Einstürzende Neubauten


Die Neubauten sind mit ihren Greatest Non-Hits noch nicht mal zur Hälfte durch, da ist Blixa Bargeld bereits ein halbes Dutzend Mal über die Bühne gerollt, hat den Mikroständer zu Boden geschmissen, seine Gitarre massakriert und jede Menge Geschrei abgelassen, das sich nahtlos in das mehrstimmige Gewimmer diverser Feedback-Quellen einfügt. N.U. Unruh, Virtuose am verstärkten Einkaufswagen, hat sein Instrument aus den Kulissen gerollt und mit Händen, Füßen. Schlagzeugstöcken und Metaliobjekten bearbeitet. F.M. Einheit, Drummer mit der Statur eines Grubenponys, ist am Bühnenrand auf- und abgetigert, hat finstere Blicke ins Publikum geworfen (Wer schaut zuerst weg?) und zwischendurch einen muskulösen Beat auf einem Stück

Wellblech gehämmert. Manchmal wünschte ich wirklich, diese Männer würden begreifen, daß sich Kraft auch erzeugen läßt, indem man Dinge zurückhält, aber andererseits wären ihre Gigs dann nicht mehr, was sie sind: eine Explosion, ein Spektakel, ein Ritual, eine furchterregende Freisetzung von Klängen, Wut und nackten Gefühlen, deren Wert eben gerade darin liegt, daß sie sich so radikal unterscheiden von den einstudierten Posen und hohlen Emotionen des Mainstream-Rock.

Daß es den Neubauten durch schiere Sturheit gelungen ist, sich eine ansehnliche Fangemeinde aufzubauen, ist eines der kleinen Wunder der Rockgeschichte. Wer hätte gedacht, daß diese Band, seinerzeit nichts weiter als der extremste Außenposten der deutschen New Wave, einmal in solch großen Hallen spielen würde? Fast alle Punkbands haben, modisch-revolutionär, von der „Neuerfindung“ der Musik gesprochen, aber die Neubauten sind die einzige Gruppe, die etwas Vergleichbares zuwege gebracht haben—die Musik in Trümmer gelegt und etwas Neues haben entstehen lassen, „bei offenem Fenster“ komponiert und dabei urbane Klange, den Rhythmus der deutschen Sprache, viel gnadenlose Verzerrung und den Schrei als elementare Bausteine verwendet haben.

Das schaurig-schöne Doppelgetrommel auf diversem Alteisen von Unruh und Einheit, die jeder Bewegung des charismatischen Blixa folgen, erzeugt einen Mutanten-Swing, der mehr mitreißt, als man glauben sollte. Blixa führt zwar die Regie, aber alle Bestandteile dieser Musik sind unauflöslich miteinander verwoben; ohne Mark Chungs monströs-simplen Baß etwa wäre die Kraft der Band dahin. Vielleicht hat Chung ein besseres Gefühl für Timing als seine Kollegen. Er, der den größten Teil des Abends zwischen zwei Noten pendelt, startet in „Der Tod ist ein Dandy“ auf einmal zu einem brachialen Solo Marke „Verstärkertod“ durch, das selbst bei dieser Band, die einen immun gegen Gewalt machen kann, noch schokkiert. Ein erstaunlicher Moment.

Für mich lag die größte Intensität in den Augenblicken, die ein paar Punkte tiefer auf der Richter-Skala lagen: „Letztes Biest“, „Der Kuß“ (mit schöner Slide-Gitarre) und vor allem „Armenia“, dessen zeitlosem Pathos nicht einmal Blixas ironischer Text etwas anhaben kann.