Die Prinzen-Rolle


Was er an Kreativität zu viel hat, hatte er an kommerziellen Erfolg zu wenig: Nach Film-Flops und nur mäßig erfolgreichen Platten begann das Prince-Imperium im Paisley Park langsam zu wanken. Mit „Batman“ sollte sich nun das Blatt wenden. Doch hat Prince seinen Ehrgeiz wirklich unter Kontrolle? ME/Sounds-Mitarbeiter Steve Lake warf einen Blick in seinen überfüllten Terminplan.

Wenn du gerufen wirst, wirst du gerufen, und ich höre Dinge im Schlaf. Ich laufe rum, gehe ins Badezimmer, putze mir die Zähne, und auf einmal fängt die Zahnbürste an zu vibrieren. Das ist ein Groove, verstehst du, und man muß ihm folgen. Was bedeutet, daß man die Zahnbürste in die Ecke schmeißt und schaut, daß man ins Studio kommt.“

Originalton Prince, in den Fängen göttlicher Inspiration –  ein Zitat von 1989, das neuste, das Dave Hill für seine 1989 erschienene Biographie „Prince: A Pop Life“ auftreiben konnte, da der Meister sich weigerte, mit ihm zu sprechen. Das Werk, soeben auf Deutsch erschienen, ist bereits wieder überholt, wie das bei Büchern, die sich mit so vergänglicher Ware wie Pop beschäftigen, unweigerlich der Fall ist.

Bei Prince Rogers Nelson ist das Problem noch gravierender, denn der „Imp Of The Perverse“ (so der Titel einer anderen Prince-Biographie von Barney Hoskyns) wechselt Image und Aussage mit jeder neuen Platte. Letztes  Jahr präsentierte er sich als textilfreier Satyr, der auf Lovesexy alle seine Orgasmen Gott widmete. Dieses Jahr hat er sich überraschenderweise als Hollywood-Lohnarbeiter verdingt. Prince als Soundtrack-Lieferant und Kumpel der Leinwandstars („Special thanks to Jack Nicholson“). Sämtliche Biographien weisen auf sein Bedürfnis nach totaler künstlicher Kontrolle hin, aber sie alle wurden geschrieben, bevor Batman auf die Bildfläche flatterte. Merkwürdig, daß ausgerechnet eine Auftragsarbeit der größte kommerzielle Erfolg für Prince seit PURPLE RAIN werden sollte.

BATMAN ist, so die einhellige Meinung der mehr oder weniger qualifizierten Prince-Fachleute, nicht gerade seine kreativste Platte. Ein rasch und eher nebenbei aus dem Ärmel geschütteltes Projekt. Und obwohl der „Melody Marker“ in einer völlig danebenliegenden Kritik das Ende der kreativen Kraft vorhersagte, hat ihm das Album bereits 20 Millionen Dollar eingebracht, was die Verkaufszahlen von LOVESEXY geradezu lächerlich erscheinen läßt. Tatsächlich verkauft sich BATMAN weltweit mittlerweile schon besser als alle vier Alben seit PURPLE RAIN zusammengenommen. In Amerika gab’s bisher dreimal Platin, mit Aussicht auf mehr. Sobald der Film – schon heute einer der zehn erfolgreichsten Streifen aller Zeiten – in den europäischen Kinos anläuft, werden die Verkaufszahlen für das Album ebenso in die Höhe schnellen wie für Batman-T-Shirts, Masken, Frisbees. Baseballmützen, Puppen.

„An dieser Medien- und Marktpräsenz teilzuhaben, das kann derzeit nur ein Positivum sein“, windet sich eines der hohen Tiere bei Warner Brothers in gestelztem Business-Jargon um die Tatsache herum, daß die Manager aus Burbank Ende 1988 nichts sehnlicher erhofft hatten, als bis mindestens 1990 mit einer neuen Prince-Platte verschont zu werden. Übersättigung, so hieß es. Die Öffentlichkeit könne mit Prince nicht mehr Schritt halten. Daher die fallenden Verkaufszahlen. Die Musik werde zu komplex, argumentierten sie. Auf SIGN O‘ THE TIMES, dem (zurückgezogenen) BLACK ALBUM und LOVESEXY waren sogar deutliche Jazz-Spuren auszumachen, was umsatzmäßig immer sofort Anlaß zu tiefer Besorgnis bietet.

Schlimmer noch, Mr. Nelsons Methoden der Selbst-Präsentation mißachteten sämtliche Regeln des Musikbusiness. Zumindest auf den amerikanischen Stationen der „Lovesexy“-Tour wurden die zwei Millionen Dollar, die in die spektakuläre Bühnenshow investiert worden waren, nicht wieder hereingeholt, was vor allem mit mangelnder Publicity zu tun hatte. Natürlich gab es keine Interviews. Prince hat seit 1985 kein größeres Interview mehr gegeben, und die sowieso nur sechs Wochen lange Tour wurde hastig zu einem Zeitpunkt arrangiert, als der Sänger keine einzige Single in den Charts hatte. „Glam Slam“ hatte es nicht einmal in die Billboard Hot 100 geschafft. Ähnlich ging es dem Konzertfilm „Sign ‚0‘ The Times“, der als Ersatz für eine abgesagte US-Tour ohne Vorwarnung auf die amerikanischen Kinos losgelassen wurde: Verleiher, die mit dem Super-Flop „Under The Cherry Moon“ schlechte Erfahrungen gemacht hatten, rissen sich nicht gerade um den Film.

Das Vertrauen in Princes Karriereplanung wurde durch die Klatschgeschichten der Gossenpresse nicht gerade bestärkt, die aufgrund fehlender offizieller Statements wie Unkraut wucherten. Die meisten dieser Geschichten sagen vor allem etwas über den Erfindungsreichtum verzweifelter Journalisten aus: Prince, der mitternächtliche Ausflüge auf Friedhöfe unternimmt, um mit den Toten zu kommunizieren; Prince, der dem Showbiz entsagen und auf Mönch umsatteln will; Prince. der sich sein „Honigpops“-Frühstück mit Vorliebe auf den Bäuchen ausgewählter Mädchen servieren läßt, sein Liebesleben aber aus Angst vor Bakterien nur in Handschuhen bestreitet. Die Presse beschäftigte sich auch gern mit den Macken seiner Schwester Tyka Nelson, die nirgendwo ohne ihren Plüsch-Dinosaurier hingeht, die Fenster ihres Heimes mit Alufolie zuklebt und sich erklärtermaßen „auf den Tod freut“.

Hin und wieder übertrafen sich die Klatschkolumnisten selbst. PRINCE WILL ASTRONAUT WERDEN, kreischte der „Daily Star“, in den USA eine nicht versiegende Quelle gezielter Desinformation. In der Story wurde behauptet, der „exzentrische Megastar“ hätte aufgrund der von Voyager II gelieferten Bilder sein Herz an einen Besuch des Neptun gehängt und sei wegen einer Ausbildung zum Astronauten an die NASA herangetreten. Unglücklicherweise ist Neptun 484 Millionen Meilen entfernt, was bedeutet, daß die Hin- und Rückfahrt etwa 36 Jahre dauern würde. Man rechne drei Jahre Training hinzu, und Prince könnte sich etwa mit 70 über einen Nachfolger für BATMAN Gedanken machen. Lange Betriebsferien, selbst bei einem „übersättigten“ Markt.

WEA und die Leute vom „Paisley Park“-Label hatten da wohl eher an eine bescheidenere Schaffenspause von einem Jahr gedacht. Prince wollte seinen Label-Katalog ausmisten und ein paar seiner Neuerwerbungen produzieren. Gerüchte gingen um. Paisley Park hätte seine Budgets in alle möglichen Richtungen überzogen und dafür wenig mehr vorzuweisen als eine Serie von Single-Flops und einen Haufen Prozesse, einer davon mit Prince-Halbschwester Lorna Nelson, die behauptete, Bruderherz hätte ihre Texte geklaut. Verträge mit Mavis Staples und George Clinton, bewährten alten Kämpen, sollten dem Unternehmen ein robusteres schwarzes Standbein verschaffen. Prince begrub das Kriegsbeil mit seinen alten Mitstreitern Morris Day und Jerome Benton, die ihm auf der „1999″-Tour die Schau gestohlen hatten – Kritiker und Publikum hatten jede Ehrfurcht vermissen lassen und die Vorführung von The Time für besser befunden als die des Mannes, der die Gruppe erfunden, produziert und den größten Teil ihres Repertoires geschrieben hatte.

In einem seltenen Augenblick öffentlich eingestandener Verwundbarkeit bekannte Prince einmal, er habe „Angst“ vor The Time; sie waren ein Monster, das drohte, seinen Schöpfer zu verschlingen. Aber Zeit heilt alle Wunden, und als Batman an die Tür klopfte, war Prince gerade mit der Arbeit an einem neuen Time-Album beschäftigt.

Batman-Regisseur Tim Burton ist schon seit Jahren Prince-Fan und spielte im Auto auf dem Weg zu den Pinewood Studios in London, wo der Film gedreht wurde, vorzugsweise Prince-Cassetten. Wenn er sich mit dem Joker, Batmans Erzfeind, beschäftigte, so Burton, „hörte ich immer Prince-Musik“. Kein Zufall also, daß die Garderobe des Jokers, das von ihm im Kunstmuseum von Gotham City abgeblasene Giftgas und der gesamte Wagenpark der Bande lila sind. Trotzdem war es kein Kinderspiel. Prince zur Mitarbeit an dem Film zu bewegen, sondern erforderte monatelange, nerven-zerrüttende Verhandlungen mit seinem alten Manager Steve Fargnoli und dessen Nachfolger Albert Magnoli, deren Namen wohl nicht zufällig bedrohlich nach Neo-Mafioso klingen.

Schließlich stimmte Magnoli. Regisseur von „Purple Rain“, einer Besichtigung der „Batman“-Kulissen zu. Prince war von dem in Pinewood aufgebauten Stadtbild von Gotham begeistert, das aussah wie eine überdimensionale gothisch-düstere Version seines Bühnenbilds für „Sign o‘ The Times“. Während er beobachtete, wie Batman (Michael Keaton) und Vicki Vale (Kim Basinger) in ersten Probeaufnahmen durch die Straßen der Stadt pirschten, wisperte der Meister: „Ich höre Musik“, sagte ein geplantes Wochenende in Paris ab, jettete zurück nach Minneapolis und schloß sich in seiner eigenen Bat-Höhle, Paisley Park Studio A, ein. um in Höchstgeschwindigkeit Musik vom Stapel zu lassen. Das erste Stück auf BATMAN, „The Future“, überträgt die Aussage des Titelstücks von SIGN 0′ THE TIMES in eine apokalyptische Zukunft: Macht euch auf noch Schlimmeres gefaßt, Städte im Dunst von Drogen. Gier und Korruption. Das macht Batman verrückt. Den noch etwas konfuseren und moralischen Kreuzritter Prince auch.

Albert Magnoli und „Batman“-Coproduzent Jon Peters sind übereinstimmend der Meinung, daß Prince sich stark mit der Figur des Superhelden in Umhang und Kapuze identifiziert. „Irgendwie“, darauf besteht Peters, „ist Prince Batman. Er ist eine sehr düstere Figur, komplex, geheimnisvoll und explosiv.“

Wenn man jedoch die Songtexte auf BATMAN analysiert, wird klar, daß Prince auch gewisse Sympathien für den Joker hegt. In dem Video zu „Partyman“ (wie auch dem „Batdance“-Video) spielt er den doppelgesichtigen Gemini, eine Synthese aus Batman und Joker, in der das Böse eindeutig die Oberhand gewinnt.

In dem von Magnoli gedrehten „Partyman“-Video bekommt nebenbei auch die Konkurrenz etwas ab. Michael Jacksons dahingeschiedener Affe Bubbles wird ebenso auf die Schippe genommen wie Weird AI Yankovic. Außerdem dürfen wir einen Blick auf Princes neue Band werfen. Sie wird nicht ohne Grund vorgestellt – damit sollen Gerüchte um eine für Anfang 1990 geplante Tournee erhärtet werden. Obwohl es sich bei BATMAN größtenteils um ein Ein-Mann-Projekt handelte – Prince spielte so gut wie alle Instrumente selbst – präsentiert das Video den langjährigen Paisley Park-Mitarbeiter Matt Fink an den Keyboards, die LOVESEXY-Tourmusiker Miko Weaver (Gitarre) und Levi Seacer Jr. (Baß), sowie die Saxophonistin Candy Duffer und Michael Bland am Schlagzeug.

Nach den Dreharbeiten für das „Partyman“-Video machte sich Prince wieder auf den Weg nach Paisley Park, diesmal mit der Batman-Gefährtin Kim Basinger im Schlepptau – angeblich, um eine Single mit ihr zu produzieren, und dann die Arbeit an dem Time-Album fortzusetzen.

Neben diesen musikalischen Projekten hat Prince derzeit nicht weniger als drei neue Musikfilme in Planung. Zwei davon – „Graffiti Bridge“ und „The Dawn“ – basieren auf Drehbüchern von Albert Magnoli. In „Graffiti Bridge“ geht es laut Magnoli um „Spiritualität auf der Suche mich Transzendenz“. „The Dawn“ wird dagegen von ihm etwas prosaischer als „an der Straße orientiertes Musical“ beschrieben.

Der dritte Film bietet vielleicht die interessantesten Aussichten – eine Biographie des legendären und geheimnisumwitterten Blues-Sängers Robert Johnson. Johnson, der 1938 im Alter von 28 Jahren starb, war nicht nur umherziehender Straßenmusikant und ständig alkoholisierter Frauenheld und Herzensbrecher, sondern auch ein außerordentlich begabter Songschreiber und Gitarrist. In seinen Songs finden sich jede Menge unheimlicher religiöser Bilder und sexueller Anspielungen (eine Mischung, die Prince-Enthusiasten geläufig sein sollte). Er sang von Höllenhunden, die ihm im Nacken säßen, und behauptete, als Gegenleistung für seine Gitarren-Künste dem Teufel seine Seele verkauft zu haben (wie war das noch mit den Friedhofs-Ausflügen?).

Von Robert Johnson existieren keine Fotos, und die genauen Umstände seines Todes sind ebenfalls ungeklärt. Manche sagen, er wäre in einer Bar erstochen worden, andere, eine eifersüchtige Geliebte hätte ihn mittels Gift umgebracht (jede Wette, daß Prince sich für diese Version entscheidet!).

Kurzum, der Workerholic von Minneapolis läßt keine Anzeichen von Ermüdung erkennen. Ein immer wiederkehrendes Thema in Dave Hills Prince-Buch ist die Konfrontation des Sängers mit verschiedenen seiner Günstlinge, die ihm klarzumachen versuchen, daß er sich zu viel auflädt.

Paul Peterson, Sänger der PP-Band The Familiy (1984/85 alternatives Ventil für den Songschreiber Prince) stellte seinen Chef schließlich zur Rede: „Ich sagte: ‚Wenn du dich wirklich um diese Band kümmern willst, kannst du nicht vier Millionen andere Sachen gleichzeitig machen‘.“ Prince zuckte nicht mit der Wimper. „Oh doch“, sagte er. „Ich habe das mit The Time geschafft, oder? Und auch mit Sheila E. Und mit Vati in 6. „

Warum das alles? Des schnöden Mammons wegen?

„Money – how much’ll  make U happy?“, fragt der Joker in dem Prince-Song „Trust“.

Wenn man genug davon hat, sagt Prince. geht es nicht mehr länger ums Geld. Es ist vielmehr der Groove in der vibrierenden Zahnbürste, dem man einfach nicht widerstehen kann.