Das Trüffelschwein


Zwei simple Buchstaben entscheiden oft über Sein oder Nicht-Sein: a&r - Artist and Repertoire. Dahinter verbergen sich Jene Herren in den oberen Etagen der Plattenfirmen, die neue Talente aufspüren und die arrivierten betreuen, «was sind das für Menschen, die an Karrieren basteln wie andere Leute an ihrer Modelleisenbahn? Nach welchen Kriterien nehmen sie neue Gruppen überhaupt unter Vertrag? ME/Sounds-Mitarbeiter Matthias Immel blickte den Talent-Scouts bei ihrer Arbeit über die Schulter.

Wenn Andreas Kirnberger alle Demo-Cassetten aus seinem Schrank räumen würde, könnte er damit spielend sein großräumiges Büro in der Frankfurter Bleichstraße auslegen. Kirnberger ist A&R-Director bei der der deutschen CBS. Seit zehn Jahren arbeitet er in diesem Beruf. „A&R“, sagt er, „deckt alle Belange des Künstlers ab. Das geht vom Finden eines Acts über die Vertragsverhandlungen, die ersten Demos, die Suche nach dem passenden Produzenten, nach dem richtigen Studio, eventuell auch nach dem kongenialen Songschreiber bis hin zur Qualität der Plattenanpressung und der individuell abgestimmten Promotion. Mit anderen Worten: Wir schaffen das optimale Umfeld für den Künstler.“

Die entsprechende Seelsorge für den Künstler gehöre natürlich auch dazu, ergänzt er nach einer kurzen Pause: „Man braucht als A&R-Mann nicht nur einen breitgefächenen Musikgeschmack, sondern auch Fingerspitzengefühl. An einem Tag arbeite ich mit Rio Reiser, am nächsten mit Ute Lemper, anschließend bin ich bei Andreas Vollenweider im Studio. Auf jeden muß ich individuell eingehen.“

28 Künstler hat die CBS im internationalen Sektor unter Vertrag, die von vier A&R-Managern betreut werden. Artist Roster-Arbett heißt das im Jargon.

Kirnberger, der Architektur studierte, ist bei der CBS ebenfalls für das internationale A&R zuständig.

das internationale A&R zuständig. Hier wird entschieden, welche Singles und Alben aus dem amerikanischen und englischen CBS-Repertoire auch in Deutschland veröffentlicht werden. Wobei er das internationale Angebot natürlich nicht nur nach Lust und Laune zusammenstellen kann: „Etwa 50 bis 60 Prozent des weltweiten CBS-Katalogs werden in Deutschland veröffentlicht. Einen kommerziellen Super-Ad wie Michael Jackson oder George Michael müssen wir natürlich veröffentlichen. Aber bei ausländischen Newcomer-Bands können wir frei entscheiden.“

Und veröffentlicht werden wollen auch die zahlreichen Nachwuchsgruppen, die alle Plattenfirmen pausenlos mit sogenannten Demo-Cassetten bombardieren. Bis zu 50 verschiedene Bänder flattern Kirnberger und seinen Kollegen wöchentlich ins Haus. „Das Anhören dieser Demos ist oft eine sehr subjektive Sache“, gibt der A&R-Chef zu. „Obwohl wir klar definierte Kriterien entwickelt haben, ist es ein Unterschied, ob man gut gelaunt morgens ins Büro kommt, oder sich abends müde noch hastig ein Band reinzieht. Keiner ist gegen Stimmungen gefeit. A&R wird eben auch aus dem Bauch heraus gemacht.“

Peter Treml, A&R-Chef national bei der EMI Electrola in Köln, setzt die Akzente etwas anders: „Man kann Musik durchaus nach vorgegebenen Kriterien beurteilen. Unsere A&R-Abteilung hat eine für alle verbindliche Kriterienliste erarbeitet, nach der wir jedes eingesandte Demo-Tape bewerten und dann selektieren.“

Diese Meinungsverschiedenheiten sind keinesfalls zufällig. Jede Plattenfirma hat im Sektor „Artist & Repertoire“ ihre eigene Philosophie, jeder Manager sein eigenes Erfolgsrezept.

„Etwas besseres als diese A&R-Vielfall kann uns gar nicht passieren“.

meint Franz von Auersperg, Chef der A&R-Abteilung bei der RCA. „So wird am effektivsten verhindert, daß die Branche nur Trends hinterherjagt. Gerade weil alle A&R-Leute glauben, mit unterschiedlichen Musik-Stilen den Durchbruch zu schaffen, ist das Angebot so vielfältig.“

Auersperg sieht noch andere positive Entwicklungen in seinem Metier:

„In den Anfangstagen des Musikgeschäfts wurde die A&.R-Arbeit nur von sogenannten .Staff Producern‘, also von den Hausproduzenten der Plattenfirmen gemacht. Doch im Laufe der Jahre sind mehr und mehr Leute in den Beruf gegangen, die keine Vergangenheit als Musiker haben. Als A&R-Manager muß man nicht selbst Instrumente spielen können.“

Zurück nach Köln zur EMI. Dort hätte Franz von Auersperg nie einen A&R-Job bekommen, denn die Company mit fast allen Deutschrock-Größen (BAP, Grönemeyer, Lage, Maahn) beschäftigt in ihrer A&R-Abteilung nur aktive Musiker. Peter Treml begründet diese Maxime:

„Für einen Musiker, der neu zu uns stößt, ist die Firma ein undurchsichtiges Gebilde. Er muß einen Panner haben, mit dem er über alle Fragen sprechen kann. Daher können wir nur Musiker für den Job gebrauchen.“

Treml redet von einem Fall, der fast einem Sechser im Lotto gleicht: ein Plattenvertrag für eine unbekannte Nachwuchs-Combo. Laßt Zahlen sprechen: Auf Album-Basis bekommen bei der EMI jährlich zwei bis drei neue Acts einen Vertrag. Dem stehen rund 2500 Angebote gegenüber. Die Chancen stehen 1:1000!

Der Weg bis zum ersehnten Vertrag ist lang und steinig. Treml skizziert ihn: „Am Anfang steht natürlich ein Demo oder ein Konzertbesuch. Die Demo-Bänder teilen wir unter den 12 A&R-Leuten bei der EMI auf. Einmal in der Woche setzen wir uns dann

zusammen und jeder spielt seine interessantesten Bänder vor. Unter diesen Vorschlägen sortieren wir dann noch einmal aus. Was danach übrig bleibt, hören wir uns zwei, dreimal an und laden die Gruppe mal zu uns ein. Dann reden wir mit den Leuten über ihre Musik und ihre Vorstellungen von der Präsentation. Es ist nämlich ungemein wichtig, daß eine Band genau weiß, wie sie sich präsentieren will.

Wenn wir dann immer noch Interesse haben, schauen wir uns die Gruppe eventuell auch live näher an. Das Vorgehen ist von Gruppe zu Gruppe verschieden. Bei einem Disco-Ad spielt die Live-Präsentation keine entscheidende Rolle, während sie bei einer Hardrock-Truppe von erheblicher Bedeutung ist.

Falls die Band dann immer noch im Rennen ist, schicken wir sie ins Demo-Studio und lassen sie unter besten technischen Bedingungen auf unsere Kosten arbeilen. Und wenn das Resultat dann rundum ansprechend ist, machen wir einen Vertrag.“

Peter Treml „will nichts beschönigen“. Die Anforderungen, die man an eine neue Band stellt, „entsprechen einer Höhe von 2,40 Meter beim Hochsprung. “ Wer diese Hürde nimmt, so der EMI-Manager, der hat einen Vertrag – egal woher er kommt, egal, was er vorher gemacht hat.

Treml: „Die Leute von FUX sind das beste Beispiel. Die haben uns irgendwann mal ein Band geschickt. Die kannten nichts und niemand in diesem Geschäft und kamen aus der tiefsten Provinz. Aber ihre Musik war so gut, daß sie einen Vertrag bekamen und auf Anhieb den Durchbruch schafften.“

Ob da nicht doch die eine oder andere fremde Feder am Hut des EMI-A&R’s glänzt 9 Uli Sprenger. Gitarrist und Komponist von FUX. erinnert sich anders: „Unsere ersten Demo-Bänder wurden von allen Major-Companies, auch von der EMI, abgelehnt. Die große Chance gab uns schließlich der „CBS Songs“-Musikverlag. Erst mit dem Geld des Musikverlags konnten wir ein Supersound-Bandproduzieren, das der Verlag wiederum den Plattenfirmen anbot. Plötzlich waren einige interessiert, die Jungs von der EMI waren hall am schnellsten. „

Auch in München sitzt ein Mann, der Tremls Worte nicht so recht glauben mag: Hartwig Masuch arbeitet beim Musikverlag Warner Brothers Music. „Ohne Kontakte ist eine neue Band doch so gut wie aufgeschmissen“.

meint er. Nicht zuletzt deshalb, so Masuch, versuchen immer mehr Gruppen, über Musikverlage den Weg zur Industrie zu finden. Masuch kann sich über mangelnden Andrang nicht beklagen: Rund 20 Gruppenklopfen wöchentlich bei ihm an. Ein deutliches Indiz, daß die Musikverlage neben den Plattenfirmen zu einer wichtigen A&R-Instanz wurden.

Masuch geht sogar noch weiter: „Wir betreiben doch die weitaus effektivere Talentsuche. Wenn man sich die Hitparaden der letzten Monate anschaut, wird man da zu 90 Prozent Acts finden, die über Musikverlage von der Plattenindustrie eingekauft wurden. Die haben meist nur die fertigen Bänder erworben. „

Für eine junge Band hat der erste Schritt zum Musikverlag „nur Vorteile“, meim Masuch: „Bei uns kann sich eine Band stilistisch besser entwickeln. Wir arbeiten mit den Gruppen, ohne sie zeitlich unter Druck zu setzen. Erstwenn beide Seilen meinen, daß die Zeit reif ist, suchen wir einen Vertriebspartner.

Eine Plattenfirma kann das nicht. Da muß alles schnell gehen. Am Ende sitzt da ein 25jähriger A&R-Mann, der noch nie eine Zeile komponiert hat, und erzählt der Gruppe, welche Musik sie am besten spielt. Eine junge Gruppe darf auf keinen Fall Kompromisse eingehen. Das ist der größte Fehler. „

Masuch liefert das Stichwort. Was ist denn der größte Fehler, den Bands machen, wenn sie ihre Bänder an die Plattenfirmen schicken?

Bei dieser Frage sind sich sämtliche A&R-Chefs, sonst immer ver- ¿

schiedener Meinung, ausnahmsweise einig: „Die Bands kopieren meist nur und entwickeln nichts Eigenständiges“, bringt Siggi Wolf, A&R-Chef der Ariola, die Vorwürfe der Talentscouts auf den Punkt. „Man kann den Gruppen nur raten: Schickt eure Demos nicht zu früh ein. Denn bei allen Bändern, die mir auf den Tisch flatlern, sind die Song-Ideen noch nicht ausgegoren. Und statt zehn Songs, die zwangsläufig nicht ganz durchdacht sind, lieber drei, an denen wirklich gefeilt wurde. Denn meist ist es nur ein wirklich guter Song, ein interessantes Riff, ein nicht erwartetes Instrument, das dazu führt, daß man sich näher mit einem Künstler beschäftigt.“

Und was, von einem guten Song abgesehen, muß eine Band mitbringen, um einen Vertrag zu bekommen?

„Sie muß“, so Wolf, „zunächst mal ihr Handwerk beherrschen. Sie muß wissen, wie sie sich präsentieren will. Der Frommann muß Charisma haben und die Band eine langfristige Perspektive, denn ein kurzlebiger Single-Act ist für uns kreativ und letztlich auch kommerziell uninteressant.“

Wenn eine Band all diese Bedingungen erfüllt, hat sie deshalb noch lange keinen Vertrag in der Tasche. Der Act muß schließlich auch in das Artist Roster, in die Künstlerpalette der Firma passen. Wolf: „Ich kann ja nur Bands in unterschiedlichen Entwicklungsstadien signen. Das heißt: Wenn ich schon einige etablierte Hardrock-Bands habe, wäre ich dumm. noch weitere unter Vertrag zu nehmen. Da nehme ich in diesem Genre lieber eine Nachwuchs-Band hinzu. Wenn ich im Pop-Sektor schon zwei junge, unbekannte Gruppen habe, kann ich da schlecht noch eine dritte signen. egal wie gut sie auch sein mag: alle drei könnte ich nicht gleich gut betreuen.

Gute A&R-Arbeit ist wie ein gesundes Kreislaufsystem: Man hat einen Act, bringt ihn nach oben, und mit dem Geld, was man da erwirtschaftet, suche ich mir einen neuen Act.“

Musik ist aber schließlich auch eine Sache des persönlichen Geschmacks. Wie kann man den als A&R-ler mit seinem Job verbinden? Werden die eigenen Vorlieben an der Bürotür abgestreift?

„natürlich kann ich nicht bei jeder von uns betreuten Band mit dem gleichen Engagement dahinterstehen“, spricht Franz von Auersperg nicht lange um den heißen Brei. „Aber ich kann jeden Act akzeptieren, der auf seine Art ehrlich und stimmig ist.“

EMI’s Peter Treml handhabt dies ähnlich: „Für Außenstehende mag es etwas chamäleonhaftig sein, wenn man mit den verschiedensten Musikern arbeitel und sie alle künstlerisch gut findet. Als ich zur EMI kam und mir das Artist Rosler anschaute, dachte ich:, Oh Gott, jetzt mußt du mit all diesen Schlagerfuzzis zusammenarbeiten. ‚ Solche Sachen wie Heino, die mir komplett unter die Gürtellinie gingen, hab ich rausgeschmissen: und mit den übrigen, wie etwa Carpendale. hatte ich sehr schnell mein Aha-Erlebnis: Der Act ist in sich stimmig, mußte ich feststellen: der Carpendale weiß genau, was er will, die Musik ist durch und durch professionell, die Bühnenshow hat amerikanisches Format und die Perspektive stimmt. Da kann ich voll dahinterstehen.“

Szenenwechsel. Grafing bei München. Hier haben die Hardrocker Dominoe ihr Domizil aufgeschlagen. Obwohl sie mit ihrer ersten Single „Here I Am“ bereits den Durchbruch schafften, verfinstern sich die Mienen, wenn das Stichwort „A&R“ fällt. Gitarrist Robert Papst: „Über einen Bekannten hatten wir Kontakt zum Lothar Meid bekommen, der gerade bei der WEA angefangen hatte. Und die Sache begann auch recht verheißungsvoll. In einem ersten Gespräch sagte Meid, daß wir einen Vertrag bekämen, das Album selbst produzieren und in unserem eigenen Studio einspielen könnten.

Bei einem zweiten Gespräch sah die Sache schon ganz anders aus. Er kam in unser Studio und moserte: .Hier ist doch ein total beschissenes Equipment, hier kann man nicht arbeiten.‘ Wir haben auf unserem Studio bestanden, und da ist er gegangen. Wir haben später bei RCA einen Vertrag bekommen und das Album in unserem Studio eingespielt. „

Lothar Meid, der hier Gescholtene, spielte als Bassist bei Embryo. Passport und Atnon Düül II, veröffentlichte vier Solo-Alben und produzierte mehrere LPs von Müller-Westernhagen. Der 45jährige Meid arbeitet seil März ’87 als A&R-Chef bei der WEA in Hamburg. Was sagt er zu den Vorwürfen von Dominoe?

„Das Dominoe-Band war das erste, mit dem ich bei der WEA zu tun hatte. Ich wollte die Band signen. obwohl viele Leute in unserem Haus dagegen waren. .Was wollen wir mit dieser Gruppe, wenn wir schon Foreigner unter Vertrag haben?‘ bekam ich im Haus zu hören. Ich konnte den Act

ACT- DREI PROFIS MACHEN A&R

Eine Talent-Schmiede besonderer Art hoben Ende des letzten Jahres drei exponierte Vertreter der deutschen Musikszene aus der Taufe. Fotograf und Manager Jim Rakete, die Musikerin Anete Humpe und die schillerndste Figur unter den Platten-Bossen, Siggi Loch, gründeten zusammen die Firma ACT. Eine Art Talent-Späh-Organisation, die aufgrund der vielfältigen Erfahrungen der Macher im Umgang mit Musikern und Plattenfirmen „ihren“ Künstlern eine gründlichere und langfristigere Unterstützung gewähren will. So jedenfalls der Plan. Einen „Abnehmer“ für die von ACT großzuziehenden Babies haben Rakete, Humpe und Loch bereits gefunden. Ben Bunders, Chairman von Polygram, unterschrieb einen Vertrag mit der neuen Kreativ-Agentur. Jim Rakete zur Situation: „Ich halte die A&R-Betreuung der deutschen Platten firmen gar nicht für so schlecht. Diese Leute sind aber überfordert, da sie mit internationalem Produkt überfrachtet werden und nicht so intensiv mit den nationalen Acts arbeiten können. Dies führt unweigerlich dazu, daß deutsche Bands erst in einem viel zu späten Stadium von einer Plattenfirma unter Vertrag genommen werden, zu einem Zeitpunkt nämlich, wo sie sich fast schon aufgegeben haben. Und genau hier wollen wir ansetzen. Wir wollen Bands in einem sehr frühen Stadium signen, damit sie schon sehr früh ein optimales Umfeld haben und sich schnell und positiv entwickeln. Etwas skeptisch bin ich allerdings. Unter den deutschen Musikern hat sich Mutlosigkeit breitgemacht. Die sehen, daß man begeistert einem Mann wie Prince zujubelt, während man gleichzeitig bei deutschen Plattenfirmen nur Absagen kassiert, wenn man ein Bond mit ähnlich extremer Musik einschickt.“

also nur durchsetzen, wenn ich dem Haus einen Bomben-Sound vorgelegt hätte. ,Laßi uns die Songs in einem Top-Studio abmischen‘, hab ich gesagt, aber das wollten sie nicht.“

Nach einem Jahr A&R bei der WEA „sind die anfänglichen Illusionen verschwunden“; Bruder Sachzwan? ist ein ständiger Mitarbeiter.

„Ich muß soviele Komponenten einkalkulieren, an die ich vorher nicht im Traum gedacht hätte. Ich muß bei meinen Entscheidungen auf jede Abteilung des Hauses Rücksicht nehmen. Wenn ich z.B. eine Hardcore-Punk-Band signen möchte, könnte ich mir das gleich abschminken. Ich könnte die Jungs zwar unter Vertrag nehmen, aber ich wüßte genau, daß die anderen Abteilungen des Hauses (Promotion oder Vertrieb) mit der Band überhaupt nichts anfangen könnten. Und wenn die PR-Abteilung nicht mitspielt, kann ich das Projekt vergessen.“

Auf der Suche nach neuen Talenten zieht Meid trotzdem regelmäßig durch die Clubs und schwärmt dann vom amerikanischen Musikbusiness:

„Die Szene dort ist viel flotter: da sind die A&R-Leute nicht so beamtenähnlich wie hier. „

Peter Köpke kann Meids Worten nur zustimmen. Er war vor Jahren auch einmal A&R-Chef bei der WEA, wechselte dann zu Atlantic Records nach London und schließlich zu Atlantic Amerika, wo er heute als Vorstandsassistent in New York arbeitet. „Wenn ich im A&R-Bereich Deutschland mit Amerika vergleiche“, urteilt er sarkastisch, „dann ist das wie Tag und Nacht. Die Branche in Amerika ist erheblich professioneller, weil sich eine US-Firma – anders als in Deutschland – nicht darauf verlassen kann, irgendwelche Super-Seiler aus anderen Ländern übernehmen zu können. Hier muß man schon selbst etwas auf die Beine stellen.

Unterschiede gibt es aber nicht nur beim A&R. In Deutschland gibt es keine intakte Infrastruktur im Management-Bereich. Deshalb kann man mit einem Act wie Nena oder Falco zwar mal einen Zufallstreffer auf dem Weltmarkt landen, aber nie einen Künstler dauerhaft etablieren.

Wenn ich das Business in Deutschland, England und Amerika vergleiche, komme ich zu folgendem Schluß: Die Deutschen sind nicht sehr kreativ, setzen aber das, was sie auf die Beine stellen, sehr gut um. Die Engländer sind sehr kreativ, setzen alles aber sehr schlecht um. Die Amerikaner haben eigentlich gar keine Idee. Aber wenn sie auf irgendetwas stoßen, ziehen sie es am perfektesten durch.“

Muff Winwood, einer der wichtigsten A&R-Executives in England, selbst Musiker, älterer Bruder von Steve Winwood und A&R-Direktor bei CBS London, drückt die für ihn gültigen Kriterien sehr drastisch aus: ., Wenn ich heute eine Band signe, sind Hype und Image wesentliche Bestandteile des Erfolgs-Konzepts. Man bedenke, daß jeder neue Act 1 1/4 Millionen engl. Pfund pro Jahr kostet. Der optische Gesichtspunkt einer Band ist heutzutage viel wichtiger als früher. Aufgrund der begrenzten Möglichkeiten, live zu spielen, muß ein gutes und damit teures Video her, um eine Band zu pushen. „

Wenn es nach Thomas A. White, einem sog. „Consultant“ im US-PIattengeschäft ginge, sollten die A&R-Leute am besten komplett in die Wüste geschickt werden. Im USFachblatt „Billboard“ sagte er unlängst: „A&R ist das ernsteste Problem der Platten-Industrie. So wie sie heute praktiziert werden, münden 85 bis 90 % aller A&R-Entscheidungen in finanziellen Katastrophen. Die Companies investieren sechs- oder siebenstellig in Talent-Suche, Produktion, Herstellung, Marketing und Vertrieb für jedes neue Album. In den meisten Fällen kommen die Einnahmen durch Plattenverkäufe nicht mal annähernd an die Ausgaben heran. Jeder Aspekt von Wirtschaftlichkeit in der Plattenbranche wird damit durch verfehlte A&R-Politik zunichte gemacht.“