Die Ärzte/Die Fantastischen 4


Endstation "„Starschnitt"? ME/Sounds setzte Teen-Idole aus zwei völlig verschiedenen Generationen backstage in Stuttgart an einen Tisch: Neo-Punkrocker Die Ärzte und Deutsch-HipHopper Die Fantastischen 4 (Rapper S.M.U.D.O. fehlte — er war im Spanienurlaub). Einzige Vorgabe bei dieser Sprechstunde: Kein Wort über Groupies!

FARIN Der groBe Blonde bei den Ärtzten. Farin Urlaub versuchte sich mit der Band King Köng an Hirn-Metal für Minderheiten. Nach der Reunion zog er in die Lüneburger Heide.

RODRIGO Als Spanier in Berlin kümmerte sich Gitarrist Rodrigo Gonzalez bei den Rainbirds um die Rock-Fraktion. Bei den Ärzten ’93 bedient er abwechselnd Gitare und Bass.

BELA Deutschtands dienstältester Punkrocker (mehr Tattoos als Campino) und Erfinder des „Ärzte“-Konzepts tourte in der Doktor-Pause eher erfolglos mit der Hardrock-Combo Depp Jones.

AND.YPSILON Der Elektrolurch bei den Fantastischen Vier. Er herrscht über Keyboards, Sampler und Sequencer und hat bei der aktuellen Tournee den Job als Hofkapellmeister.

HAUSMARKE Plattenkratzer in der Gestalt eines Neo-Hippie. Er scratcht, bedient alle Plattenspieler, wählt die Grooves aus und lebt — wie die anderen Fantastischen Drei — in Stuttgart.

THOMAS Neben S.M.U.D.O. das gleichberechtigte Sprachrohr der Band. Transportiert mit seinem Sprechgesang die Philosophie des Quartetts. Wird nur ungern auf seine Haar-Mode angesprochen.

FARIN: Sagt mal, arbeitet ihr gerne mit dem Musikexpress zusammen?

THOMAS: Mit dieser Scheiß-Zeitung?

ME/SOUNDS: Ihr habt noch ganz andere Feinde. Die Prinzen zum Beispiel…

FARIN: Quatsch. Super Band!

BELA: Bis wir in so großen Hallen spielen dürfen wie die Prinzen, nehmen wir einfach mal Vorlieb mit den Fantastischen 4.

FARIN: Rodrigo -— du hast doch gesagt, daß du die Fantastischen 4 verprügeln willst. RODRIGO: Aber jetzt hab ich gesehen, wie stark die sind.

ME/SOUNDS: Wie alt waren denn die Fantastischen Drei, als sie in ihr erstes Ärzte-Konzert gegangen sind?

YPSILON: 40.

THOMAS: Ich hab heute mein erstes ÄrtzeKonzert gesehen.

HAUSMARKE: Ich war 1985 im Jugendhaus in der dritten Reihe …

FARIN: Vorhin war es noch die erste Reihe …

HAUSMARKE: Jedenfalls ganz vorne, weil ich schon immer ein etwas avantgardistischer Typ war.

FARIN: Warum hast du dir dann nicht den Arsch piercen lassen?

ME/SOUNDS: Sitzt du deshalb so verklemmt da?

THOMAS: Wir waren immer für neue Erfahrungen.

YPSILON: Die Ärtze und Arschpiercing — das war damals sowieso das selbe.

FARIN: Das waren die zwei Seiten der gleichen Medaille. Vorhin, als das Tonband noch nicht lief, hast du mir erzählt, daß dich die Ärzte tierisch beeinflußt haben … (brüllendes Gelächter bricht los)

THOMAS: Negativ beeinflußt. Die haben uns total verdorben.

HAUSMARKE: Wegen euch habe ich mich mal gehauen. Wir waren nur drei Halb-Waver in unserer Klasse, der Rest stand auf Saga und Supertramp. Im Schullandheim haben wir in der Disco die Saga-Cassetten rausgenommen und die Ärzte aufgelegt. Das war die „Debil“-LP. Dann haben sie uns immer verdroschen.

BELA: Prima Geschichte.

HAUSMARKE: Was ich gesagt habe: Bei so einem Gespräch — da kommt doch nichts bei raus.

ME/SOUNDS: S.M.U.D.O. jedenfalls hat im ME/SOUNDS-Interview gesagt: „Ich weiß noch, als ich selbst Teenie war — da kamen gerade die Ärtze raus. Ich war furchtbar eifersüchtig auf die, weil die Mädels die so seil fanden.“

BELA: Wir finden Mädels immer noch geil.

FARIN: Alle finden die Mädels geil. Oder war das anders gemeint?

BELA: Der S.M.U.D.O. ist jetzt nicht da, über den können wir also nicht reden.

THOMAS: Natürlich können wir das (rappt): „Der Smudeo faßt allen an die Mose, und ist furchtbar böse.“

BELA: Das ist mein absolutes Lieblingslied von euch: „Bin ich denn nur von Fotzen umgeben?“.

THOMAS: Wann hast du uns eigentlich entdeckt? Schon bei „Jetzt geht’s ab“?

BELA: Ich hab mitgekriegt, daß da einer auf deutsch rappt und mir gedacht: „Super, interessiert mich nicht“. Weil ich hier keine Slums sehe, so wie sie in Amerika existieren. Bis mir dann Farin „Arschloch“ vorgespielt hat, weil er weiß, daß meine Intelligenz doch … äh … und so … äh … bestehend ist. Und „Arschloch“ war dann doch mein Ding. Dann haben sie „Frohes Fest“ im Radio gespielt und ich habe gemerkt, wie ihr mit diesen Samples arbeitet. Da habe ich dann sogar drauf getanzt, im Jugendheim.

ME/SOUNDS: In dem Ärzte-Song „Gehirn-Sturm“ singst du die Zeile „Ich bin B. der Bela und bestimmt kein Hausmeister“. Meinst du damit den „Hausmeister Thomas D.“ der Fantastischen 4?

BELA: Das ist genauso gemeint.

HAUSMARKE: Vielen Dank!

THOMAS: Mein Gott, da habt ihr ja praktisch uns in euren Liedern … so mit daran …

HAUSMARKE:… beteiligt.

ME/SOUNDS: Ihr habt „ja Glück, keinen Deutschrock zu spielen. Sonst hättet auch ihr in dem Ärzte-Lied „Deutschrockgirl“ euer Fett abbekommen.

BELA: Wir konnten ja nicht jeden in dem Text erwähnen. Schließlich haben wir den Text auch nur in eineinhalb Minuten geschrieben.

FARIN: Macht bei euch ein Einzelner die Texte oder macht ihr die immer zusammen?

THOMAS: Der, der rappt, schreibt auch den Text. Ich gehe nicht in die Teenie-Discos.

BELA: So ähnlich wie bei uns. Und warum macht ihr so ähnliche Texte?

HAUSMARKE: So ähnlich wie eure Texte?

FARIN: Nee nee. Die einzelnen Texte sind sich bei euch ziemlich ähnlich, man hört den Autor kaum raus.

YPSILON: Bitte verzeih mir – ich hab bis zum heutigen Tag auch nicht gewußt, daß bei euch zwei verschiedene Leute singen.

ME/SOUNDS: Brauchen die Fantastischen 4 auch nur drei Minuten pro Text?

YPSILON: Nee – vier!

THOMAS: Bei HipHop-Musik ist ja auch viel mehr Text dabei.

FARIN: Ihr habt ja auch immer eine ähnliche Wortwahl. Meistens sind es Jamben …

HAUSMARKE: Jamben?

THOMAS: Jamben?

YPSILON: Ja, der Jambus …

FARIN:… und selten Trochäen.

THOMAS: Trophäen?

HAUSMARKE: Nein, es ist eben nicht dieses ewige Schema „Nänänänänänänä, nänänänänänänä.“ Da gibts ja auch rhythmische Feinheiten wie „nädelnädelnä. nä, nädeldelnä“.

FARIN: Das ist klar.

BELA: Denkt ihr eigentlich beim Rappen darüber nach, wie ihr das gerade macht?

THOMAS: Beim Textschreiben schon. Beim Vortragen denken wir dann nicht mehr nach. BELA: Dann ist es ab diesem Zeitpunkt aber doch Rock ’n‘ Roll, oder?

THOMAS: Kommt auf die Definition an. Für uns ist es einfach unsere Art von HipHop-Musik.

BELA: In dem Moment, da ich mir zuhause Rap anhöre, ist das Rock ’n‘ Roll für mich, weil ich ja Rock n‘ Roller bin. Verstehste — ich hör mir die Geto Boys an — und das ist Rock n‘ Roll.

THOMAS: Und wo ziehst du da die Grenze?

BELA: Wenns tough ist. ist’s Rock ’n Roll.

FARIN: „Arschloch“ ist Rock ’n‘ Roll.

BELA: Damals gab’s Punk Rock. Dann gabs die Rats, die haben Reggae mit Punkrock vermischt. Dann war ich 13 und es gab Devo und die B52s…

YPSILON: Aber es ist doch Scheiße, alles in irgendeine Schublade reinzustecken.

BELA: Genau. Und deshalb ist seitdem für mich alles Punkrock. Fertig, aus. Alles was gut ist. ist Rock ’n‘ Roll. Was schlecht ist. ist kein Rock ’n‘ Roll.

THOMAS: Because God gave Rock n‘ Roll.

ME/SOUNDS: Ihr beide habt auch den selben Plan. Ihr rappt und singt nur auf deutsch.

FARIN: Ich mache auch noch englisch nebenbei. Außerdem singen wir auch auf spanisch, italienisch und portugisisch.

BELA: Außerdem ist das doch Blödsinn. Wenn du rappst. heißt das, daß du viel zu sagen hast. Warum solltest du in Deutschland dann englisch rappen?

THOMAS: Was mich mal interessieren würde: Kamt ihr eigentlich am Anfang aus der Punk-Szene, die euch nach eurem großen Erfolg dann ausgestoßen hat?

FARIN: Nee, das war anders. Wir hatten am Anfang eine Punkband namens Soilent Grün. Nachdem wir eineinhalb Jahre lang in allen Punk-Läden gespielt hatten, bekam ich das Gefühl, daß in uns beiden mehr drinsteckt. Damals lag gerade die neue Deutsche Welle gerade im Sterben. Und ich hatte die Idee, eine Persiflage auf eine deutsche Pop-Band aufzumachen. Eine künstliche Band also. Die Ärzte —- schon der Name war total behämmert.

THOMAS: Wie bei uns.

FARIN: Aber ihr seid ja auch eine Comic-Band. Am Anfang kamen also nur Punks zu unseren Konzerten. Bis uns dann die „BRAVO“ entdeckt hat.

HAUSMARKE: Genau wie bei uns. Wir haben schon noch Publikum von 18 bis 27, aber es geht viel weiter unten los.

FARIN: Jetzt haben wir eigentlich das geilste Publikum, daß wir je hatten. Die Fans von damals plus die Fans von heute.

ME/SOUNDS: In eurer Single mit dem „Arschloch“-Schrei sprecht ihr das aktuelle Fascho-Thema sehr offen und unverschlüsselt an. Auf euren Konzert-Tickets druckt ihr gar den Hinweis: „Besucher, die als Nazis bekannt sind oder sich durch das Tragen von Nazi-Emblemen oder Fascho-Bands-T-Shins unbeliebt machen möchten, werden umgehend des Saales verwiesen und erhallen Hausverbot.“ Die Fantastischen 4 scheinen dieser Offenheit lieber auszuweichen …

THOMAS: Unsere Philosophie ist einfach eine andere. Wir versuchen, an einem früheren Punkt einzuhaken. Einem Zeitpunkt, an dem die Meinung der Leute noch nicht so verhärtet ist. Nicht so wie Udo Lindenberg. Wenn der singt „Haut mit den Tatzen auf die Glatzen“ — das verhärtet doch nur die Fronten. Wir versuchen mit „Laß die Sonne rein“ und so die Leute an dem früheren Punkt anzusprechen, wo es um sie selber geht. Um sie selber und um sie als Produkt ihrer Umwelt.

BELA: Das machen wir auch nicht viel anders.

FARIN: Wichtig ist doch, welche Gefühle du erzeugst. Es ist jeden Abend eine Freude, zu sehen, was für ein Erlebnis die Leute bei „Geschwisterliebe“ haben. Ich war früher viel in Zeltlagern. Ich weiß genau, was sie fühlen, wenn sie alle gleichzeitig dasselbe singen. Sie sind in dem Moment unschlagbar. Ich bin mir sicher: Wenn bei diesem Song eine Skinheadgruppe in den Saal käme -— die kleinen Mädchen würden die Skins rausprügeln.

THOMAS: Ich finde ja euren Weg auch mit den besten.

FARIN: Das „mit“ kannst du ruhig weglassen!

YPSILON: Ihr seid ja eh die beste Band der Welt.

ME/SOUNDS: Schleimer!

YPSILON: Die Ärzte sind wirklich die beste Band der Welt. Aber wir sind die geilste Band der Welt. Wir sind einfach zu geil für diese Welt!

HAUSMARKE: Mich würde viel mehr interessien, welchen Anspruch ihr mit eurer Musik eigentlich habt?

FARIN: Jeder von uns hat seinen eigenen Plan, manchmal überschneiden sie sich. Wonach ihr bei eurer neuen Platte sucht, diesen Sinn, diesen übergeordeten Zweck aller Dinge, ob es gerecht ist. daß einer soviel Geld verdient und ein anderer nicht — über diese Phase sind wir in unsrem Privatleben schon länger hinweg. Deshalb müssen wir all das auch in unseren Texten nicht mehr so sehr behandeln. Wir sind nie so —- ich will’s mal so nennen — vordergründig philosophisch gewesen.

THOMAS: Dann trennt ihr aber strikt zwischen Musik und Privatleben.

FARIN: Ihr seid auch in einer anderen Situation. Wenn ich „Die Da“ geschrieben hätte, hätte ich anschließend vielleicht auch so eine introvertrierte Platte gemacht. Aber ihr habt ja auch Songs wie „Es wird Regen geben“ geschrieben.

ME/SOUNDS: Hattet ihr auf der Tour akute Probleme mit Skinheads?

FARIN: Bisher nicht.

BELA: Naja, einer sitzt gerade hier… (zeigt auf Thomas)

HAUSMARKE: Das war kein guter Witz.

YPSILON: Laß dich nicht von Äußerlichkeiten leiten.

BELA: Kommt sicher gut auf den Fotos. Dem Smudo steht die neue Frisur auch besser. Der ist wohl auch mehr der „BRAVO“-Typ bei euch — immer am lachen, immer nett.

THOMAS: Die „BRAVO“ hat nach dem tieferen Sinn meiner Frisur gefragt. Da konnten wir ihnen auch nicht weiterhelfen.

YPSILON: Unsere Maxime war, am Anfang alles mitzunehmen. Keine Vorurteile zu haben. Wir waren bei Dieter Thomas Heck, obwohl wir das scheiße finden. Aber man muß seine Erfahrungen selber machen.

FARIN: Jein. Als Kind habe ich immer gehaßt, wenn meine Eltern gesagt haben: „Du mußt nicht aus dem Fenster springen, um zu wissen, daß das weh tut.“ Aber es gibt ein paar Sachen, die muß ich nicht machen, da weiß ich vorher, daß es scheiße ist.

YPSILON: Aber wenn du dir nicht sicher bist, was das richtige ist?

FARIN: Ich denke vorher nach. Zum Beispiel „Hohes C“: Was wollten die von euch? Die wollten sich eure Mode kaufen. Die wollten euch für sich kaufen, weil ihr jung und geil seid.

THOMAS: Wichtig ist doch, wie man persönlich auf diesen Erfolg reagiert, was sich für dein privates Leben dabei verändert. BELA: Bei uns ging das nicht so schnell wie bei euch. Rodrigo hat das bei den Rainbirds ganz anders erlebt. Die haben ein halbes Jahr nach der Bandgründung einen Plattenvertrag bekommen und hatten sofort einen Nummer-Eins-Hit. Denen wurde der Arsch mit goldenem Klopapier abgeputzt. Ich selbst trage eine Rolex-Uhr. Natürlich keine echte, obwohl ich sie mir leisten könnte — das ist eine reine Stilfrage.

THOMAS: Aber die Leute drehen irgendwann auf hohl —- dann kannst du abends nicht mehr weggehen, ohne angequatscht zu werden.

BELA: Ich gehe nicht in die Teenie-Discos. Ich gehe nicht in die Läden, in denen „Die Da“ läuft. Da gehst du sicher auch nicht hin. Mir ist nur einmal im Leben das T-Shirt vom Leibe gerissen worden.

THOMAS: Aber du mußt ständig auf der Straße Autogramme geben.

BELA: Das ist doch korrekt. Da geht einer in den Supermarkt und sieht Thomas D. -— seinen Star. Natürlich quatscht er dich an. Du kannst jetzt sagen „Nein, ich bin’s nicht“, aber das wird dir schwerfallen. Du gibst ihm also ein Autogramm. Und das ist ein Erlebnis für ihn. Das ganze Leben ist doch so erlebnisarm, da ist es doch nur korrekt, ihm diese Freude zu machen.

HAUSMARKE: Schöne Gefühle vermitteln, das sollte doch das zentrale Anliegen der Kunst sein.

FARIN: Das können wir mit den Ärzten. Du merkst im Konzert, daß Du die Leute eineinhalb Stunden lang glücklich machst. Mal ehrlich — was will man mehr im Leben?

HAUSMARKE: Und mein Gefühl sagt mir, daß das Gespräch lange genug gedauert hat. Mein Gefühl sagt mir. ich sollte jetzt besser rausgehen und Spaß haben.