Das Tor zur Welt


Jeder weiß: Gutes Radio gibt es nicht mehr. FM4 beweist das Gegenteil - seit zehn Jahren.

Osterreich ist das bessere Deutschland, wenn man wirtschaftsüberalen Publikationen wie dem „Manager-Magazin“ traut: „Das Alpenland verfügt aus Investorensicht über ein deutlich günstigeres Preis-Leistangsverhöltnis als Deutschland.“ Daß dies auch für den Rundfunk gilt, wissen Hörer im Grenzgebiet schon länger. FM4, der „Jugendkultursender des ORF“, der 2005 zehnten Geburtstag feierte, hat sich mit einem Programm jenseits üblicher Konventionen eine treue Fangemeinde ersendet – über die Grenzen Österreichs hinaus. Ein alternativ ausgerichtetes Jugendkulturprogramm im öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Da staunt der deutsche Hörer, der so was nur aus der „Abendschiene und zeitlich begrenzten „Fenstern“ (wie dem Zündfunk auf BR 2] kennt. FM4-Programmchefin Monika Eigenspergerweiß um die Sonderstellung ihres Senders und ist „stolz auf den österreichischen Rundfunk, daß man so ein Experiment gewogt und eine Eigenentwicklung forciert hat. Schließlich gab es keinerlei Formaterfahrungen aus dem Ausland, die man hätte kopieren können.“

Anfangs lief FM4 nur von 19 bis ein Uhr und ging erst 2000 rund um die Uhr auf Sendung. Möglich war das, weil der Sender „keinerlei Quotendruck hat“, wie die Pressemappe mitteilt. Eigensperger bestätigt, daß sie keinem Mainstream-Zwang unterliegt. „Logisch ist aber auch, daß man nicht House OfPain in der ‚Mormng Show‘ spielt. „Ihr zufolge darf man sich FMl, als „kleine, gewollte Enklave“ innerhalb des ORF vorstellen: „Wir sind quasi die Gallier“, lacht sie,“.werden aber nicht angegriffen. Die Existenzberechtigung liefern inzwischen 300.000 Hörer täglich in Österreich und zahlreiche Fans im Grenzgebiet. Sie bestätigen den Ansatz. Radio nicht als „absolute Berieselung“ zu begreifen, sondern zu berücksichtigen, dafi „die Konsumenten aufgeschlossener, neugieriger, interessierter sind, als so mancher wahrhaben will“.

Und obwohl wegen des kosmopolitischen Anspruchs (zahlreiche Korrespondenten in aller Welt), der Bilingualität (grundsätzlich nur englischsprachige Nachrichten! und der Urbanität, die der Sender ausstrahlt, die meisten FM4-Konsumenten in Städten sitzen, ist die Bedeutung eines landesweiten „progressiven“ Radiosenders fürdas „flache Land“ nicht zu unterschätzen. Eigensperger: „Rückmeldungen, die wir aus ländlichen Gebieten bekommen, sind die emotionalsten und glücklichmachendsten. Da sind wir so was wie das Tor zur Welt. Die Menschen, die dort leben und sich kultuell so definieren wie wir, sind ja in ihren unmittelbaren Möglichkeiten, ihre Interessen abzudecken und zu kommunizieren, relativ eingeschränkt.“

So kommt es, daß Bands wie Attwenger, Babyshambles und Arcade Fire (Platz eins bis drei der FM4-Charts vom 5. November] auch am Neusiedler See und in der tiefsten Steiermark gängige Begriffe sind und Lokalhelden ein Forum bekommen, ganz ohne Quotenregelung. FM4 bezeichnet sein Musikprogramm als „Alternative Mainstream“. Was aber, wenn der zum „echten“ Mainstream wird, wie Wir sind Helden?.,Zu 90 Prozent geben wir solche Bands an die anderen Sender ab. In Einzelfällen – dazu zählen die Helden – sehen wir das nicht so, weil das wirklich ein gemeinsamer Weg war und wir die Band entdeckt haben, als sie noch nicht mal einen Plattenvertrag unterschrieben hatte.“ Darum lohnt sich der Blick auf die FM4-Charts: Vielleicht strahlen ja irgendwann Rainer Von Vielen (Platz sechs] oder Mauracher (Platz elf] vom Titel eines Musikmagazins. Auch im etwas „rückständigen“ Deutschland.

http://fm4.orf.at