Die glorreichen 7


Es muß wohl an Weihnachten liegen. Monate vor dem großen Geschäft fahren die Plattenfirmen ihre schwersten Geschütze auf. ME/Sounds studierte den Aufmarschplan.

Knopfler: Abschied von den Dire Straits?

Eine harte Geduldsprobe selbst für den treuesten Anhänger. Vor nunmehr sechs Jahren – BROTHERS IN ARMS datiert von 1985 — konnte das letzte vollgültige Lebenszeichen der britischen Truppe registriert werden. Zwischendurch nur Zuckungen: Mark Knopfler als Anführer der Notting Hillbillies und Mark Knopfler im Gitarrenverbund mit dem US-Virtuosen Chet Atkins. Fragen nach dem Verbleib und den Plänen der Dire Straits wurden abgewehrt: irgendwann, irgendwo, vielleicht…! Das gab jenen Gerüchten Nahrung, die das Ende der erfolgreichen Britencombo herbeiorakelten. Knopfler, so kolportierte man. habe keinen Bock mehr, eh Geld genug und — wenn überhaupt — dann wäre wohl nur noch ein letztes Album zu erwarten. Doch wie so oft hat Anti-Star Knopfler, kluger Kopf hinter dem Markenzeichen-Schweißband, die Spannung bis zuletzt ausgebaut, um dann mit knurrigem Charme ON EVERY STREET anzukündigen. Das wird — soweit bis jetzt — Albumtitel und Tourmotto des neuen Dire Straits-Jahres sein.

Ein Sponsor für die 300-Daten-Tournee ist auch schon gefunden: Mediengigant Philips wird die Gunsi der Stunde(n) nutzen, um die DCC (= Digital Compact Cassette) am Markt zu positionieren. Ironie des Deals: ON EVERY STREET wird noch nicht auf diesem, die Tonträger-Technologie erneut revolutionierenden Format erscheinen. „Wir werden“, so Manager Ed Bicknell, „die ersten sein, die diesen Tonträger benutzen. Aber bis zur Klärung der Tantiemen-Situation bleibt offen, ob ON EVERY STREET als DCC erscheint.“

ON EVERY STREET wurde in den Londoner Air Studios produziert und wird am 9. September weltweit erscheinen. Die erste einer stattlichen Reihe von Singles soll „Calling Elvis“ heißen. Ende dieses Monats (am 23.8.1991) startet in Dublin eine Tour der Superlative. Für Deutschland sind zehn Konzerte geplant

Gabriel: Nie Zeit für das eigene Album

Er hat scheinbar keine Eile, einen Nachfolger für sein 86er Meisterstück SO abzuliefern. Ein Rinnsal spärlicher Informationen verwirren den Fährtensucher. Gabriel sei auf dem „Ethno trail“ in Afrika, heißt es einmal. Dann erfährt man aus den sogenannten gut unterrichteten Kreisen, daß — Zitat — ein „certain umoimt ofmusic“ bereits eingespielt sei. Das nun für Ende ’91 vorgesehene Gabriel-Werk sei eigentlich bereits im Veröffentlichungsplan des ersten Halbjahres aufgeführt worden.

Die Terminzwänge der Musikvertreiber interessierten Gabriel allerdings wenig. Nur was hundertprozentig gefällt, läßt der „langsame Arbeiter“ durchgehen — und das scheint bei seinen Qualitätsansprüchen nicht gerade viel zu sein. Gabriel verschanzt sich hinter den Mauern seines Studios in Bath und schweigt sich aus. Die Musiker vielleicht…? Hier wird man fündig! David Sancious (Keys), David Rhodes (Gitarre), Tony Levin (Baß) und Manu Katche (Schlagzeug/ Perkussion). Daß Daniel Lanois als Co-Produzent gebucht ist und im Herbst (wohl nach getaner Arbeit für U2) in Bath erwartet wird, gilt auch als verbrieft.

So dürftig die Informationslage in Bezug auf Gabriel selbst, so üppig die Verlautbarungen zu seinen WOMAD (World Of Music Arts And Dance)-Aktivitäten. Gabriels ehrgeiziger Plan: Acht bis zehn Alben sollen bei den diesjährigen Festivals mitgeschnitten werden. Unter Leitung der Produzenten Bob Clearmountain und Phil Ramone sowie eines „musikalischen Animateurs“ sollen sich die Weltmusikanten in beliebigen Konfigurationen zu Ethno-Jams zusammenfinden.

Prince: Braucht ein Erfolgserlebnis

Die Aufregung war groß. Das Durcheinander perfekt. Der kleine Prince mit dem großen Ego ließ 300 Radio- und Club-DJs eine Maxisingle zukommen — darauf die zehnmütige Version eines neuen Prince-Titeis: „Get Off. Die vom Paisley Park-Unternehmen in Eigenregie gefertigte 12-Inch war ein cleverer Schachzug: Die vorschnelle Veröffentlichung lenkte nämlich alle Aufmerksamkeit auf das kommende Prince-CEuvre DIA-MONDS AND PEARLS. Mit medienwirksamer Verzögerung gab man dann bekannt: „Get Off“ wird in einer eingedampften Version als Single erscheinen.

Prince baute einen weiteren PR-Purzelbaum: Er lud einen kleinen Kreis zum Vorkosten des LP-Menüs nach Minneapolis. Was Abbey Konowitch, Vizepräsident von MTV, Anthony Kiedis, Sänger der Red Hot Chili Peppers, und den Wamer-Oberen zu Ohren drang, konnte man wenig später in „US Today“, Amerikas auflagenstärkster Boulevardzeitung, nachlesen. Eine Prinzenrolle rückwärts! „Vielleicht“, mutmaßte MTV-Mann Konowitch, “ war für ihn die Zeit gekommen, sich nach außen zu orientieren. Für einen Künstler, der sich so abgeschottet hat wie Prince, ist es wichtig, neue Eindrücke zu sammeln. Wohl auch deshalb ist DIA-MONDS AND PEARLS eine aufregende Platte mit echtem Partyfeeling. Prince steckt neues Territorium ab. „

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch Kiedis. „Im Vergleich mit den letzten Prince-Alben packt DIAMONDS… einen direkt an den Eiern. Hier findet man alles, was das Herz begehrt: soulige Gospel-Balladen, die zu Tränen rühren, Hardcore-Funktitel, die geil machen. Vom A llerfeinsten.“

Kiedis schildert in seinem Bericht („In Audience With His Majesty“) die Zusammenkunft mit einem der „freukiest, funkiest musical geniuses of our time“. Die Privatgemächer erinnern den eingeflogenen Straßenjungen an die Kulisse aus „Baron Münchhausen“. „Wir betreten ein schwach beleuchtetes Studio und da, hinter einem riesigen Pult, thront Prince – absolut cooler Blick. Er spielt uns das komplette Album vor, in extremer Lautstärke.“

Bruce: Verschollen im „Tunnel of Love“

Am 9. Juni heiratete Bruce Springsteen seine Chordame Patti Scialfa. Die Traumhochzeit findet auch auf dem nächsten Boss-Album seinen Niederschlag: „Red Headed Woman“ ist einer von den 32 zur Disposition stehenden Titeln und gilt seiner Angetrauten.

Daß das schon mehrmals angekündigte Nachfolgewerk von TUNNEL OF LOVE (1988) noch nicht vorliegt, hat aber nicht nur familiäre Gründe. Hauptgrund für die Verzögerung ist ein andauernder Disput zwischen Springsteen-Manager Landau und seinem Schutzbefohlenen. Landau plädiert für radiogeeignetes Material. Springsteen nicht. Landau möchte einen Titel namens“.Real World“ auf das Album nehmen, Springsteen ist dagegen. Die Entscheidungsnndung dauert und dauert.

Dabei wurden die 32 Songs bereits im Frühjahr 1990 im Verlaufe von zwei Sessions eingespielt, von Studio-Cracks, um die Springsteen bislang einen großen Bogen machte. So trommelte Jeff Porcaro (Toto), Randy Jackson zupfte den Baß. Roy Bittan saß an den Keyboards und Springsteen selbst fungierte im Verein mit wechselnden Solisten als Gitarrist. Eine Unterredung mit Sting soll ihn zu diesem Schritt bewogen haben.

Das Resultat scheint ihm recht zu geben. Rockiger, direkter soll das neue Material klingen, hörte man von denen, die am 16. und 17. November 1990 in den Genuß kamen, Bruce bei einem Benefizkonzert im Shrine Auditorium von Los Angeles zu erleben. Sechs neue Titel gab er zum besten: „57 Channels“, „The Wish“, „Real World“, „Red Headed Woman“, „Soul Driver“ und „When The Lights Go Out“. Noch brennt Licht im Springsteen-Studio. Auf 20 Titel haben sich die beiden Juroren bislang einigen können. Das Duett mit Sam Moore (von Sam & Dave) hat beste Chancen zum ersten Single-Anwärter. Mit einer Vorwarnzeit von vier Wochen liefert Springsteen seine Arbeiten ab. Dann kann er seinem Sohn die Windeln wechseln.

U2: Bootlegger pflastern ihren Weg

Von wem das Gerücht stammt, weiß man: von Oberprediger Bono selbst. Das nächste Album solle durch Tanzbarkeit überraschen und die Dubliner Formation aus den Sphären weltverbessernder Heilslehren auf den irdischen Dancefloor zurückholen. Doch dann fand ein neugieriges Zimmermädchen — U2-Fan. versteht sich — beim Aufräumen der Hotelsuite Cassetten mit den neuen U2-Aufnahmen. Und es tat einen Knall, als ein Freund von dem Freund des Zimmermädchens die „Rehearsals & Füll Versions“ als Bootleg auflegte. Die Plattenpolizei war aufgerufen, den Piraten das schändliche Handwerk zu legen. Zu

Vom Zimmermädchen abgelockt: Bono plant den nächsten Coup

spat, die Raubpressung war nicht mehr zu stoppen. Ob das noch unbetitelte U2-Opus. dessen Veröffentlichung am 7.

Oktober erwartet wird, tatsachlich mit dem Bootleg-Material identisch ist, ist nach wie vor unklar. Nach dem jüngsten Kenntnisstand liegen 12 Songs vor: Die amerikanischen, von Bono favorisierten Einflüsse haben, so ein BMG Ariola-Insider. europäischem Klanggefühl Platz gemacht. Aggressiver als auf dem Vorgänger RATTLE AND HUM (1988), weniger balladenorientiert. Drei Songtitel sind bekannt: „Until The End Of The World“ (ein Stück, das auch als Titelmelodie des kommenden Wim WendersStreifens Verwendung finden wird). „The Fly“ und „Wild Horses“. Die erste Single erseheint Anfang September.

Entstanden ist das Einfachalbum in den Berliner Hansa-Studios, die Postproduktion fand im Juni in Dublin statt, das Mastering begann Ende Juli in Los Angeles. AJ! das unter der bewährten Regie der Sound-Meister Daniel Lanois und Brian Eno. Anton Corbijn wird für die Gestaltung der Hülle verantwortlich zeichnen. Wie gehabt werden die B-Seiten der Singles mit unbekanntem Material bestückt. Eine Mammuttour von Bono & Co. steht ab Februar 1992 ins Konzerthaus: zuerst Hallen in den USA, dann ab Sommer ’92 Europa-Daten, dann Outdoor-Gigs in den Staaten, dann Australasia usw. usw. Bis ans Ende der Welt und zurück.

Jackson: Mehr Pep mit neuen Produzenten

Es würde passen wie die berühmte Faust aufs Auge: Madonna und Michael im Duett! Doch was selbst hartgesottenen Kritikern weiche Knie verursachen dürfte, wollte Schandmaul Madonna nicht bestätigen: Sie wisse nicht, ob das Duett tatsächlich verwendet würde. Tatsächlich fehlte ihre Stimme bei dem dafür vorgesehenen Song, einer von den sieben, die Jackson bereits im April Sony-Menschen vorstellte.

Perfekt dagegen ist jener Jahrhundert-Deal, der Jackson in eine Sphäre beamt, wo jeder Vergleich fehlt. 100 Millionen Dollar soll Jackson aus den Sony-Bossen herausgekitzelt haben. Dafür muß er in nahezu allen Bereichen der Unterhaltungsindustrie zur Verfügung stehen: Film, Video, Musik. Trotzdem bereitete der medienwirksame Coup einigen Menschen Kopfschmerzen: „Die unbeantwortete Frage“, so ein Entertainment-Spezialist, „ist die: Interessier! sich das Publikum überhaupt noch für Michael Jackson, der seit vier Jahren kein Album mehr veröffentlicht hat?“ Neue Künstler seien nachgerückt, die Rap-Szene habe sich kommerziell etabliert. THRILLER hatte 40 Millionen Einheiten verkauft und damit eine historische Rekordmarke gesetzt. BAD (1987) erreichte „nur noch“ 25 Millionen Käufer. Jackson scheint selbst ein wenig Angst vor der eigenen Courage bekommen zu haben. Jedenfalls wurde DAN-GEROUS – so wird das im Oktober erscheinende Werk heißen — nicht von Quincy Jones produziert. LA Reid, Teddy Riley und Babyface teilen sich die Credits mit dem Maestro. Es darf gemein gegroovt werden. Von „five kiiler dance tracks“ sprach Jackson jedenfalls. Damit die Ghettojungs ihn endlich wieder ernstnehmen. Insgesamt klinge DANGEROUS modemer, was die Rhythmen angehe, zugleich kommerziell und in punkto Sounds innovativ.

Guns N’Roses: Chaos hinter den Kulissen

Das hat es noch nie gegeben: Die Axl Rose-Truppe, die nach einer dreijährigen Bühnenabstinenz und der Ochsentour durch alle Clubs der USA gegenwärtig große Headliner-Shows absolviert, wird (so der letzte Stand) am 19. August zwei Alben an einem Tag veröffentlichen:

USE YOUR IL-LUSION I und n. Bevor sie Ende Mai ihre „Get In The Ring Motherfucker‘-Welttournee vor amerikanischem Publikum starteten, sorgten sie bei Überraschungskonzerten für Furore. Im abgelegenen Wisconsin etwa präsentierte die Band auch Material der neuen LPs, nämlich „You Ain’t The First“ und „Double Talkin‘ Jive“. Letzteren Titel hatten die Amerikaner zusammen mit „Pretty Tied Up“ bereits anläßlich des Rock In Rio-Festivals vor großem Publikum vorgestellt. Das brachte Trouble. Ein in Brasilien gefertigter Videomitschnitt wurde in den USA veröffentlicht, natürlich mit den beiden bis dahin unveröffentlichten Titeln. Ein hektisch entfachter Papierkrieg zwang die Macher des „Hard ’n‘ Heavy Video Magazine (Volume 13)“ zum Nachgeben.

Guns N’Roses sind die große weiße Hoffnung des Rock „n 1 Roll. Mit USE YOUR ILLUSION I und II, den Singles „You Could Be Mine“ (Veröffentlichungstermin: 8.7.1991) und der Folge-Nummer „Don’t Cry‘ werden die Guns in den Kreis der Top Acts vorstoßen.