Fifty Hours Session in Braunschweig


FESTIVALS - die Grundidee ist gut, doch sieht die Praxis, jedenfalls in Deutschland, leider wenig erfreulich aus. Schlechte Organisatoren haben das "Festival", oder was man sich darunter vorstellt, schon lange kaputtgemacht. Unverständlich ist der Optimismus einer Reihe von Veranstaltern, die sich heute noch der Illusion hingeben, ein Superfestival aufziehen zu können. Die Veranstalter sind alle gleich, sie unterscheiden sich nur dadurch voneinander, dass einer immer unfähiger ist, als der andere. Die beiden grössten Festivals dieses Jahres - Berlin und Germersheim - gingen voll daneben. Nicht anders sah es in Würzburg aus, 122 verhaftete Jugendliche waren die traurige Bilanz. Das letzte grosse Festival fand im Juli in Braunschweig statt. Es wurde ein Anti-Festival, ein Musterbeispiel für schlechte Organisation.

DREISSIG STUNDEN LANGEWEILE

BRAUNSCHWEIG, Bahndreieck, 7., 8. und 9 Juli 1972. Verantstalter war STAFF 2000, für „Ordnung“ sorgten mit Messern bewaffnete Hells Angels-Imitationen aus Schottland. Die Eintrittskarten kosteten DM 18,- im Vorverkauf und DM 20,- an der Tageskasse. Zwischen zwei Bahndämmen, laufend vorüber fahrenden Zügen und überflüssigerweise auch noch Drahtabsperrungen sassen etwa 3.000 Leute Sie waren gekommen, um die gross angekündigte „Fifty Hours Session“ zu erleben (wie man auf die Idee gekommen ist, das Festival „Fifty Hours Session“ zu nennen, ist allerdings bis zum Schluss nicht klar geworden, denn die Gruppen spielten insgesamt nur etwa 20 Stunden lang). Man war aus allen Teilen Deutschlands, aus Holland und aus Belgien angereist, denn das Angebot an Gruppen war, laut Posters und Handzetteln, recht vielversprechend. Alice Cooper sollte auftreten, Jeff Beck, Status Quo, Vinegar Joe, Home, Hardin & York, Juicy Lucy, It’s A Beautiful Day, Livin‘ Blues, Nektar, Nazareth und siebzehn deutsche Gruppen. HARDIN & YORK, NEKTAR, HOME und NAZARETH waren die einzigen der obenerwähnten ausländischen Formationen, die tatsächlich erschienen. Als Ersatz für die acht ausgefallenen Gruppen kamen JACKSON HEIGHTS, ALEXIS KORNER und TUCKY BUZZARD. Letztere konnte man allerdings kaum als Ersatz ansehen. Die Show von Jimmy Henderson (Gesang) war so unnatürlich und übertrieben, dass sie beinahe schon grotesk wirkte und die Gruppe selbst spielte so schlecht, dass man sie musikalisch kaum beurteilen konnte. ALEXIS KORNER stellte sich mit seiner neuen Gruppe, bestehend aus Peter Thorup und drei Ex-Mitgliedern von King Crimson, vor und sorgte mit seinem Auftritt am Samstagabend für den Höhepunkt des Festivals. Ebenfalls sehr gut war HOME, eine noch relativ unbekannte englische Gruppe, die besonders durch ihr gutes Zusammenspiel gefiel und in Braunschweig sicher viele Freunde gewonnen hat. Von den deutschen Gruppen war ausser FRUMPY, EMERGENCY, KARTHA-GO und SCORPIONS keine so interessant, dass man sie besonders erwähnen müsste. EMER-GENCY stellten erstmals ihren neuen Gitarristen IVO KRISSAN vor, FRUM-PY gaben einen ihrer letzten Auftritte vor der endgültigen Trennung, die SCORPIONS fielen vor allem durch ihren erst 17-jährigen aber sehr talentierten Leadgitarristen auf und KARTHAGO gingen zwar gut los, hatten jedoch einen sehr schlechten SOUND. Da es nur eine Bühne gab – auch hier hat die Organisation versagt ging viel Zeit für das Auf- und Abbauen der Anlagen verloren, so dass sich zwischen den Auftritten Wartezeiten von durchschnittlich zwei Stunden ergaben. Wegen des Zeitdrucks, der dadurch entstand, warteten diverse deutsche Gruppen, u.a. KRAFT-WERK, stundenlang vergeblich darauf, auftreten zu können. Sie bekamen ihr Geld und wurden wieder nach Hause geschickt.

DEPRIMIEREND

Um zu retten, was noch zu retten war, kündigte man am Sonntagnachmittag die PRETTY THINGS an. Die THINGS waren nur für diesen Auftrit aus England eingeflogen, sie sassen bereits in einem Braunschweiger Hotel und sollten nach HARDIN & YORK als letzte Gruppe spielen. Nachdem wir uns noch zwei Stücke von HARDIN & YORK angehört hatten, gingen wir gegen 23 Uhr los, um die PRETTY THINGS zu holen. Doch als wir im Organisationszelt um ein Transportmittel baten, wurden wir wieder einmal mit der Engstirnigkeit der Veranstalter konfrontiert. STAFF 2000 weigerte sich, uns einen Bus zur Verfügung zu stellen. Kommentar: „Die Pretty Things sind eine Scheissgruppe. Die lassen wir nicht auf die Bühne – sollen sie doch auf die Strasse spielen!“ Aber die PRETTY THINGS waren angesagt. Die Leute warteten auf sie. Also fuhren wir mit zwei Personenwagen zum Hotel, luden die Instrumente der Gruppe und zehn Leute ein und fuhren zurück zum Festivalgelände. Die PRETTY THINGS wollten trotz aller Schwierigkeiten auftreten, sie hatten Lust zu spielen. Aber der Anblick, der sich uns bot, war deprimierend. Wo eine Stunde zuvor noch Hunderte von Leute gesessen hatten, lagen Papier und leere Flaschen herum. Bis auf ein paar Roadies, die noch mit dem Abbauen der Anlage von HARDIN & YORK beschäftigt waren, war weit und breit kein Mensch mehr zu sehen. Man hatte die Leute nach Hause geschickt, obwohl man wusste, dass die PRETTY THINGS unterwegs waren. „What a shame“, sagte PHIL MAY, Sänger der PRETTY THINGS, immer wieder und – wie schade – mehr lässt sich eigentlich über das ganze Festival nicht sagen…