Live-Mitschnitte, „Raritäten“ und Plattenumschnitte aus dunklen Kanälen, alles in abscheulichster Klangqualität. Dieselbe Firma bietet auch BEST OF TREME-LOES FU. BRIAN POOLE an (Overseas Records 30CD-167), diesmal aber Originalmaterial, das nach japanischem Gesetz urheberrechtlich offenbar nicht mehr geschützt ist.

Wundern darf man sich da schon: Einerseits versucht die westliche Plattenindustrie die Einführung der DAT-Cassette mit aller Macht zu verhindern, weil man Raubkopiererei von CD in großem Stil befürchtet, andererseits sind in manchen Geschäften ganze Schaufenster mit billiger CD-Raubware dekoriert (von Beatles und Dylan bis Elvis und Frank Sinatra), ohne daß dagegen viel unternommen würde. Spektakulärer Ausnahmefall war eine Aktion, bei der die Bertelsmann Music Group in Holland vor den Kadi ging, nachdem man entdeckt hatte, daß dort mindestens eine Million raubgefertigter CDs, LPs und MCs von Elvis-Aufnahmen aufgetaucht waren. Wobei die CDs in Fernost und die LPs — qualitätsbewußt! — in der BRD hergestellt worden waren.

ELVIS PRESLEY und BUDDY HOL-LY sind — logo — offenbar auch Jahrzehnte nach ihrem Tod auf CD noch big business. Das Doppelalbum THE MEMPHIS RECORD gibt es komplett als Laserplatte, während bei THE SUN SESSIONS CD einige Alternativ-Takes der frühen Elvis-Aufnahmen, die auf der Doppel-LP zu haben sind, aus Spielzeitgründen wegfielen (Bestellnr.: RCAPD86221 bzw. PD86414).

Von Buddy Holly gibt es als Midprice-lmport jetzt das postum veröffentlichte FOR THE FIRST TIME ANY WHERE (MCAD-31048) mit zehn Alternativ-Fassungen von etlichen seiner bekanntesten Songs, so etwa „Bo Diddley“ nicht in der bekannten Stereo-Version von 1962, sondern überspielt von einer Schellack-Scheibe!

Wo die deutschen Plattenkonzerne schlafen oder wenig kommerzielle Chancen sehen, greifen die Importdienste zu. So baut der Electrola ASD das Angebot an Jazz-CDs zügig aus, während der TIS eine lukrative Marktnische bei Country-CDs entdeckte. Da gibt es u. a. MERLE HAGGARDS HIS GREATEST AND HIS BEST (MCAD-5624) und 20 GREATEST HITS von CONWAY TWITTY und LOREYTA LYNN (MCAD-5975). Nur als Import erhältlich ist WILUE NELSONS Country-Klassiker RED HEADED STRAN-GER von 1975 (Columbia CK33482), zweifellos ein wichtigeres Sammlerstück als KRIS KRISTOFFERSONS REPOSSESSED (Mercury 830 406-2), das vielleicht viel ehrenwerte Gesinnung, aber noch mehr schlechte Country Music bietet. Die frühen Kristofferson-Aufnahmen wären eine Wiederveröffentlichung allemal mehr wert — nicht zuletzt unter dem Aspekt der besseren Aufnahmetechnik.

Bei manchen Oldies darf man sich da bekanntlich nicht allzu viel erwarten. Im Fall der T. REX/MARC BO-LAN-Anthologie COSMIC DANCER (Teldec 8.26600) entschuldigt sich die Plattenfirma auch gleich dafür, versuchte aber doch mit einigem Aufwand ihr möglichstes. Anders sieht das schon bei IKE 8. TINA TURNERS RIVER DEEP – MOUNTAIN HIGH aus, das mittlerweile in dritter CD-Fassung vorliegt. Die erste hatte Polygram veröffentlicht, und die bot teilweise gegenüber der Analogscheibe wesentlich bessere Klangqualität (A&M 393179-2).

Dagegen kann die jetzt vom kalifornischen Nobel-Label MFSL vorgelegte Version (MFCD 849) nie und nimmer das Originalband repräsentieren, obwohl es sich angeblich um das „Original Master Recording“ handelt. Die Frequenzbalance ist völlig anders, angegeben werden großenteils falsche Spielzeiten, vor allem aber sind wesentlich höheres Bandrauschen, Pegelschwankungen und Störgeräusche zu hören. Was unzweifelhaft beweist, daß eine technisch zweifelhafte Kopie benutzt wurde. Ich möchte wetten, daß die Japan-CD (A&M D32Y-3538) wieder ganz anders klingt! Vielleicht freut sich Produzent Phil Spector diebisch darüber, daß nur er das Original besitzt?!

Zum 25jährigen Jubiläum hat A&M auch in Japan eine ganze Serie herausragender Aufnahmen für CD ausgegraben, darunter das Solo-Debüt von ALBERT LEE HIDING (D32Y-3560), NILS LOFGRENS CRY TOUGH (D32Y-3583) und ebenfalls sein Erstlingswerk (D32Y-3566), WHITE LIGHT von Ex-Byrd GENE CLARK (D32Y-3530) und diverse Platten der FLYING BURRITO BROTHERS, darunter auch BURRITO DELUXE (D32Y-3529) mit ihrer Version von „Wild Horses“. In allen Fällen sind die CDs klanglich mindestens so gut wenn nicht besser als die originalen US-LPs, so daß sich der Mehrpreis für den Japan-Import lohnt, solange der deutsche Lizenzpartner Polygram nicht endlich auch mal die genannten Originalaufnahmen als CD bringt.

Daß nach wie vor auch die großen Plattengesellschaften nur einen bestimmten Prozentsatz von Neuheiten für Cd-würdig befinden und daß dahinter eine konsequente Veröffentlichungspolitik längst nicht immer einsichtig wird, hat mittlerweile wohl jeder bemerkt. Von den BEAT FARMERS und BEE GEES über MlCHAEL JACKSON und JETHRO TUU bis zu PINK FlOYD und TOM WAITS reicht die Liste hitverdächtiger CD-Novitäten, die schon aus Prestigegründen parallel zur LP kommen. Die Auflagenhöhen werden allerdings mit ziemlicher Vorsicht kalkuliert: Obwohl auch in diesem Jahr doppelt so viele Pop-CDs verkauft werden wie 1986, haben LP und MusiCassette nochmal zugelegt! Mit dem Resultat, daß letztere „Analogtonträger“ siebenmal mehr Käufer finden als die Digitalscheiben. Die jüngste Zukunftsprognose, die der Phonoverband kürzlich wogte, lautet denn auch: „Die lOOjährige Schollplatte wird auch noch das 21. Jahrhundert erblicken!“ Hoffentlich, und zwar vor allem deswegen, weil es zig-tausende Klassik-, Rockund Jazz-Aufnahmen bis auf weiteres nur auf LP zu kaufen gibt! Discjockeys, Rundfunkanstolten und die meisten Plattengeschäfte könnten umgehend den Laden dicht machen, wenn sie nur noch mit oder von CD leben müßten.

Immerhin werden die riesigen Repertoire-Lücken langsam nach und nach aufgefüllt mit Veröffentlichungen aus dem Back-Katalog. Nach alphabetischer Ordnung sah das in den letzten Wochen ungefähr so aus:

Als US-Import gibt es jetzt THE UL-TIMATE BOX TOPS (Warner Special Products 927611-2), eine 15 Song-Kollektion jener Gruppe, die mit „Cry Like A Baby“ und „The Letter“ ihre einzigen wirklich großen Erfolge verbuchen konnte. Das empfehlenswertere Plättchen ist genau genommen natürlich die CD, auf der die beiden LPs BIG STAR und RADIO CITY von Alex Chiltons nächster Band zusammengestellt wurden (Big Beat CDWIK 910/ Teldec Import Service). Mehr „Appetizer“ als definitive Kollektion ist THE BEST OF SANDY DENNY (Island/ ARIS 880603), auf der die Folk-Sängerin mit nur wenigen Aufnahmen ihrer FAIRPORT CONVENTION Jahre dokumentiert ist. Da kann man nur hoffen, daß demnächst doch mal die Originalplatten und das 4 LP-Set WHO KNOWS WHERE THE TIME GOES als Laserplatten nachgereicht werden.

Da die DOOBIi BROTHERS sich kürzlich reformierten und für Frühjahr 1988 ein Comeback-Album ankündigten, kamen jetzt auch etliche ihrer alten Platten auf CD heraus, allen voran WHAT WERE ONCE VICES ARE NOW HABITS (Warner Bros. 256026), die mit „Black Water“ den ersten und einzigen Nr. 1-Singlehit der Gruppe enthielt. Praktisch komplett wird in Kürze das Reprise/WEA-Material von FLEETWOOD MAC auf CD vorliegen. Wobei TUSK sogar eine nachträgliche Entdeckung wert ist (Warner Bros. 266 088), denn das Doppelalbum wurde auf Einzel-CD klanglich um Klassen besser überspielt als seinerzeit im amerikanischen Capitol-Schneidstudio auf Analogscheibe. Verblüffend erscheint nachträglich, daß die Band die miserablen LP-Umschnitte seinerzeit überhaupt abgenommen hat.

Teilweise arg enttäuschend fallen dagegen die in der „Soul Classics“-Serie veröffentlichten 20 GREATEST HITS von ARETHA FRANKLIN aus. Denn diese CD (Atlantic 241 135-2) bietet Aufnahmen wie „Spanish Harlem“ in definitiv schlechterer Klangqualität als vorher schwarze Scheiben. Noch besteht Hoffnung, daß die originalen Meisterwerke von ARETHA ARRIVES und I NEVER LOVED A MAN THE WAY I LOVE YOU bis LADY SOUL und SPIRIT IN THE DARK ungekürzt in optimalen CD-Überspielungen kommen. In den USA gibt es schon das Gospelalbum AMAZING GRACE als Doppel-CD (Atlantic 2-906-2), und hier brilliert die stimmgewaltige Dame wirklich in jeder Hinsicht auf der Höhe ihrer Kunst.

Wer die Country-Rocker GRATEFUL PEAD immer mehr schätzte als die Psychedelik-Pioniere, sollte sich die CD-Versionen von AMERICAN BEAUTY (Warner Bros. 246074) und WORKINGMANS DEAD (246049) umgehend besorgen. Besser als das jüngste Opus IN THE DARK sind beide allemal. Etwas Patina angesetzt hat ARLO GUTHRIES ALICES RE-STAURANT (Reprise 927439-2), auch wenn der berühmte Titelsong von gut 18 Minuten noch immer ein bemerkenswertes Dokument der Entstehungszeit und ihrer ein so ganz anderes Amerika beschreibenden Stimmung ist. BLUE MOVES zeigt ELTON JOHN von seiner schmalzigsten Crooner-Seite (Rocket 822818-2, Doppel-LP als eine CD). Bei MICKEY JUPPS LONG DISTANCE ROMANCER (Line LICD 9.000003/ARIS) gehören die sentimentalen Balladen dagegen zu den besten Sachen des erklärten „OLD ROCK N 1 ROLLER“. Weitere LYNYRD SKYNYRD CDs hat der TIS mit GIMME BACK MY BULLETS (MCAD-31004) und STREET SURVI-VORS (MCAD-1687) im Programm. Derselbe Importdienst bietet jetzt nach IM ALRIGHT von 1986 auch LOUDON WAINWRIGHTS A LIVE ONE an, Mitschnitte aus den Jahren 1976—78, die den komödiantischen Misanthropen in seinem ureigenen Milieu präsentieren, nämlich auf der Bühne (Rounder CD 3050).

In die Sparte frühe Werke von Altmeistern fallen schließlich NEIL YOUNGS zweites Solo-Album EVERY-BODY KNOWS THIS IS NOWHERE (Reprise 244 073) und ROD STEWARTS SMILER (Mercury 832 056-2) sowie das Debüt von JONI MITCHELL (Reprise 6293-2/US-lmport) und das ein Jahr später entstandende CLOUDS (Reprise 6341-2, ebenfalls nur als US-Import über TIS), die beide von exquisiter Aufnahmequalität sind: ungetrübtes Vergnügen für alle, die sich wieder mal daran erinnern möchten, wie phantastisch eine Sängerin klingen kann, die sich zur akustischen Gitarre begleitet.