Kritik

„Dark“ (Staffel 3) bei Netflix: Ein wirklich starkes Ende


Vor einem Jahr hinterließ uns „Dark“ mit einem heftigen Cliffhanger. Wie die dritte Staffel Zeiten, Welten und Multiversen miteinander verbindet und warum es mehr Serien braucht, die genau wissen, was sie wollen, erfahrt Ihr hier.

Achtung, wer bisher nicht die ersten beiden Staffeln der Netflix-Serie komplett geschaut hat, sollte sich genau überlegen, ob nun weitergelesen werden sollte. Diese Review enthält zu Erklärungszwecken einige Spoiler.

Marthas (Lisa Vicari) Tod schockte – als eine zweite Martha auftauchte, war die Verwirrung komplett. Als wären Zeitreisen nicht genug, bescherte das „Dark“-Finale der zweiten Staffel auch noch eine andere Dimension. Wie soll das nun funktionieren? Diese grundsätzliche Frage stellte sich auch vor drei Jahren, als die Serie startete. Ein deutsches Format, das sich an Zeitreisen wagt und dabei schwer verständlich ist. Zumal sich unweigerlich der „Stranger Things“-Vergleich aufdrängt. Doch „Dark“ zeigte von Anfang an, dass sich Komplexität auszahlt und selbst die Smartphone-Generation interessiert.

Wie sich herausstellt, führen andere Wege auch im Parallel-Winden zum selben Ziel

Zu Beginn der dritten Staffel reist Martha nun mit Jonas (Louis Hofmann) in eine Parallelwelt. Nach der Apokalypse in Winden verstreuen sich die Charaktere auf drei Jahrhunderte. Jonas verzweifelt etwa 1888 an einer Zeitmaschine, während Elisabeth (Carlotta von Falkenhayn) und Peter Doppler (Stephan Kampwirth) im apokalyptischen Winden nach Franziska (Gina Stiebitz) und Charlotte (Karoline Eichhorn) suchen. Und das sind nur zwei Stränge. Es empfiehlt sich dringend, Notizen zu machen, oder zumindest Stammbäume zu öffnen. Ansonsten kann es schwierig werden, überhaupt mitzuhalten. Klarer wird erst in den letzten Folgen, wer zu Licht und zum Schatten gehört, ob sich dieser Dualismus hält, oder ob er überholt ist.

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Jonas und Martha als Dreh- und Angelpunkt

Das Paar Martha und Jonas prägt diese Staffel. Sie können nicht ohne einander und sind getrieben, gemeinsam in derselben Welt zu leben. Zwar scheinen die zweite Martha und Jonas nach der zweiten Staffel miteinander vereint zu sein. Aber dann wird es eben doch problematisch. Mit der anderen Welt beginnen nämlich auch neue Unwägbarkeiten – denn schließlich existieren nun alle Charaktere doppelt.

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„Manchen Schmerz vergisst man nicht“, sagt schon Adam (Dietrich Hollinderbaumer) – der alte Jonas – in der zweiten Staffel. „Dark“ illustriert das wie kaum eine Serie. Sei es Claudia (Julika Jenkins), die eine Welt sucht, in der ihre Tochter Regina (Deborah Kaufmann) überlebt. Sei es Uhrmeister H.G. Tannhaus (Christian Steyer), der die Zeit umkehren und den tödlichen Unfall seines Sohnes verhindern möchte. Oder eben Jonas und Martha. Letztlich treiben alle Charaktere alte Wunden weiter an.

Nicht nur der Winden-Zyklus wiederholt sich

Es lässt sich streiten, ob es einzelner Exzesse bedarf, um das darzustellen. In der dritten Staffel sterben Figuren per Steinschlag, werden erdrosselt, von einem Feuerlöscher zermalmt. Nicht immer explizit, aber ausreichend suggestiv. Ansonsten verdeutlicht „Dark“ die Gefühlswelt der Charaktere in Montagen gegen Ende jeder Folge. Das hat sich jedoch mittlerweile etwas abgenutzt und wäre punktuell besser eingesetzt. Auch bei den immer gleichen Streichern, die in den bedrohlichen Momenten erklingen, wäre weniger mehr – wobei das grundsätzlich Ben Frosts Soundtrack nicht schmälern soll. Doch in „Dark“ wird allzu oft derselbe Inhalt wiederholt: Der Anfang ist das Ende, Schopenhauer wird bemüht, die Zeit bewegt sich in unendlichen Zyklen. Diese Botschaften begreift man eher früher als später.

Martha, die Zweite, wechselt in dieser Staffel ihre Rolle. Sie kennt Windens Geheimnisse noch nicht. Claudia und Jonas müssen ihr erst die Welt und Marthas Rolle aufzeigen. Diese ähnelt Jonas‘ Handlungen in den vorherigen Staffeln frappierend. Erst lehnt sie die Realität ab, sträubt sich, bis sie sich schließlich dem Schicksal fügt. Lisa Vicari wird dem schauspielerisch mehr als gerecht. Schließlich spielt sie, wie der übrige Cast auch, dieselbe Person zu anderen Zeiten und Welten. Mitunter sogar in derselben Szene. Wer Jonas, wie das „Dark“-Marketing suggerieren mag, als Hauptcharakter vermutet, irrt – diese Staffel verdeutlicht, dass beide die Hauptrolle spielen. Martha trägt sogar die gelbe Windjacke, die man bisher mit Jonas in Verbindung setzte.

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Diese Details lassen das Netflix Original glänzen. Springt die Serie von einer zur nächsten Welt, reicht ein Saugeffekt. Die gleichen Figuren in einer anderen Welt lassen sich anhand von Frisurenveränderungen (Ponys) oder gefärbter Haare unterscheiden. Und auch auf Narben und andere körperliche Merkmale gilt es zu achten. Wer sich einmal am Zaun schneidet, kann zu einer anderen Person werden. Im Fall von Polizeigehilfen Torben Wöller (Leopold Hornung) spielt die Serie damit, woher sein Augenverband 2019 stammt.

Beim Casting brilliert das Format wirklich – kaum eine jüngere oder ältere Variante einer Figur scheint unglaubwürdig. Die Zeitlinien funktionieren, weil Baran bo Odar und Jantje Friese „Dark“ schon lange vor der ersten Staffel für drei Staffeln konzipiert hatten. Es musste eben nur noch geschaut werden, ob sie bei den Zuschauer*innen bestehen könne. Und das tat sie, selbst international.

„Dark“ fordert und überbietet den Cliffhanger der letzten Staffel

Das die Serie so fordert, dürfte vor allem darin begründet sein, dass den Betrachter*innen viel zugetraut wird. Niemand muss an die Hand genommen werden, eigene Schlüsse sind höchst wünschenswert. Umso befriedigender ist es dann auch für einen, wenn ein Medaillon, eine Uhr oder auch fehlende Buchseiten nun in den finalen Folgen Sinn ergeben. Wenn man mit einem Mal zu sehen bekommt, wie Jonas eigentlich zu Adam wurde. Dennoch geht die größte Faszination nach wie vor vom Unbekannten aus. An Serien als lauwarmes Fast Food mangelt es ja sowieso nicht.

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Es braucht hier kein Spin-off, keine künstliche Verlängerung. Tatsächlich schafft es „Dark“, den Cliffhanger aus Staffel 2 zu überbieten. Denn auch die Parallelwelt ergibt Sinn. Dabei macht sich die Serie weder selbst lächerlich, noch verletzt sie ihre kohärente Logik, die mal Anleihen bei Quantenphysik, dann wieder bei der Kirche hat. Anders als „Lost“ schafft „Dark“ den Absprung und bietet Zuschauer*innen mehr Antworten als Fragen, die Serie schließt mit einem wohligen Gefühl. Ein zweiter Run mit dem neuen Wissen lohnt sich danach auf jeden Fall.

„Dark“, Staffel 3, acht Folgen, jeweils 55-70 Minuten, ab 27. Juni 2020 auf Netflix verfügbar