Festival-Rückblick: So schön war’s beim Maifeld Derby 2015


Pünktlich zum fünften Geburtstag des noch so jungen Maifeld Derby gaben sich Wanda, Róisín Murphy, José Gonzalez und viele mehr die Ehre und bespielten das Maimarktgelände in Mannheim. Schnell wurde klar: Das Festival mit dem niedlichen Papierpferdchen-Logo ist alles andere als ein Ponyhof.

Pferde sind was für Mädchen. Striegeln, füttern und reiten, daran haben Jungs einfach kein Interesse. Beim Maifeld Derby ist das ein bisschen anders. Wer sich hier zur sogenannten Steckenpferd-Dressur anmeldet, zeigt auf einem von ihm selbst ausgewählten Holzgaul, welche Performance-Skills er in Sachen Dressursport hat. Am Ende verteilt eine mehr oder minder qualifizierte Jury brav Medaillen. Tatsächlich nicht nur an Mädchen.

Die Pferdethematik ist damit allerdings abgehakt und das Entertainment-Programm auf dem Maifeld Derby 2015 auch schon in Gänze erklärt. Fotoautomaten, Schmink- und Bastelecken sucht man vergebens. Dafür bekommen die Besucher etwas Kunst und eine handvoll Food-Stände geboten. Und natürlich eine große Getränke-Auswahl. Die rein alkoholische Flüssignahrung kommt ja bekanntlich ohnehin den meisten entgegen.

Maifeld Derby 2015: Ein Festival-Wochenende, das einige Überraschungen mit sich brachte

Das erste musikalische Highlight des Maifeld Derby 2015 findet am frühen Freitagabend statt: Motorama aus Russland spielen auf der Fackelbühne unter freiem Himmel. Wer die Post-Punk-Band schon einmal live erleben durfte, weiß, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn Sänger Vlad Parshin zum düsteren Sound gekonnt die Hüften kreisen lässt und am Ende des Auftritts gerne etwas zerstört. Dieses Mal sind es die Saiten seiner Gitarre, die er beim letzten Song wie im Wahn zum Reißen bringt. Ein leidenschaftlicher Auftakt für ein Wochenende, das noch einige Überraschungen mit sich bringen wird.

In die Bredouille der zeitgleichen Slots gerät man, trotz überschaulicher Festival- und Line-Up-Größe, tatsächlich schon am ersten Tag. Gisbert zu Knyphausen, die viel versprechende Newcomerin Soak und Morgan Delt spielen parallel. Jetzt kommt es mehr denn je auf generelle Vorlieben, gepaart mit der momentanen persönlichen Befindlichkeit an. Um in die richtige Stimmung für den späteren Auftritt der Allah-Las zu kommen, ist Morgan Delt der ideale Woodstock-Feeling-Starter. Die Band tritt im kleinen Brückenawardzelt auf. Vier Worte reichen aus, um ihre Show zusammenzufassen: Tambourin und lange Haare.

Auf der großen Außenbühne spielen sich Allah-Las aus Los Angeles im Anschluss die Seele aus dem Leib. Hätte man das erwarten können? Wohl kaum. Ihr letztes Album kann an den eingängigen 70s-Psychedelic-Rock ihres Debüts nur schwer anknüpfen. Und trotzdem: Live klingen die Songs schlüssig, machen sich gut zwischen den Hits der ersten Platte und reißen das Publikum mit. Ein Mädchen klettert beim dritten Song auf die Schultern ihres Freundes und schwenkt, wie könnte es anders sein, ein großes Batik-Tuch.

José Gonzalez geht als größter Act des ersten Abends ins Rennen. Beeindruckend, dass ein einzelner Mann mit einer Gitarre das bis in die letzten Reihen gefüllte Palastzelt so leise werden lassen kann. Die Stimmung ist intim, der schwedische Junip-Frontmann zieht mit seiner sanften Stimme die volle Aufmerksamkeit auf sich. Die wohl einzige Kritik, die sich an dieser Stelle leise formulieren lässt: Ist ruhige Musik wie diese wirklich die beste Wahl für einen späten Festivalslot?

Maifeld Derby 2015, Tag 2

Wer an Tag zwei auf dem Maifeld Derby 2015 erst mal in die Gänge kommen muss, lässt sich am besten von Only Real berauschen. Der Brite, der schon im Vorprogramm von Jamie T spielte, bringt Dream-Pop á la Real Estate und Sprechgesang im Stil von Mike Skinner zusammen auf den Punkt. Das Bubble-Gum-Logo des Musikers reicht aus, um zu erahnen, wie zuckersüß seine Musik klingen muss. Er gibt herrlich ehrlich zu, wie erstaunt er ist, dass so viele Menschen an diesem Samstagnachmittag gekommen sind, um zu Only Real zu tanzen. Musik macht nun mal glücklich. Im Idealfall durch genau diese Wechselwirkung.

Nach dem Auftritt ist der junge Musiker in seinem lustig bunten Hemd übrigens noch auf dem Festivalgelände unterwegs. Wenn man ihn lang genug ansieht, lächelt er zufrieden und nickt glücklich.

Die größte Überraschung am Samstag: Das Schweizer Trio Klaus Johann Grobe. Im kleinen Zelt, das mit Lichterketten und alten Stehlampen ausgestattet ist, schaffen sie es zum einen, das reinste Destillat aus hippen Männern in Oversized-Jeansjacken, mit zotteligen Haaren und selbstgedrehten Zigaretten zu sich zu locken und zum anderen, wirklich jeden einzelnen von ihnen wild tanzen zu lassen. Es mag wie ein schlechter Scherz klingen, aber diese Männer formen nach einigen Songs sogar eine Polonaise. Mit der puren Freude im Gesicht geht es dann zum Orgel-Krautrock von Klaus Johann Grobe einmal quer durch das Zelt.

Mit ganz viel Drama und Exzentrik geht es dann bei Foxygen auf der Open-Air-Bühne weiter. Sam France, im beigefarbenen Schlaghosenanzug, rastet 50 Minuten lang völlig aus. Er strampelt am Mikrofonständer wie ein Baby an den Gitterstäben des Laufstalls, dazu die wilden Sängerinnen und Tänzerinnen, blinkende Lichter am Keyboard und einstudierte Gesten. France, optisch ein Yuppie, der wie ein Power Ranger tanzt, liebt das große Theater. Die Show ist gewollt zu viel. Und genau deshalb so beeindruckend. Foxygen verlassen zwischenzeitlich die Bühne, als wollten sie das Publikum testen. Wie weit kann man für die perfekte Inszenierung gehen? So viel sei gesagt: Bis hier hin und nicht weiter. Die Menge applaudiert verhalten.

Als radikalen Gegenentwurf kann man im direkten Anschluss Human Abfall aus Stuttgart begreifen. Nicht weniger inszeniert, dafür aber in die emotional konträre Richtung: Sänger Flávio Bacon, der die gesamte Show über wie versteinert und mit starrem Blick auf der Bühne steht. Ab und an zieht er seinen rechten Mundwinkel nach oben, als würde er sich vor dem Anblick der Menschen ekeln. Ein wunderbar verstörender Auftritt, der das Publikum verunsichert. Darf man hier jetzt pogen oder lieber nicht? Spannender ist es, Bacon zuzusehen, wie er als aufgebrachter Erzähler in Songs wie „Überkatze“ agiert.

Gar nicht so einfach, danach die Kurve zu Mogwai zu bekommen. Im großen Palastzelt sind es vor allem die durchdachten Visuals, die den Auftritt zu einem imposanten Kunstwerk werden lassen. Das lange Outro mag für einzelne Besucher purer Lärm sein, für die meisten jedoch der logische Abgang eines großen Headliners.

Tag 3 beim Maifeld Derby 2015

Es liegt beinahe auf der Hand, welcher Act das unübertreffliche Highlight am letzten Tag des Maifeld Derby ist: Wanda. Zuvor spielt sich aber ein Musiker in die Herzen des kleinen Publikums im Brückenawardzelt, der noch nicht in aller Munde ist: Drangsal alias Max Gruber aus Herxheim. Und das, obwohl ein Großteil der Festivalbesucher derweil die Dänen von Mew feiert. Sein Brachialpop, wie Gruber selbst sagt, klingt nach 80s-Pop und New Wave. Mit viel Hall und dennoch ohne Kitsch. 20 Minuten eher, als er müsste, verlässt er gemeinsam mit seiner Band die Bühne. Weil sie so punkig seien, kokettiert der Musiker. Zuvor gibt es noch ein Misfits-Cover von „Hybrid Moments“. Danach regnet es Handküsse für das Publikum. Wie liebevoll, dabei wirkt Drangsal abseits der Bühne wie ein Phantom: Im Internet lassen sich nur schrammelig verzogene Demosongs finden, die wenigen Bilder, die von ihm kursieren, sind in der Regel mehr schwarz als weiß. Was bisher jedoch bekannt ist: Er bewegt sich im Dunstkreis von Sizarr, ebenfalls beim Maifeld Derby vertreten. Musikalisch liegen zwischen den Künstlern allerdings Welten.

Und dann kommen Wanda, die schon vor ihrer Show auftreten: beim Soundcheck. Natürlich werden die Ersten aufmerksam und gehen auf die Open-Air-Bühne zu. Die Wiener Band stimmt „Lucia“ an. Geht es etwa schon zehn Minuten eher los? Immer mehr Besucher finden ihren Weg zu Wanda und unterstützen die Probe mit textsicherem Gesang. Die Welt steht dann für eineinhalb Stunden Amore still. Dazu Marco Michael Wandas Brusthaare unter dem aufgeknöpften Hemd, Bier, Zigaretten und immer wieder diese Textzeilen, die man voller Inbrunst hinausschreien muss.

Natürlich folgen noch weitere große Acts wie Fink, der spätestens seit der Zusammenarbeit mit Till Schweiger beim Soundtrack zu „Honig im Kopf“  jeder Schwiegermutter ein Begriff sein müsste. Aber nach Wanda zu spielen, scheint an diesem Abend einfach nicht richtig zu sein. Denn nach Wanda ist vor Wanda ist während Wanda: Die Chöre, die immer wieder „Bologna“ anstimmen, ebben auf dem gesamten Festivalgelände nicht ab.

Róisín Murphy läutet das Ende des Maifeld Derby 2015 ein. Der Auftritt, ein Mix aus unzähligen Outfitwechseln, überragendem Live-Sound und Neonröhren-Lichtshow, wirkt im Vergleich zu den Headlinern der Vorabende am stärksten nach. Die Kunstfigur Murphy ist nicht unnahbar, interagiert immer wieder mit dem Publikum. Sie zeigt mit ihren Looks und schrägen Tanzeinlagen, dass sie sich in ihrer kreierten Rolle nicht allzu ernst nimmt. Um auch den letzten Moloko-Fan glücklich zu stimmen, spielt Murphy am Ende „Familiar Feeling“ vom letzten Studioalbum ihres ehemaligen Bandprojekts, gibt eine knappe Zugabe und verlässt die Bühne. In einem funkelnden Glitzerkleid.