Familienbetrieb


Wer im Musikbusiness dauerhaft Erfolg haben möchte, muss oft auf familiäre Freuden verzichten, heißt es. Die Cranberries aus Irland beweisen der Welt das Gegenteil.

Das Timing ist perfekt: Kaum öffnet sich die Tür zur Suite des Londoner Four Seasons, erklingen aus dem angrenzenden Hyde Park die 101 Kanonenschläge zu Ehren von Queen Mom. Und die dauern. „Was für eine Verschwendung von Steuergeldern“, grinst Cranberries-Sängerin Dolores O’Riordan Burton (30). „Dabei bekommt die alte Dame doch eh nicht mehr mit, ob die Kanonen jetzt zwanzig oder hundert Mal losgehen. Aber die Briten lieben eben ihr Königshaus, weiß der Teufel warum. Wenn es nach mir ginge, gehörten die alle auf den Mond geschossen“. Spricht’s und zündet sich eine Zigarette an. „Das macht dir doch nichts aus, oder? Und bedien‘ dich bei dem Obst hier – ich komme mir schon vor wie ein Kaninchen.“ So viel zum Thema Gesundheitsfanatismus, von dem die Irin aus dem im Süden der grünen Insel gelegenen Limerick so gar nichts hält. Und halten muss, schließlich ist sie zierlich und schlank, trägt enge schwarze Klamotten zu roten Fingernägeln und dunklen Haaren.

„Schreib bloß nicht, dass ich bei den Interviews geraucht habe, sonst tickt mein Mann wieder aus“, sagt die Frau mit den großen Kulleraugen mit einem spitzbübischen Augenzwinkern. Schließlich ist die 1,56 Meter kleine Sängerin gerade zum zweiten Mal Mutter geworden, hat mit Söhnchen Taylor und Töchterchen Molly einen Fulltime-lob und verbrachte das gesamte letzte lahr in den eigenen vier Wänden -Hausfrau statt Popstar. Ihre Erklärung dafür: „Ich liebe Kinder und komme selbst aus einer Großfamilie. Insofern wollte ich es nicht bei einem belassen. Insgeheim denke ich über eine richtige Gang nach, aber wenn mein Mann das hört, bekommt er wahrscheinlich einen Herzinfarkt. Dabei bin ich Irin – und nach der ersten Geburt ist sowieso alles leichter.“

Überhaupt gibt sich die gesamte Band ausgesprochen bürgerlich. Nachdem auch Bassist Michael Hogan (28) demnächst Vater wird, sind bald sämtliche Cranberries-Mitglieder mit Familien gesegnet. Tendenz: ausbaufähig. Und das kommt laut Dolores nicht von ungefähr. Denn nach einer Dekade Dauerstress, bedingt durch einige Welttourneen, endlose Promo-Trips und vier Alben, war es für die Iren nach eigener Aussage an der Zeit für gravierende Veränderungen – endlich mal ein halbwegs normales Leben führen, genug essen, Ruhe und Schlaf bekommen, den jahrelang verwaisten Hobbies und Interessen nachgehen und natürlich etwas von dem Wohlstand genießen, den man sich so hart erarbeitet hat. Bei Dolores, Mike, Drummer Fergal Lawler (30) und Gitarrist Noel Hogan (29) äußert sich das in großen Farmen bei Limerick, alten Autos, Pferden oder auch einem Internet-Cafe, das Fergals Frau betreibt.

Den Vogel schießt allerdings Dolores ab, die als Hauptsongschreiberin mit den größten Tantiemen-Ausschüttungen gesegnet ist. Sie bewohnt ein fast herrschaftliches Anwesen, bestehend aus endlosen Weiden, einem mondänen Hauptgebäude sowie unzähligen kleineren Bauten, in denen ihre Pferdezucht sowie der Proberaum der Band untergebracht sind. „Ich weiß, das wirkt ein bißchen protzig und überdimensioniert“, so Dolores in einem Anflug von Verlegenheit, „aber ich brauche etwas, das mir einen Kick und ein gutes Gefühl gibt – einen Ort, an den ich mich zurückziehen, wo ich mich richtig austoben kann. Das heißt aber nicht, dass ich auf Luxus stehe. Sonst wäre ich ja nicht in Limerick geblieben, sondern gleich nach St. Trapez oder Malibu gezogen oder nach Kanada.“ Denn von dort stammt Gatte Bruce, langjähriger Tourmanager der Cranberries und nun Manager der Band.

Und diese familiäre Atmosphäre ist nicht nur wichtig für die zierliche Sängerin, sondern auch für die gesamte Band – und ihre Musik. Die nämlich war und ist ein Spiegelbild ihres Seelenfriedens – von der unbeschwerten Naivität des Debüts „Everybody Else Is Doing It, So Why Can’t We?“ über das bissige „No Need To Argue“, das lustlose „To The Faithful Departed“ bis hin zu den letzten beiden Alben, die das Kollektiv unbekümmert, selbstverliebt und geradezu ausgelassen zeigen. Zwar ohne die ganz großen kommerziellen Hits der Anfangstage („Zombie“, „Linger“), aber mit weitaus besseren Songs, geschlossenem Gesamtkonzept und ganz neuem Anspruch. „Es hat lange gedauert, aber ich habe gelernt, nicht mehr an Geld, Ruhm und Karriere zu denken, weil das ohnehin alles nur Luftschlösser sind. Wichtiger ist es, geliebt und akzeptiert zu werden, in der Realität zu leben. Wenn du Windeln wechselst, den Kindern das Essen machst, den Abwasch erledigst und dich mit alltäglichen Problemen beschäftigst, lässt all das dich zu einem ganz normalen Menschen werden.“

Das klingt wie die Werbebroschüre des Bundesfamilienministers, doch Dolores meint es ernst. Sie geht in ihrer neuen Rolle auf, hat den Rockstar, die Zicke, die Weltverbesserin und die Bandleaderin weit hinter sich gelassen. „Das hat mit Alter und Reife zu tun. Mitte der 90er war ich fürchterlich krank, weil ich diesen ganzen Stress, dieses rastlose Leben und die Vereinnahmung durch die Öffentlichkeit nicht ertragen habe. Ich konnte nirgendwo hingehen und einfach nur ich selbst sein, sondern wurde angestarrt, fotografiert und abgeschirmt. Das war die Hölle.“

Ganz anders dagegen die neue Dolores, die sich auf dem aktuellen, fünften Cranberries-Album („Wake Up And Smell The Coffee“) als lebenslustig, bescheiden und bodenständig präsentiert. Da geht es um Liebe, Babies, Schokoladenkuchen, glückliche Tage und die neue Leichtigkeit des Seins. All das verpackt sie in den typischen Cranberries-Sound aus leichtfüßigem Pop, einfühlsamen Balladen und melodischem Alternative-Rock. Eine unkomplizierte, pflegeleichte Mischung, die trotzdem ihren naiven Charme und eine eigentümliche Attraktivität besitzt. „Ich höre ständig von Bands, die sich partout neu erfinden wollen und auf jedem Album einen anderen Sound ausprobieren. Das ist doch Blödsinn – was soll dieses krankhafte Bemühen, auf einen Trend zu springen oder sich einer Szene anzubiedern? Scheiß drauf, sei einfach du selbst. Und wenn du glücklich mit dir und deiner Musik bist, dann setz‘ sie genau so fort, egal ob sie sich nun verkauft oder nicht.“

Dolores weiß, wovon sie spricht, denn nach dem Megaseller „No Need To Argue“ waren die Umsätze des Quartetts drastisch zurückgegangen. Immerhin: Das nötige Kleingeld, um einer ziemlich teuren Vorliebe zu frönen, hat die Irin noch. Nach beinahe jedem Gig fliegt sie nämlich im Privatjet nach Hause, um möglichst schnell wieder bei ihrer Familie zu sein. Peinliche Situationen im Tourfahrplan der Band wie etwa bei einem Festival im Sommer 2000 sind da vorprogrammiert. Damals warteten Noel, Mike und Fergal im belgischen Ostende vergeblich auf ihre Sängerin. Die saß am Flughafen von Limerick fest und konnte wegen des schlechten Wetters nicht starten. „Ich habe es wirklich etwas übertrieben“, lenkt Dolores ein, „aber ich fliege einfach unglaublich gerne. Es ist schon fast eine Sucht. Wenn ich irgendwann mal zu viel Geld haben sollte, miete ich mir eine dieser NASA-Kabinen, in denen die Schwerkraft aufgehoben wird. Das muss ein wahnsinniges Gefühl sein, einfach so im freien Raum zu schweben.“

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