Frederick Lau im Interview: „’Victoria‘ ist eine Hommage an Berlin“


Schauspieler Frederick Lau im Interview über kriminelle Vergangenheit, Rapper-Nachbarn in Steglitz und seinen neuen, atemberaubenden Film „Victoria“.

Am 11. Juni kommt ein Film in die Kinos, über den noch länger gesprochen werden wird: „Victoria“ von Regisseur Sebastian Schipper („Absolute Giganten“) ist ein spektakuläres Road- und Buddymovie über eine folgenreiche Nacht in Berlin. Die Spanierin Victoria (Laia Costa) lernt vor einem Club vier Jungs namens Sonne, Blinker, Boxer und Fuß kennen und zieht mit ihnen um die Häuser. Hätte sie zu diesem Zeitpunkt geahnt, was in den folgenden, ohne einen einzigen Schnitt (!) gedrehten 140 Minuten passiert – sie wäre wohl besser allein nach Hause gegangen.

„Victoria“ ist in sieben Kategorien für einen Deutschen Filmpreis nominiert und begeistert nicht allein wegen seiner Machart und seiner wahnwitzigen, atemberaubenden und hochdramatischen Geschichte, sondern vor allem aufgrund des jungen Schauspiel-Ensembles aus Newcomerin Laia Costa, Frederick Lau, Franz Rogowski, Burak Yiğit und Max Mauff. Wir haben Hauptdarsteller Frederick Lau („Die Welle“, “Neue Vahr Süd“, „Oh Boy“, „Drei Türken und ein Baby“, „Traumfrauen“, „Das Leben ist nichts für Feiglinge“) im Mai zum Interview getroffen und sprachen mit dem 25-jährigen Schauspieler und Familienvater – Lau hat eine einjährige Tochter – über die eigene kriminelle Vergangenheit, seine Rapper-Nachbarn in Steglitz und darüber, warum „Victoria“ für ihn einer der wenigen richtigen Berlin-Hommagen ist.

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ME: In „Victoria“ geht es um das spektakuläre Ende einer langen Nacht. Wann warst Du das letzte Mal aus, und wann, wie im Film, bis nach Sonnenaufgang?

Frederick Lau: Vorgestern! Wir drehen gerade in Prag und stecken in der Vorbereitungsphase. Nach den Proben gingen wir was trinken. Aber einen Bankraub habe ich noch nicht gemacht.

Und eine Kriminalakte wie Sonne, Dein Charakter in „ Victoria“, hast Du auch nicht, oder?

Nee. Aber ich bin ja selbst Berliner und glaube, dass jedem Berliner Jungen schon mal etwas Ähnliches passiert ist. Wenn du früh morgens an der Straße stehst und Bier trinkt, möchte die Polizei halt mal mit dir in Kontakt treten. Sonne ist jemand, der sich nicht die ganze Zeit erwischen lässt.

Im Grunde sind die Jungs im Film ja alle Idioten. Aber sympathische.

Ja, das finde ich auch. Angenehme Straßenköter sind das.

Du hast bisher meist Verlierertypen oder Underdogs gespielt. Nie die großen starken Helden.

Wurde mir bisher noch nie angeboten!

Aber Du würdest gerne?

Warum nicht? Mir macht das aber Spaß so. Ich spiele gerne Leute, die eine gewisse Normalität haben und lehne gleichzeitig viele Fernsehfilmangebote ab. Eine Vaterfigur in einer Art Rosamunde-Pilcher-Film zum Beispiel will ich nicht spielen. Ich möchte coole Leute erzählen.

Rollen abzulehnen erlaubst Du Dir erst jetzt oder immer schon?

Eigentlich schon immer, unpassende Anfragen kommen aber ohnehin selten. Ich spiele lieber Leute, die Ecken und Kanten haben. Alles andere finde ich langweilig.

In einem anderen Interview sagtest Du mal, Du spieltest immer Menschen, in denen Du ein Stück von Dir selbst wiederfindest. Was findest Du in Sonne wieder?

Ich glaube, ich meinte damit, dass ich es hasse, in einer Rolle zu lügen. Dass man was erzählt, wovon man gar keine Ahnung hat. Natürlich passiert das. Aber man sollte wenigstens den Versuch einer Recherche wagen oder sich in entsprechendes Umfeld begeben. Für „Tod den Hippies“ zum Beispiel, wo ich einen schwulen Nazi spiele, habe ich mich in der Schwulenszene in Berlin umgeguckt.

Und Sonne?

Ist ein Berliner Junge, und ich weiß wie Berliner Jungs sind. Der Film ist eine Hommage an Berlin. Und an die Jugend. Natürlich bauen manche Menschen viel scheiße. Die Typen, die da auf der Bank rumhängen und ihr Bierchen trinken, haben aber meist auch eine interessante Geschichte zu erzählen. Und die werden sich tragen.

Hätte „Victoria“ denn auch in anderen Städten spielen können?

Er könnte auch in anderen Großstädten spielen, ja. Solche Jungs triffst Du auch anderswo nach ‘ner Party. Eine Hommage an Berlin ist „Victoria“ trotzdem, weil wir viel von der Stadt erzählen. Eine schöne Hommage, übrigens. Es gibt ja so viele Leute, die jetzt einen Berlin-Film gedreht haben…

Du hast selbst in einem mitgespielt, in „Oh Boy“ .

Stimmt, eine kleine Rolle. Ich glaube aber, dass keiner dieser Filme bisher eine Realness aufgefangen hat. Außer Franz Rogowski, der den Boxer spielt, kommt jeder von uns aus Berlin. Wir konnten erzählen was wir wollen, viel im Film ist ja improvisiert…

Wieviel?

Eigentlich fast alles. Natürlich haben wir viel geprobt und hatten ein paar Eckdaten um zu wissen, wie es weitergeht. Aber wir durften uns ausleben. Sebastian Schipper (Regisseur, Anm. d. Red.) hatte uns sein Vertrauen ausgesprochen.

Die Story kommt der Machart eines One-Take-Drehs entgegen: Berliner versuchen englisch zu reden. Da kann man in Dialogen schon mal Wortfindungsschwierigkeiten haben. Das merkt keiner.

Ja!

An welcher Stelle merkst Du im fertigen Film konkret am ehesten, dass Du Dich oder Ihr Euch verhaspelt habt?

Wir haben drei One-Takes gedreht. Von mir gibt es, finde ich, auch geile Stellen im zweiten One-Take. Aber den fand Sebastian scheiße. Ich fand den gut.

Heißt: Massig Bonusmaterial für die DVD.

Wie ich Sebastian einschätze, wird das keiner jemals zu sehen kriegen. Ich habe es nicht mal selbst gesehen. Im dritten Take harmonierte alles am besten zusammen. Natürlich gibt es Stellen, an denen ich mich ärgere, warum ich dies und das nicht anders gemacht habe. Aber wir wollten keinen perfekten Film machen. Wir haben einen Film gemacht, um etwas zu erleben und um den Zuschauer etwas erleben zu lassen.

Hast Du selbst mal Gangerfahrungen gemacht? Warst Du als Jugendlicher Teil einer Clique?

Ich habe noch ein paar Freunde von früher. Loyalität finde ich total wichtig. Das geht für mich über alles, sie gehört zum Respekt dazu. Füreinander einstehen, wenn es auch mal scheiße ist. Auf der Straße musst du für deinen Freund einstehen, finde ich, du bist sein Kamerad in dem Moment.

Eine Frage, die man sich auch in Berliner U-Bahnen schlimmstenfalls stellen muss.

Ja. Das ist Freundschaft. Die Jungs in „Victoria“ haben nichts, die sitzen gemeinsam rum und gehen aus. Die können gar nicht ohne einander. Deshalb helfen sie Boxer, der an allem schuld ist.

„Victoria“ ist in sieben Kategorien für den deutschen Filmpreis nominiert. Auf der Straße wirst Du trotzdem selten erkannt, oder?

Schon öfter, doch. Mit Palina Rojinski und Anika Decker habe ich „Traumfrauen“ gedreht, seitdem erkennen mich noch mehr Leute. Das Lustige ist: Es passiert zu einer bestimmten Uhrzeit. Um 3 Uhr morgens trauen sich die Leute, da platzt was im Kopf. Es gibt auch Tage, an den du nichts rausgehen kannst. Schlimm ist es auch in Mitte oder Prenzlauer Berg. Da gucken die Leute offenbar zu viel Fernsehen und Kino.

Du hingegen wohnst in Steglitz, bist in Berlin geboren. Der Beweis, dass Du kein Zugezogener bist: Keiner würde nach Steglitz ziehen.

So sieht’s aus. Wir haben da gar keine Zugezogenen! (lacht)

Dort wohnen nur Du und Deine Familie, ein paar alteingesessene Berliner und irgendwelche Rapper.

MC Bogy wohnt bei uns in Lankwitz. Bass Sultan Hengzt hat in Lichterfelde gewohnt. Taktloss ist bei mir in der Straße aufgewachsen.

Steglitz ist gefährlicher als sein Ruf!

Ein guter Ruf! Bei uns spielt sich alles in den Hinterhöfen ab.

„Victoria“ ist wie „Als wir träumten“ von Andreas Dresen und Sebastian Schippers „Absolute Giganten“ ein Film über Freunde in einer letzten, verhängnisvollen Nacht. Was macht das Spannende an so einer Geschichte aus? Ein Genre ist es ja nicht.

Es ist ein Buddymovie.

Und ein Roadmovie, auch wenn „Victoria“ nur in ein paar Straßenzügen spielt.

Und ein Bankraubfilm!

„Bonnie und Clyde“ in Berlin.

Solche Geschichten sprechen uns alle an, weil doch jeder mal mit seinen Kumpels zusammensitzt und dumme Ideen hat. „Komm’ ey, wir machen das einfach, wir ziehen das jetzt durch!“ , sagt man dann oder würde man gerne sagen. Du brauchst Charaktere, in denen jeder sich wiederfindet. Wenn du zu fünft „Absolute Giganten“ guckst, hat doch jeder einen der Charaktere, den er da sieht, neben sich sitzen.

Was sagen Deine Kumpels über dich? Bist Du der Sprücheklopfer, der Zurückhaltende, der Checker?

Der Zurückhaltende! (Lacht abwinkend)

Das Weichei?

Ich weiß nicht, was die anderen über mich sagen. Ist bestimmt besser so!

Und wenn Taktloss und Bass Sultan Hengst neben einem sitzen, ist die Rolle bestimmt nochmal `ne andere.

Mit denen hänge ich ja nicht ab. Man kennt sich bloß.

Du hast selbst in einigen HipHop-Videos mitgespielt. Bei B-Tight und Maxim, zum Beispiel.

Der Wunsch kam von ihnen aus, weil ich sie kannte. Ich bin mit Deutschrap aufgewachsen. Die Sekte etwa fand ich immer lustig. Ich unterstütze sie gerne und finde das richtig.

Hörst Du heute noch deutschen HipHop?

Nee. Da hat sich einiges getan. Ich kann das nicht mehr hören.

Jetzt musst Du konkret werden.

Nein, es geht darum, dass ich insgesamt eher noch die alten Sachen höre. Das bringt mich zurück. Es gab ein paar gute Tracks von Torch, „Frederik Kahn“ zum Beispiel. Und sonst? Man darf jetzt nicht zu hart werden.

Doch.

Ich mag auch amerikanischen HipHop mit schönen, dunklen, derben Beats. Oh, wer richtig geile Beats macht: Huss & Hodn aus Köln. Reen macht auch angenehme Tracks mit guter Laune. Bin da aber raus. Die Sekte fand ich bis „Ansage 2“gut, die dritte ging so. Und natürlich Westberlin Maskulin und KKS, königlich. Man darf das alles auch nicht zu ernst nehmen.

Hast Du selbst mal eine Band gehabt?

Nee. Ab und zu mit Freunden, wenn meine Familie mir erlaubt mal rauszugehen (lacht), jammen wir. Dann sitzen wir da und singen. Ich steh’ aber auch auf Rio Reiser. Wir lieben alle Musik und jammen, mehr nicht.