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„Dogs of Berlin“ bei Netflix: Rache für Peer Kusmagk


Auf dem Papier möchte die zweite deutsche Netflix-Serie Konflikte in der deutschen Hauptstadt beleuchten. Aber anscheinend taugen Nazis, Clans und rassistische Polizisten nur für ruppige Unterhaltung ohne Realitätsanspruch.

Schade eigentlich, dass es die zweite deutsche Serie von Netflix nicht schon 2013 gab. Peer Kusmagk, ehemals Moderator und mittlerweile C-Promi, hätte sie dringend gebrauchen können. Kusmagk saß damals nämlich im Studio von Markus Lanz und ließ sich von Katrin Sass zur Sau machen, weil er im Dschungelcamp war. „Sie setzen sich hier hin und sagen: ‚Ich fresse Schwänze, aber erhobenen Hauptes“, brüllte eine merkwürdig davon aufgebrachte Sass (hier können Sie die Szene sehen). Kusmagk wurde immer kleiner, das passende Gegenargument war damals nur eine Idee im Kopf von Regisseur Christian Alvart. Heute könnte er der Furie mit einem smarten Siegerlächeln gegenübersitzen: „Ich war zwar im Dschungelcamp, dafür warst du aber in ‚Dogs of Berlin‘!“

Vorurteile und Geschmacklosigkeiten

Katrin Sass – und vielleicht ist das ja irgendwie Karma – hat sich in eine Produktion hereinquatschen lassen, die in puncto Peinlichkeit mit jedem Reality-TV-Format der RTL-Gruppe mithalten kann. In einen Totalausfall, den man dem Streaming-Riesen Netflix eigentlich nicht zugetraut hätte. Immerhin lief mit „Dark“ 2017 zumindest eine ziemlich anständige in Deutschland produzierte Serie an, andere zuletzt angekündigte Projekte (zum Beispiel „Die Welle“) klingen ebenfalls vielversprechend. „Dogs of Berlin“ ist nun allerdings ein Fehlschlag, in dem über Stunden Vorurteile und Geschmacklosigkeiten aneinandergereiht werden.

https://www.youtube.com/watch?v=uzcDBHjHePk

„Dogs of Berlin“ zeichnet ein Bild von der Hauptstadt, das maximal abstoßend und menschenverachtend ist. Zusammengefasst sind in Marzahn alle Leute Nazis oder Asis, in Neukölln und Kreuzberg alle Migranten und deren Kinder mit Clans in Kontakt. In diese Schubladenwelt kracht ein Mord, ein deutschtürkischer Fußballer wird tot aufgefunden, dem Spielmacher fehlt sogar ein Finger. Die Leiche der offensichtlichen Özil-Kopie wird in der Nacht vor dem brisanten Länderspiel Deutschland gegen Türkei im Berliner Olympiastadion entdeckt, die politische Sprengkraft der Tat erklärt sich von selbst.

Ärgerlich, dass Christian Alvert sein gutes Ausgangsszenario nicht mit Geduld und Geschick ausspielt. Denn thematisch hätte „Dogs of Berlin“ ein guter Nachklapp zur Özil-Debatte im Sommer 2018 werden können, selbst wenn die Serie bereits vorher abgedreht war. Hier gibt es aber kein Interesse daran, Rassismus-Debatten und Brennpunkte in Berlin emphatisch zu erkunden. In „Dogs of Berlin“ wird mit Vorliebe überspitzt und aufeinander gehetzt. Das beginnt schon bei den zwei Ermittlern: Felix Kramer (als Kurt Grimmer) spielt einen Ex-Nazi, der seine Frau betrügt, die Aufklärung des Mordfalls behindert und den Tod des Fußballers für Wettmanipulationen nutzt.

Beleidigen, schlagen, anpinkeln

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Fahri Yardim spielt Erol Birkan, der dem Clan-Milieu entkam, jetzt Superpolizist und obendrein offen homosexuell ist. Beim Kennenlernen wird er von seinem neuen Kollegen direkt als „Backenspreizer“, „Kolbenpolierer“ und „Schwuchtel“ beschimpft – der Polizeichef steht daneben und sagt nichts. Die Szene ist bezeichnend für die gesamte Serie: Lächerlich überspitzte Figuren sagen die extremsten und ruppigsten Dinge, logische Konsequenzen bleiben aus. Christian Alvart, der übrigens auch die Tschiller-Tatorte mit Til Schweiger gedreht und laut diesem richtig viel Ahnung von der „Craft“ hat, reiht Klischee an Klischee, hanebüchenen Dialog an hanebüchenen Dialog.

Man spürt förmlich, dass hier „Hollywood“ gedreht werden soll. Man muss „Dogs of Berlin“ lassen, dass Alvart die Stadt in schönen Bildern einfängt, ambitionierte Sets einrichtet und fast Besetzungs-Coups zu vermelden hätte. Doch die Hauptdarsteller Kramer und Yardim fühlen sich verheizt an, gehen durch eigene Dialogzeilen („Musik ist meine Droge“) oder bizarre Nebenfiguren unter. Der eigentlich vielversprechende Kriminalfall bleibt kaum im Gedächtnis, stattdessen brennen sich groteske Nebenschauplätze ein. Wenn eine Ladenbesitzerin ihre Angestellte (Jasna Fritzi Bauer) feuert, weil diese aus der Kasse geklaut hat, dann schlägt diese nicht nur zu, sondern pinkelt ihrer Chefin anschließend auch auf den Kopf. Eine einprägsame Szene, leider.

„Dogs of Berlin“ stellt ein Länderspiel nach. Versuchsweise zumindest.

Der Anspruch von der stilsicheren Inszenierung stirbt dann auch irgendwann, genauer gesagt in der dritten Episode, wenn Christian Alvart das wichtige Fußballspiel zwischen Deutschland und der Türkei zeigt. Das Olympiastadion wurde extra für den Dreh angemietet, etliche Statisten angeheuert, nahezu alle Schauspieler in VIP-Logen verfrachtet, um dort kriminelle Deals abzuwickeln oder schicksalshafte Entscheidungen zu treffen. Jegliche Dramaturgie verpufft allerdings dadurch, dass das Geschehen auf dem Rasen nicht wie ein echtes Fußballspiel aussieht, sondern eher wie eine Mischung aus Playstation-Publikum und diesen unsäglichen Fußballspiel-Nachbildungen, die man aus den Werbespots von „Head and Shoulders“ kennt.

Hannah Herzsprung spielt Trinity Sommer

Nach dem Fußballspiel folgt „Dogs of Berlin“ einem jungen Nationalspieler, der in eine Art Safe House für Sportler unterschlüpft, weil er von den bösen Medien und rassistischen Fans angefeindet wird. Hat er sich von der Wettmafia kaufen lassen? Ungewiss, aber Christian Alvart stellt ihm eine Figur namens Trinity Sommer (Hannah Herzsprung) zur Seite, die ihm helfen wird. Sie gibt sich erst als Prostituierte aus, outet sich dann allerdings als „Rechtsanwältin und Spezialistin für besondere Situationen“. Besonders schlimm: Dies alles geschieht ohne Ironie, „Dogs of Berlin“ nimmt sich selbst todernst.

Mit einer gewissen Zielstrebigkeit zerstört Alvart jede seiner Szenen durch eine absurde Figur, einen deplatzierten Satz, einen unnötig lustvollen Gewaltausbruch. Mal schimpft Katrin Sass als roboterhafte Nazi-Oma über die „Schmutzfüße“ in Deutschland, mal scheitert Rap-Influencer „Rooz“ beim Versuch, im Hintergrund der Szene auch nur einen glaubwürdigen Satz zu sagen. Dass Rooz kein Schauspieler ist, geschenkt. Sass allerdings hätte man mehr Geschick bei der Rollenwahl zugetraut, Sätze wie „Sohn, was sagt mein anderer Sohn“ und die schablonenhaften Beleidigungen von Ausländern („diese Kuffnucken“) lassen ihre grausame Rassistin Eva (weil Braun) zur Parodie verkommen.

In Gänze scheitert „Dogs of Berlin“ daran, dass es tatsächlich so etwas wie reales Leben verkaufen möchte. In einer Szene sitzen zwei junge Männer auf dem Dach des Clubs Lido in Kreuzberg. „Hier ist Berlin noch real“, sagt einer von ihnen. Nicht im Bild ist das Schild des Klatschportals „Promiflash“. Das Büro ist ziemlich genau auf der anderen Straßenseite, am Wochenende wird die Gegend zuverlässig von Party-Touristen geflutet.

„Dogs of Berlin“ läuft seit dem 7. Dezember exklusiv auf Netflix. Der Streaming-Anbieter stellt direkt alle Episoden der ersten Staffel in die Mediathek. Die erste Staffel umfasst 10 Folgen. 

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