Dr. Feelgood – Alle Kassen


Wo die Jungs von Dr. Feelgood aufkreuzen, räumen sie ab. So auch auf ihrer jüngsten Tour durch bundesdeutsche Lande. Aber das ist nichts Neues. Viel interessanter ist, daß die Jungs vor geraumer Zeit beim Zocken eine Schweinefarm im sonnigen Süden gewonnen haben. Vielleicht wäre ihnen eine Bierbrauerei oder gar ein Weinberg lieber gewesen, aberwie dem auch sei: Ein paarmal im Jahr beladen sie ihren Transporter mit reichlich Milk & Alcohol und dampfen ab ins spanische Inkognito.

In unserer Dr. Feelgood-Story Anfang des Jahres (vergl. Nr. 1 /80) entlarvten wir die Ungeheuerlichkeit, daß Englands Bier-Bar-Blues-Band Numero 1 im fernen Japan dem Saki-Genuß frönte. Vor der jüngsten Deutschlandtournee im Oktober tauchte dann die Information auf, daß die Jungs mittlerweile laufend zwischen ihrer Heimatinsel Canvey und dem spanischen Örtchen Almeria hin und her pendelten. Denn – man höre und staune – beim Zocken hätten sie sage und schreibe eine Schweinefarm gewonnen. Lee Brilleaux (Gesang/Mundharmonika), John Sparks (Bass), The Big Figure (Schlagzeug) und Gypie Mayo (Gitarre) als Spezialisten für Schweinisches? Wie verhält sich das denn nun mit den rosigen Säuen, Sparko? „Na, so einfach ist das gar nicht zu erklären, vor allem von der geschäftlichen Seite her. Ja, wir haben die Farm tatsächlich gewonnen. Aber sie gehört uns nicht zu hundert Prozent. Um die Schweine kümmern wir uns nicht. Das wird alles für uns verwaltet. Das Tolle ist nur, wenn wir jetzt nach Spanien fahren, brauchen wir nicht mehr in ein Hotel zu gehen, sondern halten uns auf unserem eigenen Besitz auf, können uns also in unseren eigenen vier Wänden bewegen.“

Wie alle Briten, kamen auch die Feelgoods einst als Touristen in den Süden, auf der Suche nach wolkenlosem Himmel, für wenigstens zwei, drei Wochen im Jahr. Die Eltern ihres heutigen Managers leben schon seit Jahren in Almeria und luden die Musiker eines Tages zum Ausspannen auf die Iberisehe Halbinsel ein. „Was uns sofort gefiel“, erinnert sich Sparko, „war, daß dies kein echter Touristenort ist. Und vor allem findest du dort auch kaum einen Engländer. Das ist einfach optimal zum Entspannen.“ Und wann immer sie Zeit haben, nehmen die Feelgoods nun diese Chance wahr.

Sie haben ein gutes Verhältnis zu den Spaniern im Ort. Von Mensch zu Mensch. Es dauerte lange, bis sich die Doktoren entschlossen, in ihrer zweiten Heimat ein Konzert zu geben.

Als sie es taten, wurde das Konzert zu einem echten, kulturellen Ereignis, wie überhaupt Konzerte in Spanien ihren ganz eigenen Charakter, ihr spezifisches Flair haben. Lee Brilleaux: „Die Spanier, wie auch die Portugiesen, betrachten solche Auftritte mehr als ein festliches Ereignis. Es ist eigentlich ganz egal, ob ein Gottesdienst auf dem Programm steht, ob man zu einem Stierkampf geht, oder ob Rock’n’Roll angesagt ist. Die ganze Familie ist unterwegs, von den Großeltern bis hin zu den Enkeln.“ Und selbst die Honorationen, allen voran der stolze und einflußreiche Bürgermeister von Almeria, ließen es sich nicht nehmen, beim Feelgood-Gig in der ersten Reihe mitzuswingen – wenn auch weit verhaltener und würdevoller als die restlichen Einwohner.

Zurück in den kühleren Norden… Mit A CASE OF THE SHAKES ist vor der Deutschlandtournee das neunte Feelgood-Album erschienen, seit sie ihren ersten Plattenvertrag anno ’74 unterschrieben und Anfang ’75 das Vinyl-Debüt DOWN BY THE JETTY veröffentlicht wurde. Ein Beweis dafür, daß Dr. Feelgood echte Arbeitstiere sind. Sie haben gar keine Zeit, sich Gedanken zu machen, ob sie nun als Künstler eingestuft werden wollen oder nicht. Sie fassen ihr ganzes Tun als Job auf. Und wenn überhaupt, dann folgen sie dabei nur der einen, Philosophie‘, der sie schon seit ihren Anfangstagen ’71/’72 treu geblieben sind: There’s the gig. And here we come. Rein in die Garderobe, Instrumente stimmen. Groß umziehen ist nicht. Längst hat sich zum Image entwickelt, was zu Zeiten, als die Band in ihrer Freizeit in den Pubs blueste, aus der Not zur Tugend geworden war. „Wir fuhren damals immer direkt nach der Arbeit nach London rein, um zu spielen. Und danach ging’s dann immer wieder direkt nach Hause. Also kamen wir zwangsläufig in unseren Arbeitsklamotten zu den Gigs. Hemd, Jacke, Weste, Hose mit Bügelfalte, gar im Anzug, wie Lee, der in einer Anwaltskanzlei arbeitete“, reagiert Figure auf die Frage nach dem KleiderImage der Feelgoods. „Und was wie anfangs gar nicht begreifen konnten, die Leute haben das akzeptiert.“ Die Medien-Schreiberlinge hatten daraufhin natürlich ein leichtes Spiel, daraus ein Image, einen Trend zu machen.

Also gut: rauf auf die Bühne, Gitarren eingestöpselt, vier vorgezählt, und ab geht die Post. „Best In The World“, ein nahtloser Übergang in „Who’s Winning“. Die Feelgoods müssen das Publikum erst gar nicht auffordern, sich von den berühmten vier Buchstaben zu erheben. Man hat es von selbst gescheckt, drängt zum Bühnenrand. „Java Blue“, der dritte neue Song, „Jumping From Love To Love“ – die Fans tanzen bereits und feiern die vier Musiker. „Thank you, Ladies and Gentle men“, macht Lee Brilleaux eine seiner kurzen angedeuteten Verbeugungen.

Figure leistet hinter seiner Schießbude konsequente Rhythmusarbeit, unkompliziert, einfach. Doch seine Mimik will glauben machen, er spiele die vertracktesten Figuren. Sparko greift in seine Baßsaiten mit der ihm eigenen Bierruhe. Nur die kleinen Äuglein blitzen zwischendurch pfiffig auf. Gypiean der Gitarre wirkt wie nach einer Elektroschockbehandlung. Nicht nur, weil ihm die Haare immer zu Berge stehen. Er ist das zweite Energiebündel neben dem nervigen Lee Brilleaux mit seinen abrupten, eckigen Bewegungen und seinen eindeutigen Aktionen mit Mikrophon und (überschäumender) Bierflasche. Ein Slowblues, ,Shotgun‘, bringt zu Beginn des letzten Showdrittels eine kurze Verschnaufpause, und (ausnahmsweise) mal ein Gitarrensolo über lange 24 Takte.

Ansonsten spielen Dr. Feelgood, was die Engländer to the point nennen. Ihr Freund, der umworbene Produzent und Musiker Nick Löwe (Rockpile), der A CASE OF THE SHAKES wieder produzierte, war da ganz eisern mit den Musikern. Gypie Mayo: „Wir dachten schon, unsere Kompositionen seien mit ihren knapp drei Minuten kurz. Aber Nick hat auch da noch den Rotstift angesetzt, hier ein Solo gestrichen, dort ein fade outgekürzt.“ Und Lee ergänzt: „Außerdem gibt es gar keinen Grund, die Songs übermäßig zu dehnen. Das, was wir zu sagen haben, läßt sich auch ohne weiteres in drei Strophen plus einem Solo dazwischen ausdrükken: 1. Das Mädchen ist wunderschön, 2. Sie ist nicht deins und 3. du willst sie trotzdem haben.“ – „Ja, wir singen nicht über Holocaust oder darüber, daß uns jede Minute soundsoviel Bomben auf den Kopf fallen könnten oder daß die Russen auf dem Vormarsch sind“, meint Big Figure. „Wir spielen seit eh und je Rhythm & Blues. Und diese Musik ist einfach, ehrlich und wahr.“ Lee: „Eigentlich bedeutet ein Auftritt doch nur, daß eine Band auf die Bühne geht, um Spaß zu haben, und dem Publikum Spaß zu bringen.“ Einfach, aber wahr.