David Bowie: Der Stern über seiner Schulter


Wie aus dem Nichts erschien David Bowie 2013. Dorthin verschwand er nach nicht einmal drei Jahren wieder. Gerade als sich die Welt einig geworden war, dass wir von ihm noch ein großartiges Alterswerk zu erwarten haben.

Emily Haines und James Shaw bummeln 2011 durch New York. Weil sie gerade in der Nähe sind, machen die Sängerin und der Gitarrist der kanadischen Band Metric einen kleinen Abstecher zu dem Studio, in dem sie ihr letztes Album aufgenommen haben. „The Magic Shop“ liegt in der 49 Crosby Street in Soho, gegenüber einem Friseur und neben einem Fitnessstudio. Bevor sie auf den Klingelknopf drücken können, tritt zufällig Kabir Hermon vor die unscheinbare Tür. Hermon ist der Manager des Studios, ein guter Freund der Band. Jetzt wirkt er seltsam fahrig, er hat keinen Besuch erwartet. Später wird Hermon sich gegenüber dem „NME“ an diese Situation erinnern: „Ich musste die Tür hinter mir schließen und ihnen erklären, dass ich sie nicht hineinlassen darf. Und ich konnte ihnen nicht erklären, warum.“

David Bowie: Der Stern über seiner Schulter

Der Grund war, dass hinter der verschlossenen Tür an diesem Tag ein paar Musiker an einem Album arbeiteten, die ein bestimmter Mann um sich versammelt hatte – David Bowie. Mit ein paar Sessions unter der Aufsicht seines langjährigen Produzenten Tony Visconti hatte Bowie soeben zum zweiten Mal mit der Arbeit an THE NEXT DAY begonnen. Zuvor hatte das Team aus einem anderen Studio fliehen müssen, als Gerüchte die Runde zu machen begannen, Bowie würde dort aufnehmen. Damit dergleichen im „Magic Shop“ nicht wieder passierte, bekam das Hauspersonal während der Aufnahmen frei. Wer blieb, unter anderem Kabir Hermon, musste eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen. Das galt auch für die Musiker. Gitarrist Earl Slick weihte nicht einmal seinen Roadie ein. Und Hermon streute seinerseits in die Irre führende Gerüchte, wer da gerade Geheimnisvolles arbeitete. Die Rolling Stones vielleicht? Die Smiths gar? Bowie hatte zu diesem Zeitpunkt ohnehin niemand mehr so richtig auf dem Schirm.

David Bowie – THE NEXT DAY

Es sollte das Ende der längsten Sendepause in Bowies Karriere sein. 2003 hatte er REALITY veröffentlicht und sich danach rar gemacht. Es gab noch eine Tournee, auf der er einen Herzinfarkt erlitt, einen von sechs, wie es hieß. Immerhin war der Mann in seinen Sechzigern, hat ganze Skigebiete weggekokst und geraucht wie das Ruhrgebiet in den 50er-Jahren.

Zuletzt stand er 2006 mit Alicia Keys auf der Bühne und sang „Changes“, bei einer Wohltätigkeitsgala in New York. Es sollte sein letzter öffentlicher Auftritt gewesen sein. Mit Gattin Iman und Tochter Lexi lebte er, wenn er nicht gerade mit ihnen durch die Welt reiste, in seinem Apartment in Manhattan. Dort konnte Bowie sich weitgehend unbehelligt bewegen. Sein Management bestand seit Jahrzehnten im Grunde nur aus der extrem loyalen Coco Schwab. Die Plattenfirma selbst hatte es Schwab erst wenige Tage zuvor wissen lassen, dass THE NEXT DAY am 8. März 2013 veröffentlicht werden sollte. Und plötzlich, ganz plötzlich, war Bowie wieder da. Als wäre er nie weg gewesen. Wozu sicher auch die Single „Where Are We Now?“ beigetragen hat, in der Bowie sich – überraschend nostalgisch – durch eine Aufzählung von Orten und Namen in jenem Westberlin dekliniert, dem er seine Wiederauferstehung gegen Ende der 70er-Jahre zu verdanken hat.

Alicia Keys and David Bowie during Conde Nast Media Group Presents
David Bowie 2006 auf der Bühne mit Alicia Keys.

Nicht weniger zeichenreich geriet die zweite Single „The Stars Are Out (Tonight)“ und vor allem das zugehörige Video, in dem David Bowie und Tilda Swinton ein alterndes Ehepaar spielen, das von jüngeren Versionen ihrer selbst bedrängt wird. In einer Szene wirft Swinton ein Tratschblatt in den Müll, auf dessen Titelbild unter der Zeile „Alien lives next door“ David Bowie zu sehen ist – mit kahlem Schädel. Seine Krebs-Diagnose erhält er allerdings erst im Frühjahr 2014. Dass es Krebs ist, erfahren seine engsten Mitarbeiter erst im Lauf der Projekte, die Bowie jetzt mit großer Schaffenswut in Angriff nimmt. Es folgen 18 Monate konzentrierter Arbeit, die am Ende mit BLACKSTAR in ein derart würdiges Finale mündet, für das es kaum andere Beispiele in der Rockgeschichte gibt.

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Zunächst komponiert er für Johan Rencks TV-Serie „The Last Panthers“ mit „Blackstar“ die Titelmusik. Bei einem Besuch des Schweden in New York eröffnet Bowie ihm jedoch, dass die Idee hinter diesem Stück noch viel größer ist. Ob Renck denn nicht auch das Video für eine lange Version des Songs drehen wollen würde? Es sei allerdings damit zu rechnen, dass er aufgrund seiner Chemotherapie nicht immer fit genug für den Dreh ist, so Bowie. Möglicherweise bräuchten sie ein Double für ihn. Zur gleichen Zeit stürzt Bowie sich in die Planung, Komposition und Inszenierung des Musicals „Lazarus“. Bowie wirkt bei den Castings mit, ist bei den Proben dabei, macht sich Notizen. Das Stück basiert auf dem Roman „The Man Who Fell To Earth” von Walter Tevis, die Titelrolle in der Verfilmung von Nicolas Roeg spielte er 1976 selbst. Auch „Lazarus“-Regisseur Ivo van Hove erklärte Bowie schon 2014, dass er die Premiere des Stücks vermutlich nicht mehr erleben werde.

Bowie kontaktiert Tony Visconti und bucht erneut „The Magic Shop“. Zusammen mit seiner langjährigen Freundin, der Musikerin und Komponistin Maria Schneider, besucht er im West Village die „55 Bar“, um sich den Saxofonisten Donny McCaslin anzuhören. McCaslin erkennt den berühmten Gast nicht. Im Magazin „Uncut“ erinnert er sich: „Am nächsten Morgen schrieb er mir eine E-Mail und sagte, er habe einen Song auf Basis dessen geschrieben, was er vergangene Nacht gehört habe und frage sich, ob ich daran interessiert sei, ihn aufzunehmen. Nachdem ich meinen Unterkiefer wieder aufgehoben habe – er war so freundlich, so generös –, sagte ich: ,Absolut, sehr gerne!‘“

Doch vermutlich bezieht sich Bowie auf einen Elvis-Song: „Every man has a black star, a black star over his shoulder. And when a man sees his black star he knows his time, his time has come.“

McCaslin und seine Band erscheinen kurz nach 10 Uhr im Studio, David Bowie meistens um 11 Uhr, dann jammen sie bis in den Nachmittag. Keine langen Sitzungen. Produktive Spurts. Bowie nimmt die Aufnahmen mit nach Hause, bringt am nächsten Tag Verbesserungsvorschläge und neue Demos mit. Fertige Sachen darunter, abgezweigt von „Lazarus“, ganz neue Songs – komplett mit Arrangements und „leeren“ Stellen für mögliche Soli. Manchmal kommt James Murphy (LCD Soundsystem) dazu. Für THE NEXT DAY hatte er Remixe gefertigt. Die Beats für „Girl Loves Me“ erstellt Murphy zu Hause. Wenn Bowie im Studio ist, erzählt Visconti, ist er fokussiert bis euphorisch. Geht es ihm schlecht, taucht er nicht auf. Seit November 2015 weiß er, dass seine Krankheit ihn töten wird. Aber er weiß nicht, wie viel Zeit ihm noch bleibt. Mit Johan Renck nimmt er seine beiden letzten Videos in Angriff. Die Auseinandersetzung mit dem Tod ist tief in die lyrische und ikonografische Matrix von „Blackstar“ und „Lazarus“ eingewoben. Schon der Titel „Blackstar“ gab – vor seinem Tod – Rätsel auf, wurde mit satanischen Ritualen, astrologischen Ideen der Maya oder Schwarzen Löchern in Verbindung gebracht. Doch vermutlich bezieht sich Bowie auf einen Elvis-Song: „Every man has a black star, a black star over his shoulder. And when a man sees his black star he knows his time, his time has come.“ Dazu singt er über die Loslösung der Seele vom Körper: „Something happened on the day he died, spirit rose a metre and stepped aside.“

Im Video zu „Blackstar“ schlüpft Bowie in drei Rollen. Da ist der hilflose Mann mit bandagiertem Gesicht und Knöpfen anstelle der Augen. Da ist der Wanderprediger vor Theaterkulisse mit dem heiligen Buch. Da ist der flamboyante und körperbewusste Tänzer, der seine Moves noch draufhat. Und da ist, nicht zu vergessen, der tote Astronaut – ein „Major Tom“, dessen Schädel mit Juwelen besetzt ist und der in einem okkulten Ritus zum Gott erhoben wird.

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Das Video zu „Lazarus“ lässt sich noch eindeutiger als Metapher auf den Tod, aber auch als Vermächtnis lesen. Bowie, wieder bandagiert, levitiert auf dem Sterbebett, unter dem im Form einer Frau bereits das Grauen herumhuscht. Zugleich tritt er uns, ein letztes Mal, agil und kreativ entgegen – im gleichen hautengen schwarzen Anzug mit den weißen diagonalen Streifen, den er vor 40 Jahren auf dem Backcover von STATION TO STATION getragen hat. Inspiriert von dem Schädel auf dem Schreibtisch, den wir aus dem „Blackstar“-Video kennen, schreibt er mit einem Füllfederhalter wie besessen – und nicht unkomisch, wie ein gehetzter Buster Keaton – an letzten Worten, zu denen auch „Help me“ zählt. Zuletzt verschwindet er rückwärts in einem Schrank wie in einer anderen Dimension. Dem Regisseur selbst erklärt Bowie, das sei ein Scherz darüber, dass er selbst zu Beginn der 70er-Jahre „out of the closet“ kam – und nun wieder darin verschwindet. Wohin auch immer.

KMazur WireImage