Die 50 Platten des Jahres 2014: Rezensionen der Plätze 50 bis 41


Auch 2014 hat die Musikexpress-Redaktion in schöner Tradition die Alben des Jahres gekürt. Weshalb welche Platte auf welchem Platz gelandet ist, könnt ihr nun online nachlesen: Hier sind die Plätze 50 bis 41.

Platz 50: Afghan Whigs – DO TO THE BEAST

16 Jahre seit dem letzten Album, das ist eine echt lange Zeit. Zeit, in der man sich überlegen kann, welche Comeback-Schneise man sich durch das Musik-Dickicht schlagen mag, um 2014 nicht auf dem Pfad Richtung 90er-Nostalgie zu landen. Durchaus möglich: DO TO THE BEAST ist Greg Dullis feine Balance, den Alt-Rock der Afghan Whighs ein Update zu verpassen. Seinem Hang zu R’n’B („It Kills“) stellt er frischen Math-Rock entgegen („Matamoros“), wobei das Knarzen in seiner Stimme in den zehn erotischen Raubzügen fehlerfrei den Dreck ersetzt, den Rick McCollums Gitarre einst aufwirbelte. (Daniel-C. Schmidt)

Platz 49: Carla Bozulich – BOY

Zartheit, der ein Rest von Kratzbürstigkeit innewohnt; Brutalität, die zu keinem Zeitpunkt reiner Selbstzweck ist; Dynamik, die sich zwischen diesen beiden Punkten entfaltet. Und die Künstlerin nennt das dann „Pop“. Dabei ist BOY, das fünfte Album der New Yorker Musikerin, der rundum geglückte Versuch, das oft totgesagte Format Song (hier: Blues, Folk, Gospel) durch den Avantgardewolf zu drehen. BOY ist das Album, das sich PJ Harvey bisher nicht aufzunehmen getraut hat. Ja, und Bozulich war vor Jahren Mitglied von The Geraldine Fibbers. Vielleicht klingelt da beim ein oder anderen die Glocke. (Albert Koch)

Platz 48: Chet Faker – BUILT ON GLASS

Richtig klar wird es einem frühestens nach der dritten Albumrunde: Dem Australier Nick Murphy ist mit dem dunstigen Elektro-Soul seines Debüts ein Wurf in die goldene Mitte zwischen Pop-Platte und Downtempo-Experimenten gelungen. Nach dem Netzhype um seine „No Diggity“-Version 2011 und einer EP 2012 streift der Poster-Bartträger auf BUILT ON GLASS durch neue Sound-Gefilde, tastet sich von Jazz, R’n’B und Motown zu House und Dub-Bass und erweitert so den Wirkungsbereich seiner Soulsongs. Höhepunkt: das bündige Rhythmusgeflecht des Acht-Minuten-Stücks „Cigarettes & Loneliness“. (Annett Scheffel)

Platz 47: Dillon – THE UNKNOWN

Für ihr zweites Album verkriecht sich die gebürtige Brasilianerin noch tiefer in den spröden Klangräumen des Minimal Techno, in deren Richtung schon ihr Debüt THIS SILENCE KILLS weist. Noch karger ist das Soundgerüst, in dem Dillons intime Popballaden umherwandern wie eine einsame Spaziergängerin in einer grauen Hochhaussiedlung. Das große Unbekannte des Titels – es sind auch diese von kühlen Binärcodes berechneten musikalischen Collagen, die sie mit Klavierminiaturen und Gesang auskundschaftet. Und es sind die Zwischenräume, die Platz lassen für eigene Gedanken. (Annett Scheffel)

Platz 46: Cooly G – WAIT ‚TILL NIGHT

Nur ein Reiz dieses Albums: die metallische Anmutung der minimalistischen Musik, die im Gegensatz zum hochemotionalen Thema steht. Das erschließt sich schon anhand der Songtitel leicht: „Want“, „So Deep“, „Fuck With You“. Auf ihrem zweiten Album verbindet die Produzentin aus South London Elemente aus Dubstep, House, TripHop, R’n’B und HipHop zu einer der stimmigsten Elektro-Soul-Mutationen der vergangenen Saison. Als wären diese Zutaten allein dazu bestimmt, in der Post- Bassmusik von Cooly G zu verschmelzen wie ein Spermium in der Eizelle, um etwas Neues entstehen zu lassen. (Albert Koch)

Platz 45: MØ – NO MYTHOLOGIES TO FOLLOW

Wenn man davon ausgeht, dass sich in den saucoolen Popsongs der 24-jährigen Dänin jene Gefühlswelt bündelt, die der Generation Y attestiert wird – unentschlossen, hedonistisch, getrieben –, kann man sich im Hinblick auf die Zukunft der Popmusik beruhigt zurücklehnen. Mögen wir jungen Menschen inmitten des normalen Wahnsinns von Können, Müssen und Wollen auch straucheln, die Kunst bleibt nicht auf der Strecke. Bester Beweis: MØs Musik, die hin und her springen kann zwischen Retro-Träumereien und selbstbewussten Global Beats, zwischen rotzigem HipHop und 90s-Pop. Ein Fest jugendlicher Rastlosigkeit. (Annett Scheffel)

Platz 44: Haftbefehl – RUSSISCH ROULETTE

Zugegeben: Bis einschließlich BLOCKPLATIN (2013) konnte man es nachvollziehen, mit seiner Liebe zu Hafti auf Unverständnis zu stoßen. Doch spätestens seit RUSSISCH ROULETTE fußen Anerkennung und Feuilleton-Interesse am Offenbacher nicht mehr nur auf einer einzelnen Zeile, die irgendwann sogar ein CSU-Plakat zierte, sondern auf einem schlichtweg sehr guten Album. RUSSISCH ROULETTE ist durchdachtes Zitatekino, das die versammelten Deutschrap-Chartstopper des Jahres wie Schulkinder dastehen lässt, die in der großen Pause heimlich auf dem Klo rauchen. Oder wie Baba Haft sagen würde: rasiert! (Ivo Ligeti)

Platz 43: Kelis – FOOD

Wo wir jetzt ja „alle“ Burger-Blogger sind und #foodporn-Fotos posten, ist ein Konzeptalbum über Essen ein Marketing-Traum. Abgesehen davon, dass Kelis beim SXSW-Festival tatsächlich einen eigenen Essensstand betrieb und dass die Songs „Breakfast“ oder „Biscuits“ heißen, ist FOOD weniger Hommage an Essbares als vollendete Stilübung in warmem Funk, sämigem Old-School-Soul und reschem Retro-Pop. Dave Sitek macht den Dance-Pop des letzten Albums vergessen, und Kelis’ einzigartig genussvolle Stimme ist eh seit jeher über Zweifel erhaben. Ein – Verzeihung: Ohrenschmaus. (Matthias Scherer)

Platz 42: The War On Drugs – LOST IN THE DREAM

Wenn Adam Granduciel alias The War On Drugs nicht gerade von Mark Kozelek alias Sun Kil Moon (–> Platz 26) eine reingedrückt bekam (das aus dem Handgelenk geschüttelte „War On Drugs: Suck My Cock“), konnte er sich 2014 auf die einfachen Vorzüge seines Musikerlebens besinnen: nämlich die Liebesgeister, die einen Mann in die Knie zwingen, mit hypnotisierendem Heartland-Rock auszutreiben. „Red Eyes“, „Suffering“, „Burning“ – fröhlich klingt LOST IN THE DREAM wahrlich nicht. Aber der traurige Synthie-Springsteen-Pastiche hat etwas Trotziges, sodass klar ist: oft ist leiden auch schön. (Daniel-C. Schmidt)

Platz 41: Kindness – OTHERNESS

Neues über Liebe und ihre Komplikationen lernt man bei diesem Bedroom-Funk nicht. Die Musik zwischen verwaschener Heimorgel, Bassgitarre und schwülen Saxofonpassagen aber ist wunderbar sinnlich. „Why Don’t You Love Me“, fragt der Brite mit Kumpel Dev Hynes und Soulsängerin Tawiah im gleichnamigen Schmusesong – ja, es ist kompliziert und Glücklichsein eine kniffelige Angelegenheit. Aber: „It’ll Be OK“, wie Adam Bainbridge sein zweites Album schließt, das Mut zur Lücke und Hochachtung vor dem 80s-R’n’B von Jam & Lewis zeigt. (Annett Scheffel)