Die Rückkehr des Freischwimmers


lDe Deutschen lieben ihren I Dave Gahan“, diagnostizierte I Victor Indrizzo, Drummer in I der Solo-Band des Depeche-Mode-Sängers, Mitte Juli im Tourtagebuch auf der Website www.davegahan.com. Gahan und seine vierköpfige Band hatten gerade den Europa-Teil ihrer Welttournee hinter sich gebracht, mit Auftritten bei Rock am Ring/im Park, in Berlin, Leipzig und Hamburg, die so triumphal und von den Fans umjubelt verlaufen waren, wie man das beim neugierig erwarteten Alleingang des kultisch, ikonisch verehrten Frontmannes einer – auch und vor allem hierzulande – kultisch, ikonisch verehrten Riesenband hatte erwarten dürfen. Wenn auch vielleicht nicht unbedingt erwartet hatte: Gahan selbst war den ersten Auftritten nervös entgegengangen.

PAPER MONSTERS, seinSolo De büt mit selbst geschriebenen Songs nach 22 Jahren als Interpret der Kompositionen von Depeche-Mode-Musikdirektor Martin Gore, war und ist für Gahan eine persönliche Angelegenheit von erheblicher Tragweite, seine Emanzipation, der künstlerische Befreiungsschlag, der so lange in ihm gebrodelt hatte, wie er in ungewöhnlich offenherzigen Interviews (siehe etwa MUSIKEX-PRESS 6/03] zur Veröffentlichung des Albums im Frühjahr erläuterte. Das Abstecken des eigenen Terrains, das Heraustreten aus einem künstlerischen Schatten, das selbstbewusste Einfordern von Anerkennung als nächster Schritt auf dem Weg des seit knapp acht Jahren cleanen Ex-Junkies zu sich“selbst: Die Reaktionen auf das Album waren erfreut bis entzückt ausgefallen [..zwei Jahre nach excitcr das bessere Depeche-Mode-Album „schrieb etwa der Kollege Koch hier im ME]; nun hing für Gahan viel von den Reaktionen ab, die die Konzerte ernten würden. Und es war entwaffnend sympathisch anzusehen Anfang Juni, beim ersten Deutschland-Auftritt bei Rock Am Ring, wie die Anspannung nach und nach von Gahan abfiel. Nicht, dass man ihm die oberflächlich angesehen hätte, schließlich hat man es hier mit einem Show-Profi (hat jemand“.charismatisch“ gesagt?Okay, okay] zu tun, der mit seinem Hüftschwung über die letzten zwei Jahrzehnte mehr Fans in die Ohnmacht befördert hat als mancher Rock-Gott Plattenkäufer verzeichnen kann. Aber etwas wirkte anders an diesem Abend. Und so flink sich Gahan auch seiner Weste entledigte (bereits nach Song eins] um sich den Rest des Abends mit nacktem Oberkörper zu präsentieren, so derwischig er vom ersten Moment an über die Bühne fegte, so lizard-königlich ersieh in Posen warf und so schwindelerregend und potentiell lebensgefährlich er seinen MikroStänder herumwirbelte – es war dieses Lächeln, das immer häufiger und immer strahlender auf dem verschwitzten Gesicht stand, das verriet, was für ein inneres Schützenfest der Abend dem ja durchaus erfolgsgewöhnten 41-jährigen bereitete. Hatte man Gahan bei den Depeche-Mode-Konzerten in den letzten Jahren je so befreit lachen sehen?“.Die Leute haben die ganzen Texte von paper Monsters mitgesungen „, freute sich Victor Indrizzo später im Internet-Tagebuch.

Indrizzo spielt Schlagzeug

bei drei Songs auf paper Monsters, das ansonsten weitestgehend allein von Gahan und seinem alten Freund und jetzt kongenialen Partner, Multiinstrumentalist Knox Chandler. eingespielt wurde. Energiebolzen Chandler, der schon auf Arbeiten mit – um

haucht Gahans Songs drahtiges Leben ein, ob eindringlichen Balladen wie „A Little Piece“ und „Stay“ oder schwül-bluesig pumpenden Rockern wie“.Bottle Living“ oder „Dirty Sticky Floors“. Aber eben auch – Gahan ist ja nicht hier, um sich zu verleugnen, und weiß vor allem, wie man einem Publikum Zucker gibt – einer großzügigen Auswahl von Depeche-Mode-Klassikern, die von den Fans am Ring dann freilich am enthusiastischsten gefeiert wurden:..AQuestion Of Time“ (mit Jones als Martin-Gore-Stimmdouble I,“.Walking In My Shoes“ wuchtig donnernde Rock-Trimmungen von „Personal Jesus“, ,.l Feel You“ und „Never Let Me Down Again“ und eine auf Mini-Harmonium und Kinderschlagzeug begleitete Akustik-Version von „EnjoyTheSilence“.

Wenige Wochen nach diesen ersten Konzerten gab Gahans Management die nun für November anstehenden Tourdaten heraus: Wegen des großen Erfolges bringt Gahan seine Papiermonster noch mal nach Europa, darunter für neun Konzerte nach Deutschland und Österreich. Fans, die das mit gemischten Gefühlen sehen, weil sie sich um den Fortbestand von Depeche Mode sorgen, kann Anne Berning, Marketing-Chefin von Mute Deutschland und Kennerin der Band, beruhigen. Eshabe..om4nfang des Gahon-Projektes schlechte Vibes gegeben“, räumt sie mit Blick auf einige Interviews Gahans ein, „weil Dave wirklich eine ziemlich dicke Lippe riskiert hat. Fletch (Andy Fletcher] und Martin IGore] fanden das nicht so cool. „Jetzt seien die meisten Irritationen ausgeräumt; Gahan habe sich etwa bei Fletcher zerknirscht für seine Äußerungen im englischen Magazin Q entschuldigt, wo er launig darüber spekuliert hatte, ob Fletchers Keyboards bei Depeche-Mode-Konzerten überhaupt eingestöpselt seien. Berning ist zuversichtlich, dass die Band sich“.bald nächstes Jahr“ an die Arbeiten zu einem neuen Album machen wird. Die dann, so sagt sie voraus, wohl eine andere Qualität haben werden als früher: „offener, Band-orientierter“. Vielleicht erweist sich Dave Gahans künstlerischer Freischwimmer ja sogar als brauchbarer Arschtritt für die zuletzt etwas tranig gewordenen Depeche Mode. Das passt doch alles ganz wunderbar.

www.davegahan.com