Der Goldene Schnitt


Die einen möchten den Preis anheben, andere hingegen radikal senken. Die CD, das Goldene Kalb der Plattenindustrie, ist zum Zankapfel geworden. Dabei wissen die wenigsten, wer eigentlich was an einer CD verdient. ME/Sounds schneidet die Torte an.

Immer häufiger schmücken sie die Gazetten mit einer Glamoursauce aus Beverly Hills und Onkel Dagobert: „Eine Milliarde für Michael Jackson“. Oder: „Aerosmith 65 Millionen schwer“. Es scheint, als würden die Geldquellen der Musikindustrie schier unerschöpflich sprudeln. Dabei spiegelt die vereinfachte Formel „music = money“ aber keineswegs paradiesische Zustände wider, sondern vielmehr den verschärften Kampf um Garantien und Marktanteile.

Die astronomischen Summen, die aus dem hinterletzten Merchandising-Deal im Jahre 1999 hochaddiert werden, sind keine generösen Geschenke der Plattenindustrie, sondern meist nur theoretische Verdienstmöglichkeiten, die erst durch tatsächliche Umsätze Wirklichkeit werden müssen.

„Voll recoupable“ heißt das Zauberwort der Schallplattenverträge. Auf deutsch: Auf dem Papier gezahlte Beträge werden mit allen nur möglichen oder unmöglichen Produktionskosten der Plattenfirma „verrechnet“.

Ohne mit der Wimper zu zucken könnte zum Beispiel WEA-Boß Gerd Gebhardt für einen Marius Müller-Westernhagen zwei Millionen oder mehr harte D-Mark pro CD in den ver- ¿

lockenden Begriff „Garantie“ verpakken. Denn um schwarze Zahlen zu schreiben, müßten gerade einmal 400.000 Fans ,Ja“ zu seinem letzten Opus „JaJa“ sagen. Mit Zeitgeist in den Songs und Grips beim Management verkaufte er aber locker 1,2 Millionen Exemplare — nicht zuletzt auch Verdienst seines Managers Götz Elbertzhagen, der Westernhagen 1992 in allen Medien „Krieg“ führen ließ. Dadeutsche Top-Acts pro Silberling bis zu fünf Mark von ihrer Plattenfirma kassieren, kommen in dieser Größenordnung schon mal satte Millionenbeträge allein aus dem Tonträger-Verkauf zusammen. Und das, obwohl die Vision der 50 Mark-CD von BMG Ariola-Chef Thomas Stein längst noch nicht Wirklichkeit ist. „Die CD wurde nach eitlem Einführungspreis von 36 Mark im Jahr ’83 stetig billiger“, beklagt Stein. „Während Konzertkarlen in den 70er Jahren etwa gleich viel kosteten wie Tonträger, ist es heute eine Selbstverständlichkeit, ßr eine Konzertkarte 50 Mark zu zahlen.“

Davon ist die Scheibe weiter entfernt denn je. Rezession und die Dumpingpreise der Mediamärkte sorgen automatisch dafür, daß die Preise eher sinken denn steigen.

Trotzdem half die CD den Schallplattenfirmen kräftig beim Facelifting der Konzernbilanzen, was durch den unzureichenden Erfolg beim Aufbauneuer, zugkräftiger Acts in der Tat bitter nötig war. Und auch längst vergessene Musiker konnten fortan zufrieden der Rente entgegenklimpern. Nicht nur daß der letzte Baumwollpflücker-Blues aus dem weltweit schier unendlichen Backkatalog für die CD wieder ausgegraben wurde — auch die Berechnungsgrundlage für die Vergütung der Künstler verdoppelte sich.

Lag früher der sogenannte „Nettodetailpreis“ von DM 11.80 je Vinyl-LP der Abrechnung zugrunde, ist es heute meist der Händlerabgabepreis (HAP) von DM 23.50. Verträge mit Künstlern vom Kaliber eines Maffay, Grönemeyer oder Westernhagen sind in der Regel mit rund 25 Prozent vom HAP dotiert, sofern es sich um „Bandübernahmeverträge“ handelt. Das heißt, daß die Plattenfirma vom Künstler ein von ihm produziertes, pressfertiges Masterband inklusive Cover-Layout und Photos übernimmt. Dafür stellt sie für rund DM 2.80 die CD her und läßt das Booklet drucken, gibt im Schnitt rund DM 3.48 für Vertriebs-, sowie DM 1.93 für Marketing und Promotion je Tonträger aus. Die großen Namen aus der Oberliga lassen sich dazu vertraglich außerdem eigene Radio-, TV- und Pressepromoter zusichern. (So soll etwa Kick-Musik in Köln für die Medienbetreuung von Müller-Westernhagen nicht nur rund 100.000 Mark pro Veröffentlichung von der WEA erhalten, sondern für die Managementleistungen von Götz Elbertzhagen noch die Co-Verlagsrechte von fünf Titel auf jeder MMW-CD.) Statt ihre Karriereklempner sofort bar zu entlohnen, neigen viele Künstler dazu, ihnen dafür lieber Ansprüche an fernen Einkünften in der Zukunft einzuräumen.

Was zunächst nur als nette Geste erscheint, erweist sich bei einem Megaseller wie Marius fast wie ein Sechser im Lotto. Von jeder verkauften CD führt die WEA 9,306 Prozent, also DM 2.18, an die GEMA ab. 10 Prozent davon behält sie als Bearbeitungsgebühr, die verbleibenden knapp zwei Mark verteilt sie als „mechanische Rechte“ aufgrund ihres Verteilungsplans im Verhältnis 40:30:30 an Verlage. Komponisten und den Texter. Etwa 80 Pfennige teilen sich also Marius, der natürlich auch einen Verlag (More) hat, mit dem Kick-Verlag. Anfünfder 14 Songs sind die Elbertzhagens zur Hälfte beteiligt. Die 14,3 Pfennige, die sie je Platte erhalten, ergeben bei den 1,2 Millionen, die Westemhagen von „JaJa“ verkauft hat, ein Zubrot von 172.000 Mark.

Damit nicht genug. Die GE-MA schüttet auch sogenannte Aufführungsrechte aus. Wenn etwa ein Westemhagen-Song im Radio gespielt oder im TV gesendet wird oder eine Dorf-Combo auf dem Tanzboden „Krieg“ spielt, klingelt es abermals in den Kassen: Je ein Drittel gehen an Verlag, Komponisten und Textautor. Erfahrungsgemäß sind die Aufführungsrechte rund halb so profitabel wie die mechanischen Rechte, in diesem Fall bringen sie also etwa 86.000 Mark. In der Summe ergibt das schon einen finanziellen Kick von 354.000 Mark. Schlauerweise gehören die beiden ausgekoppelten Singles „Krieg“ und „Rosi“ zu den fünf Kick-Songs, so daß auch hier noch Gelder fließen. Und weil Marius auch schon früher Alben unter ähnlichen Voraussetzungen einspielte, erscheint die halbe Mio für Elbertzhagen & Co nicht weit.

Selbstverständlich partizipiert auch Westemhagen höchstselbst an seinen Urheberrechten. Neben dem, was er für ein Album von der WEA einstreicht, gießt auch die GE-MA ihr Füllhorn über sein Bankkonto aus: Für seine sämtlich selbstkomponierten und getexteten Songs kommen noch fast 1,2 Millionen Mark an mechanischen Rechten und weitere geschätzte 300.000 Mark an Aufführungsrechten.

Letzterer ist ein vergleichsweise bescheidener Betrag, gemessen an den immensen Verkaufszahlen. Der Grund liegt in der Tatsache, daß Westemhagens Songs wie „Sexy“ oder „Krieg“ zwar passable Funkeinsätze verzeichneten, aber mit dem typischen Radio-Futter nicht mithalten können.

Ganz extrem weichen die Toten Hosen von der Branchenregel „mechanische Rechte = ‚A Auffuhrungsrech- ¿

le“ ab. Während ihr Album „Kauf mich“ und die Single „Sascha“ losgingen wie eine Rakete, herrschte bei den Sendern Funkstille und damit Ebbe bei den Aufführungsrechten.

Einmal angenommen, ein Top-Act verkauft eine Million Tonträger, dann blieben nach der obigen Modellrechnung rund sechs Millionen Mark bei der Schallplattenfirma. Folgt man den Klagen der Musikindustrie, wonach allein der ganze Apparat, also von der Telefonistin und dem Geschäftsführer über die Gebäudeabschreibung und den Lagerkosten bis hin zum Fuhrpark rund 20 Prozent des Umsatzes verschlingt, erscheinen die sechs Millionen gar nicht mehr so prickelnd.

Grönemeyer, Westernhagen & Co — ein schlechtes Geschäft also? Wohl kaum. Zum einen stellen prominente Vorzeige-Acts mit ihrer hervorragenden Infrastruktur — also Management, Band und Tour-Organisation — auf jeden Fall einen Image-Träger allererster Güte für jede Company dar. Außerdem darf der firmeninterne Motivationseffekt bei den Mitarbeitern nicht unterschätzt werden. Wer mag schon nur für Anneliese Schneckenschiß arbeiten? Da schafft man schon lieber bei der Maffay- oder Grönemeyer-Company. Zum zweiten können Verträge mit weniger prominenten Acts für Plattenfirmen erheblich profitabler sein — dann nämlich, wenn sich der preiswert eigekaufte Künstler als Mega-Seller erweist. Zahlt die Plattenfirma einem Top-Act 20 Prozent und mehr vom HAP, so bekommt der Mittelbau nur noch rund 15 Prozent, während sich Newcomer gar mit 8 Prozent begnügen müssen.

Richtig profitabel dürfte zum Beispiel der Deal gewesen sein, den die BMG Ariola Hamburg (damals RCA) 1983 mit Dieter Dierks‘ Breeze Music abgeschlossen hat. Vertragsinhalt war eine damals noch recht unbekannte Gruppe Namens Accept. die er feilbot. Nur 50.000 Mark Vorschuß gab’s für die Bandübernahme des ersten Longplayers „Balls To The Wall“, der die Band gleich als feste Größe in der Heavy Rock-Szene etablierte.

Weniger rechneten sich für die RCA dagegen die Solo-Eskapaden von Accept-Sänger Udo Dirkschneider. Er erhielt pro Album fast soviel Vorschuß wie die ganze Band. Doch damit nicht genug: Ein Video wurde produziert — weitere 150.000 Mark. Einige Gigs mit Guns N’Roses in den USA erscheinen aus Promotiongründen angeraten — 50.000 Dollar fällig. Aus ähnlichen Gründen befürwortete man eine Europatoumee mit Ozzy Osboume — 220.000 Mark mußte die Schallplattenfirma vorstrecken. 60.000 Mark verlangte Ozzy allein als „buy on“. damit Udo überhaupt auf seiner Tour spielen durfte. Insgesamt soll die RCA eine hohe sechsstellige Summe hingeblättert haben, die Dirkschneider fast erwartungsgemäß nie mehr einspielen konnte. Vor allem die Video-Kosten schlagen in die Werbe-Etats tiefe Löcher. Wenn sie dann, mangels Musiksendungen im Femsehen, nie gezeigt werden, ist das doppelt ärgerlich. Kommerziell gesehen sind die bestenfalls 80.000 deutschen MTV-Zuschauer, die sich durchschnittlich aus London berieseln lassen, zwar auch ein Witz. Aber MTV verfügt über eine starke imagebildende Wirkung:

„Selbst wenn der größte Schamott auf MTV läuft, „so Video-Regisseur Hannes Rossacher, „glaubt jeder, es ist wickig. Wenn du einen Song im MTV hast, kannst du jeden deutschen TV- oder Radioprogrammierer dazu breitschlagen, das auch einzusetzen.“

Wird ein teures Video produziert und richtig tief in den Geldbeutel gegriffen, klafft die Kostea’Nutzen-Schere gerade bei Newcomern noch weiter auseinander. Bis zu 40 Prozent des CD-Preises können laut Thomas Stein für Werbemaßnahmen draufgehen. Allerdings sehen deren Konditionen auch entsprechend moderater aus. Üblich sind bei Jungtalenten sogenannte „Künstlerverträge“. Ihr wesentliches Merkmal ist, daß sich.im Unterschied zu Band-Übernahmeverträgen, die A&R-Abteilung der Plattenfirma von der Produktion bis zur Vermarktung um alles kümmert und auch bezahlt. Allein die Produktion schlägt schon mit Kosten zwischen 120.000 und 350.000 Mark zu Buche. Nun wächst aber manches Greenhorn zu einem echten Magneten heran, und aus einer Indie-Band kann sich ein zugkräftiger Stadion-Act entwickeln. Grönemeyer und BAP jedenfalls sind bei ihren Künstlerverträgen geblieben, allerdings zu traumhaften Konditionen. Eine Million drückt die EMI vorab für jede Veröffentlichung an BAP ab. Fast vier Mark fällt für die Kölschen Jungs von jeder CD ab, denn ihr Vertrag dürfte mit 20 Prozent HAP dotiert sein. Und damit die GEMA-Knete in die richtigen Kanäle fließt, gibt es auch den BAP-Verlag. Dessen Einkünfte werden allerdings durch acht geteilt: sieben Bandmitglieder und Manager Balou.

Die Produktionskosten von rund einer halben Million je Album übernimmt dafür die EMI. Man gönnt sich ja sonst nichts.