Review

Doku über Popstar M.I.A.: „Wenn du jetzt etwas sagst, wirst du im Wald vergewaltigt“


M.I.A.s langjähriger Freund Stephen Loveridge zeigt die ungewöhnlichen Methoden, mit denen die Künstlerin Musik macht, dazu ihren Kampf um Aufmerksamkeit für den Konflikt in Sri Lanka, bei dem Zehntausende ihr Leben ließen. Auf der Berlinale äußert sich die Künstlerin auch selbst zu „Matangi/Maya/M.I.A.“.

Die besten Dokus sind die, in der Filmemacher aus Neugierde arbeiten, mit der Kamera draufhalten und kritisch Fragen stellen, weil sie selbst etwas Unerwartetes und Neues über ihr Thema erfahren möchten. Um das bisherige Leben und Schaffen von Mathangi „Maya“ Arulpragasam, besser bekannt als Popstar M.I.A., auszuleuchten, hätte aus diesem Grund vielleicht jemand anderes Regie führen sollen als Stephen Loveridge. Loveridge weiß nämlich seit Jahren alles über M.I.A., kennt sie seit dem gemeinsamen Studium, ist ein enger Freund der Künstlerin und Aktivistin. Und so will er in „Matangi/Maya/M.I.A.“ nichts über sie erfahren, sondert schneidet eine 90-minütige Hymne. Sehenswert ist die Doku trotzdem, weil M.I.A.s Karriere solche Lobhudeleien schlichtweg auch verdient hat.

Erst Flüchtling, dann Popstar

Die fundierten Kontra-Stimmen zu einigen Entscheidungen Arulpragasams  sucht man zwar vergeblich, dafür lässt „Matangi/Maya/M.I.A.“ weit in die Vergangenheit der 42-Jährigen blicken. Und über die definiert M.I.A. ihre gesamte Kunst und jede ihrer Aussagen.

M.I.A. steht für Missing in Action, was sich auf ihren Vater bezieht. Als Arulpragasam mit neun Jahren aus Sri Lanka nach London zog, kam sie mit ihrer Mutter und den Geschwistern als Geflüchtete. In ihrer Heimat spitzte sich derweil der Konflikt zwischen der Regierung und den Tamilen zu, ihr Vater kämpfte als Rebell in dem blutigen Konflikt und wollte seiner Familie nicht nach England folgen. Erst ein Jahrzehnt später sah M.I.A. ihn wieder – und hielt direkt mit der Kamera drauf.

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Arulpragasam wollte schon immer Künstlerin sein – und ihr Drang nach Aufmerksamkeit ist in manchen Momenten fast schmerzhaft anzusehen. Wenn sie 2001 bei ihrer ersten und bisher einzigen Rückkehr nach Sri Lanka direkt ihre Großmutter, der vom Militär ein Auge ausgeschossen wurde, zum Interview vor die Kamera ziehen will. Und sich später etwas pietätlos vor ihrer Familie mit den schlimmen Erinnerungen aus ihrer Kindheit profilieren will, obwohl ein Cousin vor ihr sitzt, der es nicht aus dem Land geschafft hat und permanent in diesem Konflikt lebt. Vorwerfen kann man Arulpragasam ihren Drang zur Verknüpfung von kulturellem und politischen Erbe mit Kunst und Karriere zwar nicht, einen Beigeschmack hinterlässt er in manchen Szenen dennoch.

Der skandalöse Mittelfinger

Genauso wie Teile der Doku, in der Loveridge primär lächerliche Artikel und TV-Schnipsel über seine Freundin zusammenschneidet, in denen sie dann doch mal kritisiert wird. Als sie zum Beispiel 2012 bei Madonnas „Super Bowl“-Halbzeitshow den Mittelfinger in die Kameras hielt, löste dies einen kleinen Skandal aus. Die Künstlerin feixt im Backstage über den Vorfall, später rechtfertigt sie die Geste eher schlecht als recht. Loveridge springt ihr zur Seite und montiert ausschließlich die dümmsten Aussagen von US-Nachrichtensprechern zu dem Vorfall in den Film. Soll ja keiner denken, dass eine M.I.A. mal etwas Unnötiges getan hat.

Beim Interview zum Film sagt die Künstlerin selbst, dass sie diesen Teil gern rausgeschnitten hätte. Durfte sie aber nicht, denn sie hat ihrem Freund zwar Material und Nähe beim Filmen zur Verfügung gestellt, den Schnittraum durfte sie jedoch nicht betreten. „Meiner Meinung nach ist die Doku noch nicht fertig“, wiederholt M.I.A. mehrfach. Loveridge sitzt neben ihr und kann darüber nur lächeln, er weiß, dass sie sich maximal punktuell beschweren kann. Denn die wichtigsten Aspekte vom Gesamtwerk M.I.A.s kommen genau in der richtigen Dringlichkeit rüber: die ungewöhnlichen Methoden, mit der sie ihre Musik macht, dazu der Kampf um Aufmerksamkeit für den Konflikt in Sri Lanka, bei dem Zehntausende ihr Leben ließen.

„Wenn du jetzt etwas sagst, ziehen sie dich in den Wald und vergewaltigen dich.“

Immer wieder spult „Matangi/Maya/M.I.A.“ zur bisher einzigen Rückkehr der Musikerin in ihre Heimat 2001 zurück. Als sie dort mit ihrer Mutter im Bus war, wurde M.I.A. von Soldaten bedrängt. Kurz darauf macht sie die Kamera an und erzählt, dass ihre Mutter ihr in der Situation Widerworte verboten hat: „Wenn du jetzt etwas sagst, ziehen sie dich in den Wald und vergewaltigen dich.“ Es ist ein augenöffnender Moment, der die Wut und den Willen M.I.A.s erklärt, die immer wieder in Interviews auf Sexismus und Politik zurückkommt, immer auf Krisen blickt, auch wenn sie am Abend zuvor auf einem Roten Teppich war. Die Dokumentation sollten sich vor allem jene anschauen, die M.I.A. dafür kritisieren, dass sie sich als reicher Popstar die Probleme verarmter und unterdrückter Völker aneignen möchte.

Doku statt neuem Album

Poster zu „Matangi / Maya / M.I.A.“

Eine Frage, die bei der Berlinale nicht wirklich von Sängerin und Regisseur beantwortet werden kann: Warum kommt dieser Film genau jetzt? Immerhin wurde schon 2013 ein Teaser geleaked. Loveridge sagt, dass die Flüchtlingskrise, Trump und der Brexit Auslöser für die Finalisierung des Films gewesen seien, deshalb beginnt und endet „Matangi/Maya/M.I.A.“ auch mit dem Videodreh zum Pro-Flüchtlings-Song „Borders“.

Es ist aber auch nicht unwahrscheinlich, dass M.I.A. nach aufreibenden Jahren etwas müde ist. Aktuell hält sie sich in den sozialen Netzwerken zurück, ein neues Album will sie wohl nicht mehr aufnehmen – was sie in Berlin mehr oder weniger bestätigt. Zwar will sie der Musik weiterhin treu bleiben, sucht aber nach anderen Möglichkeiten und Konzepten. „Matangi/Maya/M.I.A.“ zeigt die Anfänge ihrer Karriere, die Anfänge ihrer Suche nach Identität und ihres politischen Engagements. Und er scheint gleichzeitig das Ende einer Phase zu sein, die sich nicht genau identifizieren lässt. Wie denn auch, bei drei Persönlichkeiten, die schließlich auch den Titel der Doku bilden.

Einen deutschen Starttermin hat die Dokumentation„Matangi/Maya/M.I.A.“ noch nicht, die Rechte werden gerade erst verhandelt. In Sri Lanka wird sie wahrscheinlich niemals laufen, da darin Teile einer anderen Dokumentation verwendet werden, die von der Regierung verboten wurde. M.I.A. ist nicht bereit, diesen Teil aus ihrem Film herauszukürzen – nachvollziehbar. 

Berlinale.de