Die Quelle


Willkommen zur Trendshow auf dem Laufsteg der Charts: Madonnas Mieder, Sineads Stiefel und das Loch von Bros —- der letzte Schrei der Pop-Idole ziert heute jede Kaufhausstange. ME/Sounds forscht nach den Originalen.

Mit den Blue Suede Shoes fing aJJes an. Als Carl Perkins 1956 seine Hymne auf die knatschblauen U-Boote aus Wildleder anstimmte und Elvis Presley den Song im selben Jahr zum weltweiten Hit geraten ließ, da wußten Kids und Klamottenkäufer noch nicht mal, wie man das Wort Pop buchstabiert, Mode machten damals Muttis frühe Constanze-Heftchen, die Kinoleinwand und im schlimmsten Fall — die Königshäuser.

Zurück in die Zukunft der verkehrten Welt: Wir schreiben das Jahr 1991, in jeder mittleren Großstadt laufen mehr Baseball-Kappen durch die Fußgängerzonen als eine Hip Hop-Platte Wörter zählt, und die halbe westliche Hemisphäre federt auf dick gepolsterten Turnschuhen durch“s Trendbewußte Leben. Fast überflüssig zu erwähnen, daß die Vorgabe zum privaten Homeboy-Styling keine Frühjahrsshow in London, Mailand oder Paris liefert. „Sage mir, was du anziehst, und ich sage dir, was du hörst,“ fast läßt sich der überflüssigste aller Elternsprüche heute in dieser Form abwandeln. MTV kleidet die Welt: Neckermann ruft mit grell-bunten Wurstpellen zum 70’s Revival auf und zitiert damit auf’s Grausamste Deee-Lite’s Lady Miss Kier, und Jean-Paul Gaultier’s exaltierte Brustkegel-Bustiers, wie sie Madonna exklusiv zur Schau trug, terrorisieren modemutig die Tanzflächen der Hedonistentempel. Vielleicht sind tatsächlich die „Blue Suede Shoes“ daran schuld, oder zumindest die Zeit, in der sie an den Füßen schmalzgelockter Jünglinge lebten. Man muß nicht die trainierte Beobachtungsgabe eines Profi-Soziologen haben, um mutmaßen zu können, was die Sittengeschichten des Zwanzigsten Jahrhunderts auf ewig wiederkäuen: In den Fünfziger Jahren wurde der Rock ’n‘ Roll geboren, und mit ihm nicht nur Petticoats und Pferdeschwänze, Slim Jims und Blue Jeans, sondern das Phänomen Jugendkultur an sich. Der Rest ist Legende, Kriegsgeschichten aus der Teenie-Zeit einer Elterngeneration, die heutigen Mittzwanzigern nur noch ein müdes Lächeln entlocken: der lockere Hüftschwung, der skandalöse Pilzkopf, der väterliche Tritt in den Fersehschirm, als Mick Jagger in Pailettenbesetzter Weste genußvoll „Let’s Spend the Night Together“ intonierte. Die private Revolution war das Motto der Stunde, und die äußerte sich eben in dem entscheidenden Zentimeter Haarlänge, der progressiv über den Hemdkragen aller Beatnicks reichte. Und wenn Mütter darauf mit spitzen Schreien und gezückter Schere reagierten, sind wir nur beim nächsten Schlagwort, das seither Kulturgeschichte macht: der Generationenkonflikt.

Mit dem aufgeklärten Blick zurück ist es heute keine bahnbrechende Erkenntnis mehr, Pop und Rock nicht als Musikrichtung zu begreifen, sondern als jugendorientiertes Gesamtphänomen. Ziel und Zweck ist, wie der Soziologe Kult-Kluft durch die Jahre: Die Mutation des Rock ’n‘ Roll transportierte modisches Erb-Gut über vier Dekaden. Der Stammbaum vom Macho-Tier bis zum Paradiesvogel, Musik & Mode Hand in Hand. Lange standen dabei nur Männer auf der Bühne Modell, Frauen machten erst in jüngerer Zeit Fashion.

sagt: soziale Eingliederung und Abgrenzung, Auf gut deutsch: Raus aus dem Konfirmationsanzug, rein in die Lederjacke, die Wohnzimmertür zur deutschen Eiche lautstark zugeknallt, und ab ging’s mit Gleichgesinnten (und -gekleideten) zum kollektiven Rocken.

Durch die Jahre mit federndem Schritt: Die Turnschuh-Generationen der Rap-Idole geben sich seit jeher markenbewußt, und die Herstellerfirmen reichen sich auf Inund Out-Listen die Hände.

Goldene Zeiten der Vergangenheit: die Haare wuchsen damals langsam über die Schultern, das Wah-Wah-Pedal wurde lauter, die Hemden bunter, die Revolte bekam ihre drogengeschwängerte Friedensideologie vom besseren Leben, und in einer stillen Ecke aller Kaufhof-Filialen richtete sich der „Beat-Shop“ ein. Styling von der Stange, das gab’s auch bald in Karstadts Abteilung Junge Mode“ oder beim „Twen-Shop“ von C & A. Die Verkaufsnische für angeflippte Jugendliche war zu jener Zeit nicht etwa weise VorSchworen Run O.M.C, in der Frühphase noch auf die drei „Adidas“-Streifen, hüpft der Hip-Hop-Jünger heute lieber zeitgemäß im „Converse“-Rhythmus. Alien-Michael Jackson übt seinen Moonwalk am liebsten auf „L.A. Gear“-Sohlen, „Nike“ und „Reebok“ joggen hinterher.

aussieht findiger Marktstrategen, sondern bereits die logische Reaktion auf starke Tatsachen. 1967 waren die 15- bis 19jährigen mit anteiligen 60% die stärkste Kaufkraft in Sachen Mode hierzulande.

Zielgruppe Jugend: der Marktfak tor war damals nur eine logische Folge auf die tatsächlich gesamtgesellschaftliche Umwälzung, die das erste Jahrzehnt der elektrischen Gitarren mit sich brachte. „Weltmacht Jugend“

wurden Trendgeschichten damal betitelt und das amerikanische Ma gazin „Time“ kürte die Generation der unter 25jährigen zur „Persönlichkeit des Jahres“. Kein Wunder, daß der Blick der Moderedakteure und -macher eher in London’s Carnaby Street hängenblieb als mit hochgereckter Nase weiter durch Saint-Germain-des-Pres zu stolzieren. Die Trendmeile der späten Sechziger hielt für jeden Fan das richtige Outfit bereit, späte Beatniks, frühe Psychedelia, Lack, Leder, Flower Power — Musterkataloge waren Plattencover und Musikmagazine.

Damals war die Gangart noch klar: All die Jaggers und Joplins der heilen Revoluzzerwelt überschritten Grenzen, mit ihrer Musik, mit ihrem Auftreten und eben mit ihrer Kleidung. Einziger Maßstab: der eigene Kopf. Und wenn hinter den Rüschen-, Samt- und Batikkompositionen, Silberstiefeln und Kajalstrichen eine andere Ideologie als die Freiheit stand, dann höchstens noch eine Art versponnenes Romantikertum im Märchenland von Liebe, Frieden und Glückseligkeit, mit der einen oder anderen Droge garniert. Auch wenn die Konfektionsschneider schon damals redlich bemüht waren zu liefern, was der Freigeist trug, folgten sie damit nur den Bedürfnissen einer jugendlichen Masse, für die vielmehr die verbindende Idee zählte, die Farbe von Jimi Hendrix Stirnband.

Der Hippie-Chic hat Tradition: Little Steven (o.) erkor die Errol Flynn-Variante buntgedruckter Indientücher als Erster zum eingeschworenen Markenzeichen und war seither nie mehr barhäuptig gesehen. Mittlerweile zähmt bald jeder zottige Musiker die wallende Haarpracht mit dem verwegenen Knoten, und das quer durch den Sound-Garten von Axl Rose (I.) bis zu Englands neuem „Teenie-Traum Gerardo („In letzter Zeit nehme ich nur noch Seidentücher.“). Klar, daß der Look von Freiheit und Abenteuer auf keiner Modebeilage (u.) fehlen darf.

Irgendwann war es genug mit dem Friedensgedöns. aber vielleicht haben sich das damals auch nur Mr. McLaren und Vivienne Westwood gedacht. Oder es war einfach die schlicht logische Konsequenz, einer Gesellschaft, die niemals adäquat auf monumentale Friedenschöre reagiert hat, endlich mit der nötigen Aggressivität zu begegnen. Ob der Punk der Mittsiebziger tatsächlich von der Straße kam oder nicht, im Duo McLaren/Westwood hatte der neue Antitrend zwei Kreativdirektoren gefunden, die die Zeichen der fortschreitenden Zeit hervorragend und äußerst gewinnbringend erkannten. „Let It Rock“ hieß in frühen Jahren bezeichnenderweise der Laden auf der Londoner Kings Road, in dem Malcolm McLaren und Vivienne Westwood seit Anfang der siebziger Jahre ihre selbstgenähten Modeideen verkauften. Die beste Modeidee war schließlich und endlich einer McLarens Stammkunden im 1974 umbenannten „Sex“: John Lydon. Jede Videothek hat den Rest der Geschichte heute im Regal stehen. „The Great Rock ’n‘ Roll Swindle“ war das erste großangelegte Image-Styling der Musikgeschichte. Hauptfaktor: Schmuck und Textilien. Und die Heimstadt der Pistols auf der Kings Road nannte sich prompt „Seditionaires“, verkaufte die Band und das Outfit dazu. Und manches in Erinnerung an durchbohrte Backen- und Nasenternde Elternteil, das vielleicht gar die beschmierte Lederjacke auf dem eigenen Cordsofa als Zerstörung seines ganzen Wertesystems empfand, würde nur ungläubig den Kopf schütteln bei dem lakonischen Kommentar einer Rockgeschichte aus dem ^^ Jahr 1986: ^ „Punk startete ab Finte — ein Blitzen in Male om McLarens Auge, eine Möglichkeit, die Musikbranche zu erschüttern und ein bißchen Wirbel zu machen.* Und Punk ist das beste Beispiel dafür, wie gut das Gesamtkonzept Pop funktionieren kann, wenn man zur richtigen Zeit mit der richtigen Idee am richtigen Ort ist. Musik- und Weltfrust. Aggression und Arbeitslosigkeit waren der richtige Nährboden für eine massive Attacke. Zerrissene T-Shirts, struppige Haare. Springerstiefel an den Füßen und Sicherheitsnadeln im Gesicht die richtige Uniform, um all die Wut gar nicht erst verbal artikulieren zu müssen. Und die Verbreitung des Verweigerungslooks setzte sich schneller fort als die angesagten Bands Gitarre spielen lernen konnten. Als der Punk damals in deutschen Dörfern ankam, gab es in jedem Souvenierladen der Großstadt schon Rasierklingen als Ohrclip für Friseusen auf Urlaub. Und tatsächlich hatte ausgerechnet der Punk, nach Abklingen der Schocksymptome in der bürgerlichen Gesellschaft, mehr nachhaltige Wirkung auf globale Trends als je eine andere Musikrichtung zuvor. Kurzhaartrends im Brigitte-Look, unordentlich-leger in Form gebracht mit Tonnen von Wetgel und Haarlack, wie sie ganze U-Bahnzüge voll Frauen fast die gesamten Achtziger trugen, stoppelkurze Damenköpfe von Brigitte Nielsen bis Rita Süßmuth und natürlich Fürstin Gloria von Thurn und Taxis‘ Farborgien zur Frühstücksunterhaltung der Bildzeitungsleser gehen letztendlich auf Johnny Rotten und Konsorten zurück. Zehn Jahre Schwarz sind nichts anderes als Spätfolgen der „No Future“-Kids. Und mit dem letzten Mohikaner im Irokesenlook grüßt dafür heute Familie Müller auf London-Trip per Postkarte die herzschwache Erbtante in Oberammergau.

„Musik spricht zuerst mit dem Körper und dann mit dem Kopf, “ die simple Wahrheit trifft den Punkt. Und eben dort treffen sich Mode und Musik. Madonna war eine der Ersten, die in den frühen Achtzigern

die klingende Zweieinigkeit von Styling und Sound inszenierte. „Zurück zur geballten Weiblichkeit“ war die Unterzeile zu Wäschelook und Spitzenröcken, dazu ein Schleifchen ins Haar, und als I-Tüpfelchen der domestizierten Frivolität baumelten ein paar Kruzifixe um den schlanken Hals der neuen Heldin. Gerade richtig, um pubertierenden Mädels die ersten Schritte zum erwachenden Selbstbewußtsein zu weisen.

Und alle spielten mit. weil es so einfach geht, sich vorzustellen mit Korsage und Kunstfaserspitze Madonnas Sex gleich mitzukaufen. Doch nicht nur das, auch die wahren Ladys konnten bei Madonnas Drüber sehen, was schon alle Männer als Drunter immer schon mehr schätzten als sportliche Baumwoll-BH’s. Und so landeten Mitte der Achtziger die lässig bequemen Streifenkombinationen in der Altkleidersammlung, und Madame en Vogue trug wieder Spitzen aus Samt und Seide. Ernsthafte Modechronisten schreiben die neue Verführerwelle im weiblichen Wäscheschrank ohne Zögern auf die Fahne der singenden Trendsetterin aus Michigan. Die Modemasche der Madonna ist beim Original mittlerweile natürlich einem exklusiveren Geschmack gewichen. Statt Straßenfummel zur Fangarderobe zu stilisieren, ließ Madonna zur letzten LP und Tour die perfekte Paßform zum neuen Produkt von Modepapst Jean-Paul Gaultier höchstpersönlich designen.

Ein Image ist für den Superstar der Neunziger schon lange nicht mehr genug, und Madonna ist, wie allen Gazetten der Welt in regelmäßigen Abständen hinlänglich zu entnehmen ist, beileibe nicht die einzige, die jede Platte mit einer neuen Garderobe feiert. Meister Prince unterhält seit Jahren exklusiv eine eigene Kostümbildnerin in den geheiligten Hallen von Paisiey Park, die unlängst in der US-Presse schon geheimnisvolle Reden zur neuen Robe des Prinzen halten durfte: „Wir werden nostalgische und traditionelle Grundelemente mit futuristischen Details kombinieren. “ Seither mutmaßt der halbe Kontinent, wie der kleine Mann aus Minneapolis, der sein Modediktat („Colour you peach and black“) bei der vorletzten Tour schon aufs Ticket drucken ließ, sich wohl dieses Mal zur vollen Größe herausputzen wird. Kollege Michael Jackson geht’s nicht anders: Madonnas Vorschlag, dem Herrn ein neues Outfit zu verpassen, brachte Modeschöpfer der ganzen Welt auf den Plan.

Das Jungvolk in der Fußgängerzone kann damit nur noch wenig anfangen. „Stil und Mode kommen immer von der Straße“, wußte Mark Knopfler Mitte der Achtziger. Möglicherweise, doch haben die Neunziger lukrative Wege gefunden, die Straße viel schneller als früher in die Köpfe kleiner Käufer einzupflanzen. Weg vom Original, hin zur idealen Verwertbarkeit mit der exakt kalkulierten Kombination aus Idol und Identifikation. Milli Vanilli’s angeklebte Rasta-Zöpfchen, New Kids weiß gewaschene Version New Yorker Ghetto-Kultur oder das Minimalmaß ungezähmter Wildheit, das kunstvoll zerrissene Löcherjeans den glatt gestriegelten Köpfen der Bros-Brüder geben, sind nur Zitate aus der Gesamtkollektion einer über dreißigjährigen Rockgeschichte. Zum Markenzeichen gemacht, um Massenhysterie geschickt in wägbare Bahnen zu leiten.

„We dance the greatest and we dress the latest“, sang ein Bobby Rydell schon in den frühen Sechzigern — die Modehymne pfeift heut‘ jeder mit: Kaufhäuser und Kataloge reagieren in Windeseile auf megamäßige Plattenumsätze, verscheuern breitschultrige Baseballjacken, grell-bunte Cat-Suits und schwarz-glänzende Plastikfummel mit Posen und Modellen, die denen der Stars zum Verwechseln ähnlich sehen. Nur MC Hammer hat sich die Heißluftballons, die er an millionenschwe- , ren Beinen trägt, selber ausge-I dacht: „Als ich begann ins Rap-1 Geschäft einzusteigen, habe ich mich kleidungsmäßig total angepaßt. Man mußte diese Uniform tragen: Trainingsanzüge, Tennisschuhe, Goldketten etc. Aber dann habe ich mir gesagt:

,Hey, das ist überhaupt nicht mein Ding. Das ist nicht mein Image.‘ Also habe ich angefangen, meine eigenen Disco-Klamotten, die ich immer trug, wenn ich abends ausging, wieder auszugraben. Heute, mische ich alles, was mir gefällt. Ich bin ein Modemann, ganz klar. „

Auf dem Kleidermarkt hat sich der vergoldete Chart-Rapper damit noch nicht durchgesetzt, vielleicht hat er deswegen hier das letzte Wort: „Die inneren Werte und der Geist der Musik sind sowieso das Wichtigste. Ich schlafe immer nackt, und so möchte ich auch begruben werden.“

Im richtigen Leben vielleicht, im Plattenregal wohl nicht.