Elton John: Pop-Picknick mit Elton John


Berlin. Stunden vor Konzertbeginn sind alle 20.000 Sitze der Waldbühne besetzt. Nachzüglern bleibt da nur der aufrechte Stand. Auf dem oberen Rang thronen die über 40jährigen, die Holzbänke mit Kissen gepolstert, das Fernglas stets in Griffnähe. Im Unterrang nehmen Menschen um die 30 Platz, die Herren in Hawaiihemden, die Damen in knappsitzenden Minis oder Shorts. Vor der Rampe schließlich tummeln sich das junge Gemüse und die beinharten Fans, die begeistert die Fäuste in die Luft recken, als der kleine Pop-Riese 15 Minuten zu früh (!) auf die Bühne stolziert, um mit „Don’t Let The Sun Go Down On Me“ den zweieinhalbstündigen Reigen zu eröffnen.

Praktisch ohne Gimmicks und Mätzchen bringt der Mann sein Publikum auf Touren. Während der untere Rang schon bei „I’m Still Standing“ aufspringt, braucht der Oberrang schon einen gestandenen Evergreen wie „Rocket Man“, um sich von den gemütlichen Sitzen reißen zu lassen. Niemand stört sich daran, daß die Stimme von Captain Fantastic brüchig geworden ist und in den hohen Lagen ihren Dienst quittiert. Mit seiner neuen Haarpracht konnte er der Natur ein Schnippchen schlagen – die Zahl seiner 45 Lenze dagegen läßt sich operativ nun mal nicht senken.

Elton trägt’s mit Fassung und setzt auf Gesten statt Glanzleistungen. Verrenkte er früher seine Glieder bei Handständen, erhebt er sich heute nur noch kurz, um im Stehen auf die Tasten einzudreschen. Die Leute wissen, wies gemeint ist, und honorieren das Zeichen des guten Willens mit Schreien höflicher Verzückung. Nach „Mona Lisas and Mad Hatters I + II“ erhebt er sich erneut, allerdings aus einem anderen Grund: Ostentativ öffnet er die Dose eines bittersüßen Leichtgetränks. Der Sponsor soll sich halt auch freuen dürfen.

Während es im ersten Drittel des Abends noch recht flott zugeht, schickt der frisch bepflanzte Pilzkopf für den zweiten Teil die Backingband von der Bühne. Allein zum Klavier singt er seine mächtig melancholischen Weisen, die eine Flut der Gefühle auslösen: Paare nehmen sich in die Arme, so manche Träne der Rührung fließt. Nur selten, für Eltons Verhältnisse, kommt es zum Klamottenwechsel. Das rote Sakko tauscht die dickliche Diva gegen ein Tigermuster-Jackett – alles von Versace natürlich, ein Rest Extravaganz muß sein.

Der Schlußteil beginnt mit „Love Lies Bleeding In My Hand“, wofür wiederum seine siebenköpfige Band um Oldtimer Davey Johnstone (g) die Bühne betritt. Dann verläßt der Routinier ausnahmsweise seinen Schemel hinterm Piano, greift zum Mikro und schmettert mit „The Show Must Go On“ sein Tribute an Freddie Mercury ins Auditorium. Für zwei Zugaben kehrt er zurück auf die Bühne. „Candle In The Wind“ beendet schließlich den Auftritt. Seit über zwei Jahrzehnten im Geschäft, bietet Elton John ’92 weder atemberaubendes Entertainment noch musikalische Glanzleistungen. Er verläßt sich ganz auf die Kraft seiner vollmundigen Melodramen.