Depeche Mode


Unbeschwerter Synthie-Pop für's tanzende Volk. Aber irgendwann werden auch die Tanzbeine müde.

Auf den britischen Inseln sind sie Stars. Stars für unzählige Fußpaare auf dem Post-Travolta-Tanz-Boden, Stars für die schminkfreudigen New-Romantic-Pfaue, Stars für die Freunde der Pop-Musik aus den Oszillatoren und Filtern des elektronischen Instrumente -Parks, der mit jedem Tag größer, besser und – billiger wird.

Depeche Mode’s Debüt-Album SPEAK AND SPELL wurde bereits eine Woche vor Veröffentlichung vergoldet. Drei Singles hatte die Band bis dahin gemacht, „Dreaming Of Me“, „New Life“ und Just Can’t Get Enough“, Qualität und Chart-Position in gleicher Reihenfolge ansteigend. Wunderbare kleine Pop-Pralinen aus dem Baukasten, so flockig und herzig vorgetragen, daß sie trotz aller Widerstände kleben bleiben.

In Deutschland hingegen fristen Depeche Mode ein unscheinbares Dasein im New-Wave-Fach der örtlichen Schallplattenladen. Also machten sich Martin Gore (20, früher Bankangestellter), David Gahan (19, vom College), Andy Fletcher (20, Versicherungskaufmann) und der neue Mann Alan Wilder (22, ewiger Musiker) auf den Weg zum Festland. Drei Konzerte standen an, Hamburg, Berlin und Hannover. David Gahan schätzt das insgesamt auf etwa 3 000 Besucher: „Das wird der Platte also nicht viel nützen, aber Fernsehen ist natürlich wichtig, und Interviews.“ Nun denn.

Die Geschichte von Depeche Mode ist schnell erzählt: Eine kleine Stadt irgendwo in Sussex, Martin und Andy sind Schulfreunde, treffen den etwas älteren Vince Clarke, freunden sich an und beschließen, es mit Musik zu versuchen. Nachdem mit dem selbstbewußten David Gahan auch noch ein passender Sänger gefunden ist, steht die erste Version von Depeche Mode: Vince ist Gitarrist, Andy übernimmt den Bass und Martin die Electronics.

Aber schon bald verändert sich Depeche Mode zur reinen Keyboard-Band: „Andy und Vince fühlten sich limitiert. Bass oder Gitarre hoben halt nur diesen typischen Klang. Ihnen wurde klar, daß sie ihre Rollen genauso gut am Synthi einnehmen konnten, wo sie noch weitaus bessere Sounds zur Verfügung hatten.“

Vince Clarke schrieb den Löwenanteil ihres Repertoires, viele Songs von SPEAK AND SPELL wurden damals noch auf Gitarren eingeübt. Die wunderbar organisierten Pop-Harmonien der Platte schrieb man ebenfalls Vince Clarke zu – und als dieser dann Anfang dieses Jahres Depeche Mode verließ, sah die Zukunft der Band plötzlich gar nicht mehr rosig aus. Doch dann kam „See You“, die erste Single aus der Feder von Martin Gore, ebenso gut (wenn nicht besser) wie der ansteckende Gassenhauer „Just Can’t Get Enough“.

Musikalische Differenzen waren ja wohl nicht der Grund, daß Vince sich von euch getrennt hat. Depeche Mode klingt heute nicht viel anders, und auch Vince will ähnlich weitermachen …

David: „Wahrscheinlich hatte er Angst, zu sehr von der Öffentlichkeit eingenommen zu werden. Die Leute achten oft mehr auf unsere Gesichter und Kleidung als auf die Musik. Das hat ihm keinen Spaß mehr gemacht …Er hat gerade eine Single aufgenommen, ein Mädchen singt und er macht die Electronics…“

Martin: „Er hat’s auch gemacht, weil er alleine arbeiten wollte. Er wollte eine Solo-Karriere.“

War das ein schwerer Schlag für die Band?

Martin: „Wir waren besorgt.“ (Gelächter).

David: „Nicht wegen Martin ’s neuer Rolle als Songwriter, das hat mich nicht gesorgt. Aber die Presse verzerrt die Dinge gerne. Die könnten einfach schreiben: „Ja, ganz nett, aber wo sind die Vince-Clarke-Songs?“ Für das Radio ist das nicht so wichtig; die wissen wahrscheinlich sowieso nicht, wer was schreibt. Aber die Presse… sie kann das Image der Band verderben.“

Meint ihr, daß Depeche Mode heute besser sind als früher?

Martin: Oh ja sicher, wir sind viel mehr Gruppe als früher, als wir vieles einfach Vince überlassen haben. Er war der Typ, der Sachen anpackt, wenn wir nicht weiter wußten. Insofern hat uns sein Ausstieg mehr Gutes als Schlechtes gebracht. Im Studio kennen wir uns jetzt besser aus, die Songs können wir optimaler umsetzen, wir sind einfach erfahrener geworden.“

Könnt ihr euch einen Punkt vorstellen, an dem die Maschinen nichts Neues mehr bringen?

Martin: „Ach, es gibt doch jede Woche neue Instrumente, neue Techniken, man hat immer was zu lernen. Nur übernehmen sollte man sich nicht, dann hat man nicht mehr die Zeit und Konzentration, um gute Songs zu schreiben. Da gehen die meisten Bands dran zugrunde…

In England spielt die Mode auch eine große Rolle. Die Kids springen auf irgendeinen Trend, kaufen sich die ganzen Klamotten, dann kommt plötzlich was Neues und alles ist über Nacht ganz anders. Aber wir haben uns gehalten. Wenn wir so sehr von der Mode abhingen, dann hatten wir höchstens ein oder zwei Singles gehabt.“

Ich meine das auch eher auf künstlerischem Gebiet. Ihr habt nun mal einen sehr typischen Sound, eben Synthis und dazu Gesangsharmonien, die an die Beach Boys erinnern. Und die sind ihrer Surf-Welle auch überdrüssig geworden und haben sich der Psychedelia zugewandt.

David: Jede Band verändert sich mit der Zeit. Vielleicht haben sie ja nur etwas Neues versucht, ohne das Alte satt zu haben. Die alten Beatles-Platten laufen auch heute noch sehr gut So ist eben Pop.“

Gibt es irgendetwas, wofür ihr steht? Fühlt ihr euch als Teil einer Bewegung?

Martin: „Man nannte uns letztens „Happy New Wave“. Das gefiel mir gut.“

Habt ihr denn so was wie eine Botschaft? Wollt ihr die Leute glücklich machen?

Martin: „Das ist keine Botschaft. Wenn überhaupt, dann kommt es von allein. Außerdem sind wir sowieso keine glücklichen Typen, oder?“(Gelächter).

David: „Ich möchte unbedingt, daß man bei unserer Musik dahinschmilzt und seufzt „Oh, ist das toll!“

Noch eine abschließende Botschaft an unsere Leser?

“ We’re just a fun band!“ Die simple Aussage „We’re just a fun band“ weckt in mir allerdings das Gefühl, es hier mit tendenziell resignierten Jugendlichen zu tun zu haben, deren Bemühungen um Fun kaum mehr sind als eine hoffnungslose Geste persönlicher Richhtungslosigkeit. Natürlich hat jeder das Recht auf seine kleinen Pop-Gefühle, doch wer sich so unangreifbar macht wie Depeche Mode, der wird uns auf die Dauer nicht allzuviel zu sagen haben. Und auch die Tanzbeine werden irgendwann einmal müde.