Der Doppelte Heinz


Heinz Rudolf hat’s nicht leicht: Als Lieblingsopfer deutscher Medien mußte er mit Ehrentiteln wie „Hirnrocker“ oder auch „Oberlehrer“ leben. Jetzt schlägt er zurück – H. R. Kunze sprach mit W&S& W&M** H.R.Kunze Wie bitte? Ein Selbst-Gespräch von und mit HRK für den Musik Express? Habt Ihr Angst, daß ich Eure Journalisten reihenweise frühstücke? Aber meinetwegen: Ich bin ja ohnehin ein öffentliches Monstrum, und auf das. was ich nachts meinem Hund bei seiner Pinkelrunde erzähle, hat das geschätzte Publikum wohl auch einen Informationsanspruch. Also los: Ich bitte um Applaus für meinen definitiven Freischwimmerversuch in Sachen Schizophrenie:

Könnte ich mir ein Thema vorstellen, zu dem mir nichts einfällt?

„Immerhin die Hälfte aller Themen dieser Welt. Alle Themen, die naturwissenschaftlich orientiert sind, die nicht den poetischen Aspekt der Physik oder der Chemie oder der Biologie berühren. Alles, was ins stark Mathematische/Analytische geht, sagt mir wenig. Ich glaube aber nicht, daß es ein Thema gibt, wo ich grundsätzlich blocken würde. Allerdings gibt es so ein paar Dinge oder Themen oder Menschen, die haben mittlerweile eine Qualität des Schwachsinns angenommen, daß man wehrlos ist. Daß man mit keiner Pointe, mit keiner Wut mehr dagegen ankommt. Also diese ganze donnernd triumphale deppenhafte Art: Dieter Bohlen, Helmut Kohl. Denen sind schon alle Pointen abgezwungen auch Namen. Zumindest in Sprechtexten, in Liedern weniger. Wenn sowas alleine dastünde, wäre ich Kabarett – und Kabarett ist, finde ich, eine ganz fragwürdige Kunstform. Da bekichern sich Gleichgesinnte, über Dinge, die sie vorher schon wußten.“

Kommt die Musik bei mir an zweiter Stelle, nach den Texten?

„Der musikalische Faktor war zu Anfang meiner Laufbahn nicht ganz so glücklich gehandhabt. Das hat Jahre gebraucht und Umbesetzungen in meiner Gruppe, bis ich Menschen zusammen hatte, mit denen ich klanglich, rhythmisch, harmonisch auch Spaß erzeugen konnte. Mir ist die musikalische Ausgestaltung, die wir jetzt praktizieren, sehr viel lieber, weil die Sprache, wenn so viel Musik dabei ist, etwas gelassener daherkommen kann und nicht mehr die gesamte Unterhaltungsverantwortungauf sich hat.“

Ist mein Publikum intelligenter als das von Peter Maffay?

„Ich halte es für zahlenmäßig geringer. Ich würde gern mehr von den Leuten, die man Maffay nachsagt, bei mir begrüßen können. An eine prinzipielle Unüberwindbarkeit in Sachen Kunze glaube ich nicht.

Eins der schönsten Andenken, was ich je bekommen habe, war ein Souvenir von einem Brechmann aus Kiel. Der kam nach dem Konzert furchteinflößend und breitschultrig auf mich zu, und ich wußte nicht ganz, ob der mir nun eine hauen wollte oder mir was sagen. Und dann trennte er sich von seiner Lederjacke sein Motorradclub-Abzeichen ab und schenkte mir das. Da war ich doch sehr beeindruckt.

Bin ich wirklich der Oberlehrer, wie man oft sagt?

„Ich versuche nicht, Menschen zu erziehen oder ihnen etwas beizubringen. Ich habe keine Message. Ich habe viele kleine Einzelheiten zu erzählen, die mir auffallen. Es gibt jedoch Neid von Leuten, die es nicht gut haben können, daß jemand versucht, sich genau und präzise auszudrücken. Es gibt Neid, was meine Repertoirekenntnis angeht, denn meine Zitate sind recht vielfältig und von allen möglichen Ecken zusammengeklaut. Ich habe den einen oder anderen Strauß ja auch ausgefochten mir irgendwelchen Kollegen, die mich in dieser Weise angepinkelt haben. Die haben ordentlich zurückgekriegt.“

Ich frage mich, ob ich es jemals schaffe, aus diesem Image herauszukommen?

„Ich habe im Urlaub in Houston in einer großen Tageszeitung einen Artikel über Sting gelesen, wo der Journalist ganz ehrfurchtsvoll schreibt, daß Sting auch mal Lehrer war. Der hätte uns ja richtig was zu erzählen, da sollte man mal genau zuhören. Und so wird dort der Ex-Lehrer kommentiert. Es gibt im angloamerikanischen Bereich eben die Möglichkeit zuzugeben, daß man mehr als ein Buch gelesen hat, ohne sich gleich deswegen sagen zu lassen müssen, man rocke und rolle nicht.“ ¿

Ich werde oft gefragt, ob ich gern Politiker sein würde, Entscheidungsträger, etwas knallhart durchsetzen möchte?

„Ich hätte keine Angst. Verantwortung zu übernehmen. Knallhart durchziehen heißt, für Mehrheiten zu sorgen. Das „Knallhart“ verbietet sich von selbst. Alle Dinge, die wirklich heutzutage wichtig werden, müßte man knallhart durchziehen, aber das geht gar nicht. Kann man also nur auf einem mühseligen Kompromiß-Schneckenweg anstreben. Denn entweder man schließt Kompromisse und findet Mehrheiten, oder rechnet und lebt mit Trägheiten und Gewohnheiten. Oder man dreht durch und schießt um sich. Das alles möchte ich nicht.“

Freunde fragen mich besorgt, ob die langen Tourneen mehr Spaß oder Streß mit sich bringen?

„Spaß! Eindeutig. Es ist zwar soviel Streß, daß ich hinterher immer körperlich sehr mürbe bin und häufig zum Arzt rennen muß, um mich wieder durchchecken zu lassen. Kein Fitnessprogramm. Viel trinken, viel rauchen.“

Was war auffällig an der Entstehungsgeschichte der neuen Platte?

„Zum ersten Mal hatten wir zum Teil sehr rohe Demos. Bisher war ich an Demos immer sehr perfektionistisch rangegangen und hatte die schon soweit vorbereitet, daß es im Studio dann ein reines Nachspielen der Demos wurde. Und das mochte die Band nicht so.

Entgegen der landläufigen Annahme, daß das nicht klappen kann, geht das schon. Es ist nur bis zum Wahnsinn anstrengend und aufreibend. Die Entscheidungsfindung in jedem einzelnen Stück ähnelte einer Grundsatzdebatte bei den Grünen. Wir haben eines gemeinsam: Wir sind allesamt nicht in diese Rockmusikerlandschaft passend. Keiner von uns ist ein richtiger amtlicher Rock’n-‚Roller — Keiner!

Hat denn dieser mühselige Prozeß auch Bereicherung gebracht?

„Ich glaube schon. Die Platte klingt deutlich heftiger, als je eine.“

Träume ich manchmal von einer richtigen Bühnenshow, durchkonzipiert und inszeniert?

„Ich würde es lieben. Ich bin nur nicht derjenige, der so etwas inszenieren kann. Dazu fehlen mir die Einfälle. Ein Pete Townshend braucht nicht choreografiert zu tanzen, um mir zu imponieren. Bei Michael Jackson habe ich den Eindruck, das ist Teil seiner Botschaft, dieses Körpergefühl, dieses Körperbewußtsein, dieses Körperverliebtsein. Ich bin ja nicht jemand, der nur dasteht und den verschlossenen Vergeistigten mimt, sondern bin ja sehr in Rage den ganzen Abend über. Den Moonwalk will ich allerdings nicht üben — aber ich kann immerhin meine Füße über 180 Grad auseinanderbiegen, ich kann auch z.B. im Jogasitz auf Knien gehen. Ansonsten bin ich nicht gelenkig, aber ich bin ungeheuer willensstark.“

Ärgere ich mich über schlechte Kritiken?

„Nicht so sehr über solche, die in Einzelheiten versucht, etwas nachzuweisen: .Das hier ist ungekonnt: das hast Du schlecht gesungen, das ist schlecht gespielt, das ist ein doofes Stück.‘ Das macht bloß leider keiner.“

Habe ich irgendwelche Vorteile als Prominenter?

„Polizisten, wenn ich falsch parke, zerreissen schon mal ein Strafmandat, wenn sie mich erkennen. Und in Osnabrück könnte ich mit Sicherheit auch größere Objekte auf Kredit bekommen.“

Warum verlasse ich dann Osnabrück?

„Mit Heiner Lürig habe ich ein Studio in Hannover, mit viel Geld ausgerüstet für abgehobene Ansprüche. Da bin ich eben oft. D.h. in der wenigen Zeit, die ich privat frei sein könnte, fahre ich weiterhin hin und her, und die Familie hätte es doch ganz gerne, wenn ich ein paar Übernachtungen pro Jahr mehr zu Hause wäre. Ich verpasse viel vom Aufwachsen der Kinder, wenn ich immer weg bin.“

Habe ich Existenzängste?

„Ja. In Form von dummen Ängsten, dunklen, drohenden Wolken vor dem Einschlafen schon manchmal. Mein Steuerberater macht mir schon klar, daß ich zwar nicht reich bin, aber daß ich wohl nie werde hungern müssen.

Welchen Luxus würde ich mir gerne gönnen?

„Da habe ich sehr seßhafte Vorstellungen. Ein schönes Haus an einem tollen Platz, wo ich immer wieder hin kann. Noch mehr Unterschlüpfe irgendwo auf der Welt. In Sedona, in Arizona z.B., das kennt kaum eine Sau. Bei den Redrocks. Der eigentliche Wohntraum war immer ein altes Haus, in dem Edgar Allen Poe-Geschichten stattfinden könnten. Also alt, herrschaftlich mit einer Empfangshalle, wo man reingeht, wo es dann eine Treppe gibt, die nach oben geht. Dann führt eine Balustrade ringsrum. und da stehen dann Bücherregale und ein Kamin brennt immer.

Die Hütte, die ich jetzt beziehen werde, ist aber ein modernes Haus. Das Gegenteil von meinem Ur-Wohntraum.“

Habe ich offene Wünsche auf musikalischem Gebiet?

„Ich wäre gerne mal die andere Sorte Musiker, die man mieten muß, um ein gutes Solo zu spielen. Also ich wäre gerne mal Jeff Beck und nicht der Schrabbel-Gitarrist Bob Dylan, der sich nur ein Lied ausdenkt.“

Kann ich mir vorstellen, für Kollegen zu schreiben?

„Tu ich ja. Für Madame Lemper, für Milva. Glücklicherweise ist mir zu dieser feuerroten Dame etwas eingefallen, was sie sich dann in italienische Prosa übersetzen ließ und dann auch für geeignet hielt.“

Gibt es im deutschsprachigen Raum Künstler, für die ich wirklich gern schreiben und komponieren würde?

„Ich würde gern mit meiner Band Musik machen zu Hans Dieter Husch, da brauche ich nichts mehr zu schreiben. Das ist perfekt, seine Texte sind Spitzenklasse. Mit Hermann van Veen habe ich jetzt schon sieben Lieder gemeinsam gemacht.“

Habe ich Idole?

„Pete Townshend. Das ist schon eine ziemlich athletische Verkörperung von Idol für mich. Da kommt so fast alles zusammen, was ich braucht, um jemanden bewundern zu können. Er verkörpert animalische Kraft und gleichzeitig Ausdrucksgenauigkeit. Das wäre auch einLebenstraum. den noch einmal kennenzulernen. Vielleicht darf ich den ja mal für ME/Sounds interviewen.“

Oft gestellte Frage: Was war zahlenmäßig Dein größtes Publikum?

„Berlin, Hauptstadt der DDR. Im Juni vor 120.000. Ob man nun vor 4.000 oder vor 8.000 spielt, das ist von der Wahrnehmung her nicht so ein großer Unterschied. Da ist man nicht extra aufgeregt oder so. Aber wenn es dann 120.000 Menschen sind. d.h. soviel Menschen, wie auf meiner gesamten letzten Tournee zusammen, ist man schon des Ereignisses irgendwie eingedeckt.“

Habe ich eine ,Message‘ ?

„Ich habe in meinen Songs ein Angebot zu machen, so gut ich kann. Und ich habe auch nichts gegen andere Auslegungen. Ich mache keine Lebensvorgabe. Ich baue keine Autobahn ins Hirn, wo man unbedingt drauf fahren muß.“

Ob ich wohl gern ein Journalist wäre?

„Journalist? Wenn ich Zeit habe. Wobei ich dann den Journalismus sehr selbstsüchtig ausnutze und radikal zur Geschmacksbildung in meinen Sinne beitrage.“

Oder Talkshow-Moderator?

„Träumen würde ich von einer Mischform. Dann würde ich Franz Joseph Strauß einladen, solange er noch da ist, oder Justus Frantz zusammen mit Robert Fripp.“

Habe ich Interview-Routine?

„Ja. Aber dieser Fall war neu.“

Bin ich eitel?

„Irgendwie schon, ja.“