Crack, Soft-Rock und kleine, grüne Geister


John Grant, der ehemalige Sänger der Czars, ist froh, dass er noch lebt. Jetzt, so sagt er, muss er erstmal lernen, wie das geht – leben.

John Grant ist ein offener Typ. In Interviews erzählt er, dass er sich vor Angst in die Hose gepinkelt hat, als er das erste Mal zusammengeschlagen wurde. Und wie es sich anfühlt, zwischen verrußtem Crack-Besteck und einem Fremden aufzuwachen. Als sich seine Alternative-Rock-Band The Czars 2004 auflöste, wurde Grant clean. Nach den Aufnahmen seines ersten Soloalbums QUEEN OF DENMARK von 2010 wies er sich dennoch selbst in eine Klinik ein. Er hatte Angst davor, sich umzubringen. Jetzt ist seine neue Platte PALE GREEN GHOSTS erschienen. Wir sprachen mit Grant darüber, wie es ist, mit 44 Jahren leben zu lernen.

Musikexpress: Dein tragisches Leben war das Thema Deiner ersten Platte. Aus welchem Stoff ist die zweite?

John Grant: Mir ging’s – Gott sei Dank – immer noch beschissen. Ich hatte viel Material für die neue Platte. Ich habe dieser alten Beziehung immer noch nachgetrauert, die während der Aufnahmen von QUEEN OF DENMARK in die Hose gegangen ist. Die Themen sind immer noch: „Warum kann ich nicht lieben? Warum kann ich mich nicht lieben lassen?“

Klingt nach keinem naheliegenden Grund, warum das neue Album so elektronisch ist.

Ich hatte schon immer Lust auf elektronische Sounds, aber ich wusste vorher nicht wie das ein Teil meiner Musik werden sollte. Bei der ersten Platte habe ich mit Leuten gearbeitet, die eher akustische Instrumente spielen. Jetzt habe ich mir jemanden gesucht, der sich mit elektronischen Instrumenten auskennt, Biggi Veira von GusGus. 

Hast du die Bassline in den Songs denn selbst gebaut?

Das hab ich in Reason (Musiksoftware, Anm. der Redaktion) gemacht, und Biggi hat die dann ausgebaut und die Drums dazugemischt. Bei dem Song „Pale Green Ghosts“ hat er fast alles gemacht, da kam von mir nur eine Skizze, daran hat er mit Modular-Synthesizern weitergearbeitet. (lacht) Er hat damit wirklich geile, fette Bässe produziert!

QUEEN OF DENMARK klang sehr nach dem Soft-Rock der 70er, PALE GREEN GHOSTS…

…klingt nach den 80ern, außer bei den Songs „Greatest Motherfucker“ und „I Hate this Town“, das sind noch 70er mit Synthie-Solos. Aber dann kommen die 80er durch. Das ist mein musikalisches Lieblingsjahrzehnt: Cabaret Voltaire, Yello, Front Line Assembly, so Industrial-Sachen. Aber auch DAF und Nina Hagen. Ich mochte besonders ihre Platten mit Spliff.

Warum heißt Dein neues Album PALE GREEN GHOSTS?

Der Song handelt von den 45 Kilometern Highway zwischen Denver und Boulder, einer bekannten Hippiestadt in Colorado. Als meine Mutter gestorben ist, bin ich immer auf dieser Strecke hin und her gefahren. Als ich mich mit meiner Sucht auseinandergesetzt habe, war ich auf dieser Strecke unterwegs. Der Typ, der mir das Herz gebrochen hat, wohnte in Boulder. Ich bin auch oft zu einem Club in Boulder gefahren. An beiden Seiten der Autobahn stehen Olivenbäume und die haben kleine hellgrüne Blätter, die im Mondlicht wie kleiner Geister schimmern. Ende Mai blühen die mit dem schönsten Duft, den ich je gerochen habe. Diese Bäume verkörpern das Positive, ein lebensbejahender Duft. Ich bin mit offenen Fenstern gefahren. Auf einem Radiosender lief eine Woche lang nur Brandung.

Sind alle Songs auf PALE GREEN GHOSTS so biographisch?

Ja. Ich habe vor zwei Jahren festgestellt, dass ich mit HIV infiziert wurde. Ich versuche mir das selbst zu vergeben. Also hab ich ein Lied darüber geschrieben: „Ernest Borgnine“. In dem Lied geht es um die Flucht ins Kino vor dem eigenen Leben. Im Refrain frage mich, „what would Ernest Borgnine do?“.  Die Antwort ist natürlich, dass er Schwule nicht mochte, dass er diesen „Lebensstil“ nicht gut fand. Er hätte mit mir sicher nichts zu tun haben wollen. Aber es ist auch typisch für Amerikaner, sich ins Kino zu flüchten.

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Wie schlimm sind die Symptome bei Dir?

Ich habe einen Virus bekommen, der schon mal behandelt worden war. Deswegen ist er gegen Medikamente fast resistent. Nach einem Jahr hat er schon angefangen Schaden anzurichten, also musste ich schon nach einem Jahr Medikamente dagegen nehmen. Inzwischen geht es mit bedeutend besser, ich fühle mich fast normal. In den letzten Tests lag die Virusbelastung unter dem wahrnehmbaren Wert. So machen die das heutzutage, sodass man relativ normal leben kann. In der Anfangszeit war es schwer, obwohl ich weiß, dass Millionen von Kindern in Afrika damit geboren werden ohne dass sie selbst so schlechte Entscheidungen treffen konnte wie ich. Vielleicht musste ich mich einfach fertig machen. Ich sehe das als eigenes Versagen. Aber jetzt kann ich es nicht mehr ändern, und HIV wird mich immer begleiten.

Stört es Dich nicht, wenn Du in Interviews so viel nach Deinem Leben gefragt wirst?

Nein, daran bin ich selbst schuld, ich schreibe ja auch darüber. Viele beschäftigen sich mit den gleichen Grundproblemen. Das Verhältnis zu sich selbst und zu anderen Leuten. Ich kann mir vorstellen, dass viele Schwule ähnliche Schwierigkeiten gehabt haben.

Auch über den HI-Virus?

Ich rede über HIV, weil ich das Gefühl hatte, ich müsste mich deswegen schämen. Aber ich muss mich deswegen nicht schämen. Ich kann sagen ich bin positiv, aber das heißt nicht, dass ich ein Aussätziger bin oder nicht würdig von anderen geliebt zu werden. Am Anfang dachte ich, ich werde nie wieder begehrt. Wie könnte jemand mich lieben, wenn ich so verschmutzt worden bin durch diese Krankheit und mein eigenes Verhalten. Aber man kommt darüber weg.

Singst Du nur in „Ernest Borgnine“ darüber?

Ja, ein Lied ist genug für eine Platte. Ich werde bestimmt noch mehr Lieder über das Leben mit HIV schreiben. Eins ist genug, um das Thema anzuschneiden. Ich musste auch zugeben, dass ich diese Probleme habe. Dass ich mich jetzt unsexy finde, dass ich nie Bock auf Sex habe, weil ich denke, dass es vorbei ist mit mir. Dass ich das nie wieder werde genießen können. Wenn ich nicht darüber rede, wäre ich nicht in der Lage weiter zu kommen. Und ich denke, dass viele Leute ähnliche Probleme haben.

Dafür klingt der Song „Ernest Borgnine“ aber sehr positiv.

Ja, die Botschaft ist: Du musst weitermachen. Man kann damit normal leben, ohne dass man sich selbst leidtun muss. Das bringt einen nicht weiter. Man muss lernen trotzdem andere zu lieben, sich lieben zu lassen, das Leben zu genießen und machen was man kann.

Hat Dein Debüt QUEEN OF DENMARK nur so gut funktioniert, weil es Dir so schlecht ging?

Ich kann nur da sein, wo ich bin. Viel positiver geht es nicht. Ich musste über die Dinge singen, die mich beschäftigen. Aber für mich ist die Platte nicht traurig. Ich habe lange gesoffen und gekokst und mich überhaupt nicht mit dem Leben beschäftigt. Es ist klar, dass es jetzt lange dauert, bis ich das wieder auf die Reihe kriege. Ich hab das Leben nie gelernt, wie man lebt. Und das ist ein längerer Prozess.

Klappt es denn jetzt mit dem Leben?

Ja, ich genieße es. Ich bin dankbar, dass ich von Musik leben, nach Deutschland reisen und über meine Musik reden kann. Ich tue mir nicht leid. Ich versuche mich auf das Positive zu konzentrieren. Klar ist in der Musik Zynismus, aber mir geht’s gut.

Wie groß ist der Unterschied zwischen Deinem Leben vor zehn Jahren und heute?

Vor zehn Jahren habe ich noch gekellnert und musste trinken, um auf die Bühne zu gehen und mit Menschen zurechtzukommen. Ich war ein paar mal auf der Intensivstation. Die Krankenschwester fragte mich ‚Warum hast Du Schmerzen in der Brust?’ Und ich sagte: ‚Ich habe zu viel gekokst gestern Abend.’ Und sie hat so abwertend geguckt. Danach wollte sie mich nicht mehr behandeln. Sie hat es nicht gesagt, aber sie hat sich so verhalten. Und ich hatte Angst, dass mein Herz versagt. Ich hatte Angst zu sterben und nichts vollbracht zu haben. Ich habe es bis dahin nicht geschafft wach zu leben, mit offenen Augen und ohne Angst. Das wollte ich noch erfahren. Das war am 1. August 2004, vor achteinhalb Jahren. Seitdem bin ich nüchtern. Ich habe jetzt eine Karriere, bin nach New York gezogen, habe da Wurzeln geschlagen und ein neues Leben angefangen. Und jetzt bin ich nach Island gezogen, lerne wieder eine Sprache und kann mich mit dem Leben befassen. Ich lerne auch wieder deutsch.