Das Saiten-Seminar von und mit Michael Schenker


Laut ME/Sounds-Poll '84 ist er Deutschlands ganzer Stolz auf der Gitarre. Der ideale Kandidat also, um die internationale Konkurrenz auf Herz und Nieren zu durchleuchten. Wir stellten dem "Mad Axeman" eine Cassette mit klassischen Gitarren-Soli zusammen, die es zu analysieren galt. Herr Schenker, Ihre Expertisen bitte!

AC/DC: „Touch Too Much“(1979) (Gitarre: Angus Young)

„Der Song geht in Ordnung, das Solo dagegen ist grausam. Im Prinzip halte ich Angus für einen kompetenten Gitarristen, doch auf diesem Titel geht das Solo völlig in die Hose. Auch der Gesang haut mich nicht um, nur der Chorus gefällt mir.

Den Bon Scott habe ich eigentlich nie besonders gemocht. Als wir zu UFO-Zeiten mit AC/DC in den Staaten tourten, habe ich nicht viel von der Band gehalten – nur Angus Young gefiel mir. Erst als HIGHWAY TO HELL veröffentlicht wurde, wurden sie mir sympathisch, noch mehr sogar nach BACK IN BLACK.

Ich habe diesen Song jetzt dreimal gehört und dabei notiert: Beim ersten Mal – nicht mein Fall; beim zweiten – schon besser; beim dritten Mal blieb es so. Deshalb mein Urteil: Okay!“

Dire Straits: „Sultans Of Swing“ (1978) (Gitarre: Mark Knopfler)

„Mark Knopfler hat einen eigenen Gitarren-Sound, den ich im Rahmen dieser Musik-Richtung auch mag. Ich habe allerdings schon bessere Songs von ihm gehört, auch bessere Solos.

Wenn ein Solo mich kitzelt, genügt das schon. Ich analysiere in der Regel keine Songs, nur in diesem Fall mache ich einmal eine Ausnahme: Es gibt Dire Straits-Songs, die ich zwar nicht mit Namen kenne, aber bei denen ich spontan gesagt habe: .Mensch, war das ein Solo‘ ohne daß man auf Anhieb wußte, was da konkret drinsteckte.

Wenn man das Solo dann zehnmal gehört hat, weiß man auch, was los ist. Nicht aber nach dem ersten Mal! Da ist man noch viel zu verträumt; das nimmt einen so mit – und wenn es auf einmal zu Ende ist, fragt man sich: ,Wo war ich denn gerade mit meinen Gedanken? Was ist eigentlich los?‘ Irgendeine .Magic‘ steckt in solchen Solos, die ich aber nicht unbedingt analysieren muß. Wenn ich nicht ganz bewußt merke, daß das Solo aufhört, ist auch nichts dabei gewesen, was mich hätte ansprechen können.“

Eagles: „Hotel California“ (1976) (Gitarre: Joe Walsh und Glen Frey)

„Steher besteht ein großer Unterschied zwischen meiner Musik und der der Eagles. Doch gerade ,Hotel California‘ gefällt mir sehr gut, vor allem das Solo.

Man hört deutlich, daß die Aufnahme von zwei Gitarristen gespielt wird, die sich abwechseln – jeder eine Hälfte und dann gemeinsam.

Im allgemeinen sind die Eagles nicht gerade mein Fall. Aber hier hat das Spiel der Gitarren eine Aussage, die den ganzen Song so interessant macht. Kein Firlefanz, keine Höchstgeschwindigkeit mit 300 Noten pro Minute.“

Led Zeppelin: „Immigrant Song“ (1973) (Gitarre: Jimmy Page)

„Das war mal einer meiner Lieblings-Songs. Led Zeppelin haben Stücke geschrieben, die man noch Jahre danach mit sich herumschleppt. Sie sind schon fast klassisch, besitzen jedenfalls Klasse. ,Stairway To Heaven‘ zum Beispiel kann ich mir auch heute noch anhören.“

van Haien: „Jump“ (1983) (Gitarre: Eddie van Haien)

„Das Gitarren-Solo ist sehr gut, doch der Song ist mir zu poppig, speziell der Synthesizer. Auf jeden Fall ist es ungewöhnlich, so etwas von Van Haien zu hören. Sie sind normalerweise wesentlich rockiger und Gitarren-orientierter als auf diesem Titel. Doch das Solo und die Brücke vor dem Chorus, bevor sie ,Jump‘ singen, sagen mir zu.

Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Leuten, die Eddie van Haien kopieren. Beinahe jeder, der heute eine Gitarre besitzt, versucht ihn zu kopieren.

Natürlich ist es auch möglich, daß Eddie den Stil gar nicht selbst .erfunden‘ hat, sondern nur der erste war, der ihn in der breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Während andere Leute, die das schon vorher konnten, unbeachtet herumsitzen und übersehen werden.

Doch allein dafür gebühren ihm alle Credits – und nicht denen, die ihn permanent nachspielen. Nachspielen ist einfach, doch Neues zu erfinden, ist schwer.

Ich glaube allerdings, daß dieser Stil schnell verbraucht sein wird – und zwar aus folgendem Grund: Zu viele Leute kopieren ihn – und dadurch werden die Hörer allmählich übersättigt.

Im Augenblick gibt es einige Stile, die in Vergessenheit geraten sind, weil Eddies Spiel so sehr im Mittelpunkt steht. Dennoch entwickeln sich auch die anderen weiter. Und wenn eines Tages der eine Stil verbraucht ist, werden die anderen ausgekramt.“

Rolling Stones: „Little T&A“(1981) (Gitarre: Keith Richards)

„Grausam! Die Stones sind nicht mein Fall. Mich haben auch zur damaligen Zeit die Beatles weit mehr interessiert. Vor vier Jahren etwa bin ich dann zufällig auf ,The Last Time‘ und ,Paint It Black‘ gestoßen – und das fand ich dann ausgesprochen gut. Trotzdem ist dieser Song und auch die Gitarren-Arbeit grausam.“

Jeff Beck: „Beck’s Bolero“ (1968)

„Als dieser Song herauskam, war ich begeistert; inzwischen hat er doch viel verloren.

Bis zu BLOW BY BLOW hat er unheimlich gut gespielt, und auch ein Song (.Final Peace‘) von der nächsten LP, mit Simon Philipps am Schlagzeug, war der reine Wahnsinn. Aber den Weg, den er seitdem eingeschlagen hat, kann ich nicht nachvollziehen.

Als Gitarristen fand ich ihn zu Zeiten der Jeff Beck Group am besten, mit Cozy Powell am Schlagzeug. Später driftete er mir dann – trotz einiger Ausnahmen – zu sehr in den Jazz und Funk ab. Dieser Song jedenfalls war ausgezeichnet, auch wenn er heute wohl kaum noch Chancen hätte.

Was mich damals vor allem an Beck so fasziniert hat, war die Eigenart, wie er die Pausen gespielt hat. Er wußte genau, wann er mit seiner Gitarre einsetzen und wann er eine Pause I

machen mußte. Er hat niemals voll durchgedudelt, sondern ganz bewußt Pausen gelassen. Das ist ungemein schwierig, den richtigen Zeitpunkt für eine Pause zu finden. Genauso wie Jon Bonham von Led Zep das exakte Timing auf seinen Bass-Drums beherrschte, wie er Lükken ließ. So was finde ich grundsätzlich interessant.

Ich glaube auch, daß die Leute, die vom Blues beeinflußt wurden, den heutigen Gitarristen, die von Eddie van Haien oder mir beeinflußt werden, gegenüber im Vorteil sind. Bluesund Klassik-Einflüsse können sehr hilfreich sind, weil in beiden Aussagen stecken. Doch die, die mich zu kopieren versuchen, können eigentlich nur nachspielen.

Nimm dagegen einen Gitarristen wie Alan Holdsworth, der so ausgeflippte Sachen spielt, daß man seinen Ohren kaum traut. Das ist für Leute, die nur an den normalen Gitarren-Sound gewöhnt sind, einfach unbegreiflich. Man weiß bei ihm nie, ob die Töne nun aus der Gitarre oder dem Synthi kommen. Als ich ihn zum ersten Mal hörte, fragte ich mich: ,Wo,ist denn die Gitarre? 1 Doch weich ein Irrtum: Er hatte die ganze Zeit schon Gitarre gespielt, doch sie klang entweder wie ein Saxophon oder wie eine Geige.

Von David Gilmour stammt der Satz: Er könne mit einem einzigen Ton mehr ausdrücken als jene, die 100 Töne mit atemberaubender Geschwindigkeit spielen. In gewisser Weise hat er Recht.

Andererseits gibt es aber auch Leute, die vom langsamen Spiel schnell genervt werden; die stehen mehr auf Speed und Tempo – wie ein Rennfahrer. Der setzt sich auch nicht in einen Bummelzug und rollt mit 20 Stunden-Kilometern durch die Landschaft, um Blumen zu pflücken. Das ist eher was für romantische Seelen – für einen, der sich gerade unsterblich verliebt hat. Den Rennfahrer aber interessiert in erster Linie der Speed, selbst wenn er dabei auf die Schnauze fällt.

Wenn mich jemand fragt: ,Wer hat dich beeinflußt?‘ nenne ich immer Jeff Beck, Jimmy Page und Leslie West. Doch das sind nur die Haupt-Einflüsse; danebnen gibt es mit der Zeit auch andere Einflüsse. Genaugenommen hat mich Hank Marvin von den Shadows als erster beeinflußt. Der hat mir die Melodien gegeben, Jeff Beck, Jimmy Page und Leslie West das Gefühl.“

Judas Priest: „Jawbreaker“(1984) (Gitarre: K. K. Downing und Glen Tipton)

„Die Gitarristen haben sich stark verbessert, der Song dagegen bringt nichts Neues, typisch Priest, typische Headbanger-Musik mit viel Geschreie. Aber abgesehen davon ganz okay.

Die Gitarren klingen jedenfalls so viel besser als früher.

Zuerst dachte ich, daß sie vielleicht einen Gast-Gitarristen engagiert hätten. Es wurde aber auch langsam Zeit, solange wie die schon rumdoktern.“

ZZ Top: „Got Me Under Pressure“ 1983 (Gitarre: Bill Gibbons)

„Sie haben eine ganz witzige

Art, mit wenigen Mitteln sehr viel zu erreichen, sehr intelligent gemacht. Der Gitarrist hat einen fetten Sound, ist sehr rhythmisch in seinem Spiel. Die Lükken, die er läßt, um sie dann mit einer anderen Gitarre zu füllen, klingen gut. Dieser Song ist allerdings nicht einer ihrer besten.“

Ted Nugent: „Motor City Madhouse“ (1975)

„Nicht mein Geschmack, nee, so fürchterlich wie jene Saufbolde aus Texas, die immer ums Feuer tanzen. So hört sich das auch an.“

Andreas Kraatz

Mountain: „Don’t Look Around“ (1971) (Gitarre: Leslie West)

„Nicht mein Lieblings-Song von Mountain, aber trotzdem gut. Allein schon wegen der Gitarre von Leslie West, der mich sehr geprägt hat. Ob dieser Song für heutige Ohren noch so sensationell klingt wie damals, weiß ich nicht. Als ich anfing, Gitarre zu spielen, bedeutete er mir sehr viel. „Theme For An Imaginery Western“ ist bis heute einer meiner Lieblings-Songs geblieben.“