Meinung

Der Prophet ist gelandet: Warum OG Keemo Deutschraps Hoffnungsträger ist


Casper, RIN, Dendemann: Der Rapper OG Keemo und sein kollegialer Partner Funkvater Frank gelten als Lieblingsrapper deiner Lieblingsrapper. Die Szene-Paradigmen Frauen, Scheine und Kleinkriminalität erweitern sie um Themen wie Depressionen, den frühen Tod Keemos Mutter und das Leben als Afrikaner in Deutschland. Vor allem aber setzen sie technisch neue Maßstäb – und könnten damit Deutschrap revolutionieren.

Die Deutschrapszene hegt seit Jahren eine große Sehnsucht. Nein, keine nach noch mehr Benzern, Gucci, Prada, Mainstreamerfolg und Nummer-eins-Hits. Sondern die nach einem deutschen Kendrick Lamar, einem deutschen Tyler, the Creator, einem deutschen J. Cole. Einem Heilsbringer, wie die NBA ihn nach Michael Jordan oder, um in Deutschland zu bleiben, nach Dirk Nowitzki suchte. Nun: OG Keemo und Funkvater Frank sind das von einigen Fans und Medien gegenwärtig auserkorene Pendant zu jener Art von US-Rappern, deren Typus es hierzulande nicht gibt. Blöd nur: Sie können und wollen diese Rolle nicht erfüllen.

Krempeln die Szene gemeinsam um: Funkvater Frank und OK Keemo. (Chimperator Productions)

Die Szene krempeln die zwei Mannheimer und ihre Zonkeymobb-Clique zurzeit dennoch gehörig um. Eine Szene, die sich immer noch vor allem über (angebliche) Authentizität definiert. Auf eine der klassischsten Weisen im Game ist OG Keemo auch authentisch, denn er rappt über Frauen, über Scheine, davon wie er und seine Leute in der Jugend geklaut und Brüche begangen haben. Was den 1993 geborenen Deutsch-Sudanesen aber von den meisten anderen Rappern unterscheidet: Er ist nicht nur authentisch, er ist vor allem nicht gewöhnlich.

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OG Keemo heißt eigentlich Karim Joel Martin. Er ist eine hünenhafte Erscheinung von einem Mann und erweitert die Genre-übliche Themenpalette durch ungewöhnliche, das Bild des Straßenrappers konterkarierende Inhalte. Etwa dann, wenn er über den frühen Tod seiner Mutter oder Depressionen rappt. Wie aktuell keinem anderen Rapper gelingt es ihm, die arrogante „Get Rich Or Die Tryin’“-Attitüde eines 50 Cent mit einer Sinn- und Selbstsuche zu kombinieren, wie sie die Generation der Millennials umtreibt.

OG Keemo und Funkvater Frank: Es geht auch ohne emotionale Teilhabe auf Knopfdruck

All das wird an der eigenen individuellen Geschichte unter Wahrung der Straßen-Attitüde verhandelt. Dabei aber überfrachtet, überfordert oder lähmt Keemo sein Publikum und sich nicht. Er teast persönliche Themen meist nur an, anstatt sie zu vertiefen – und hinterlässt dennoch bleibenden Eindruck. Nicht nur durch die Inhalte, sondern die Art ihrer Verhandlung. OG Keemo nähert sich ihnen nicht wie einer dieser Rapper an, die irgendwann in ihrer Karriere mindestens ein Stück veröffentlichen, in dem sie sich nachdenklich, selbstreflektiert, dankbar oder gar demütig geben, weil schließlich jeder harte Kerl einen weichen Kern hat. Wie ein Sido, der Worte an seinen Sohn („Ein Teil von mir“) richtet, Fler, der um eine frühere Bezugsperson trauert („Warum bist du so?“), Bushido, MoTrip, Zuna, oder Samy Deluxe, die auf unterschiedliche Weise ihren Müttern danken. Gefühle stehen bei diesen Beispielen nicht nur im Fokus, sie bilden Solitäre – und sind schlimmstenfalls in eine Ballade verpackt.

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Emotionale Teilhabe auf Knopfdruck gibt es bei Keemo nicht, die dreieinhalbminütige als Single ausgekoppelte Leidensschau überlässt er anderen. OG Keemos Verletzlichkeit, seine Wut, seine Trauer, die ausgefochtenen Kämpfe seines ganzen Lebens sind immer präsent, aber selten im Vordergrund. Seine Gefühle bringt er fast schon beiläufig in wenigen Zeilen seiner Texte unter, sie kommen deswegen unvermittelt daher, direkt, energisch, brennen sich ein, schnüren dem Hörer zuweilen die Luft ab.

„Ja, was nimmst du einem Sohn, der keine Mom mehr hat?

Unterschrieb den Vertrag ’nen Tag nachdem ich sie begraben hab‘

Der Start meiner Karriere hat auf ewig einen Nachgeschmack, fuck” 

heißt es etwa in „Vorwort“. Dem Track, der Fans und Genre-Medien Keemo und Funkvater Frank Ende 2018 endgültig vom Szene-Geheimtipp zum neuen Heilsbringer auserkoren ließ. „Skalp“, die dazugehörige EP und bisheriger Höhepunkt einer Karriere, die zu diesem Zeitpunkt längst Fahrt aufgenommen hatte, doch kaum zwei Jahre zuvor startete, wurde prompt zur EP der Ausgabe der „Juice“ erklärt, das schon angesprochene Eröffnungsstück bei Hiphop.de zum besten Deutschrap-Intro seit Jahren.

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Mit den Saarländern Genetikk gab es damals schon ein Feature, Twitter-Props obendrein, von Casper ebenso. Es folgte eine Support-Tour für RIN in 1000er-Hallen nach gerade kaum zwei Händen voller Gigs. Auch für Dendemann eröffnete er Anfang des Jahres ein paar Konzerte auf dessen Comeback-Tour, auch der feierte ihn öffentlich.

Provokation durch Produktion

Keemos Texte sind dicht an Worten, dicht an Reimen, dicht an Assonanzen, sie lassen pausenlos intensiv fühlbare Bilder beim Hören entstehen:

„Dicka, ich schreib‘ besser, wenn draußen kurze Tage zu langen Nächten werden

Und auch die letzten Blätter gänzlich von den Ästen sterben

Ich schrieb meine besten Verse

Als ich bereit war, mein Leben einfach so wegzuwerfen“, heißt es in „Vorwort“ weiter.

Für den passenden musikalischen Unterbau sorgt Keemos Jugendfreund aus Mainzer Tagen, Produzent Funkvater Frank. Dessen Instrumentierung ist so spannend, abwechslungsreich und gegenwärtig wie kaum eine Produktion im Deutschrap. Seine Einflüsse reichen von DJ Premier, Pete Rock, RZA und MF Doom bis hin zu Westberlin Maskulin, Skepta und Schoolboy Q. Die beste Grundlage also, um das zu tun, was Rap zum erfolgreichsten Musikgenre der Welt gemacht hat: Frank mischt Altes mit Neuem, ist progressiv, nicht konservativ. In Zeiten von vermehrtem Autotune-Einheitsbrei oder dem Rückgriff alter Jugendhelden auf das. was sich anfangs ihrer Karriere bewährt hat, werden auch hier Sehnsüchte bedient.

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Neben Inhalt und Art des Vortrages, ist es die Formgebung die es braucht um ein stimmiges Gesamtpaket zu schnüren, das im besten Falle so durchdacht ist, das es auffällt. Mit der Heidelberger Videoproduktionsfirma Breitband haben OG Keemo und Funkvater Frank eine Firma gefunden, deren Bildsprache sie teilen. Seit dem Debütvideo zu „Rigor Mortis“ im Jahr 2017, dem ersten Single-Track von Keemo und Frank überhaupt und dem einzigen, der über ein anderes Label veröffentlicht wurde, sorgt die Produktionsfirma für die Bewegtbilder des Duos.

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Breitband fügen Texten, Beats und Vortrag, das letzte fehlende, vor allem öffentlichkeitswirksame Puzzlestück, hinzu. Die Videos der Crew provozieren, falls es sein muss. Wie etwa der Clip zu „216“, in dem ein in Ketten gelegter Keemo mit Schlinge um den Hals rassistisch motivierte Polizeiwillkür thematisiert und obendrein mit den People Of Colour abrechnet, die durch das Hinhalten der anderen Wange oder Anpassung an die herrschende, weiße Mehrheitsgesellschaft auf eine Verbesserung der eigenen Situation hoffen. Trotz Gänsehaut-Thematik würde sich der Track ohne das dazugehörige Video kaum derart ins Gedächtnis brennen – und brachte OG Keemo ein Feature bei der altehrwürdigen BBC ein. Als erstem deutschen Rapper, wie er sagt.

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Mit GEIST ist nun das Debüt der beiden Zonkeymobb-Member über eine Plattenfirma erschienen, die maßgeblich mit dafür verantwortlich ist, dass der Pop Einzug in den Deutschrap hielt: Chimperator Productions. Eine ungewöhnliche musikalische Heimat für Straßenrap – und doch, wie man das Game neu kalibriert, das weiß man beim Schwäbisch-Berliner Indielabel nur allzu gut. Mit Binho, der erst vergangenen Monat sein Mixtape-Debüt vorlegte, steht der nächste Kandidat des Künstlerkollektivs Zonkeymobb in den Startlöchern und wird Keemo & Frank zusammen mit dem ebenfalls zu der Crew zählenden Rapper Lukees auf der anstehenden Tour zum Album begleiten. Auch wenn hier Lorbeeren erst noch verteidigt oder gar verdient werden müssen, darf festgehalten werden: Die Zonkeymobb-Clique ist jetzt schon Deutschraps most wanted Crew. Dabei hat sie gerade erst angefangen.

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