„Für Uns War Musikalische Vielfalt Wichtig“


Interview Mit Dem Neu! Multiinstrumentalisten Michael Rother

Was waren die Grunde für euren Ausstieg bei Kraftwerk?

Man kann die Grunde für die Trennung nachvollziehen, wenn man das zweite Kraftwerk-Album mit dem ersten Neu!-Album vergleicht. „Kraftwerk 2“: eine ruhige Wohnzimmeratmosphäre, „Neu! 1“: treibender und härter Speziell in Titeln wie „Hallogallo“ und „Negativland“ haben Klaus und ich unsere Kraftwerk-Erfahrungen verarbeitet Auch bei Neu! war der Wortanteil eher gering. Im Gegensatz zu Kraftwerk, die mit ihren Albumtiteln „Autobahn“ oder .Radioaktivität“ der Musik thematisch einen Rahmen setzten, kam das für Neu! nie in Betracht. Jedes einzelne Stück eines Albums hatte sein eigenes Leben. Die Vielfalt war wichtig, und mit instrumentaler Musik konnten wir alle Empfindungen ausdrücken. Für Klaus hatten Texte allerdings später mehr Bedeutung.

Klaus Dinger und du habt unterschiedliche Temperamente, musikalisch wie menschlich…

Klaus kam als Drummer aus der rhythmischen Ecke, ich als Gitarrist aus der melodisch-harmonischen Die aus unseren gegensätzlichen Temperamenten und Charakteren resultierende Spannung prägt die Neu! -Musik. Co-Produzent Conny Plank hat sie als dritter Pol im Studio mit viel Intuition und handwerklichem Können eingefangen. Unsere absolute Gegensätzlichkeit, die eine Verständigung außerhalb des Studios zwischen Klaus und mir über die Jahre immer schwieriger machte, ergänzte sich auf der musikalischen Ebene sehr gut.

Wie entstanden die Songs? Wie habt ihr damals im Studio gearbeitet?

Das Meiste entstand spontan im Studio. Niemand von uns hatte die Möglichkeit, mit Mehrspuraufnahmen Ideen vorzubereiten. Lediglich mit einem Cassettenrecorder hatte ich einige Skizzen entwickelt, zB. die Melodien von „Weissensee“ oder den Streichbass für „Im Glück“. Andere Titel waren zwischen Klaus und mir als Grundidee klar, zum Beispiel eine Geradeausnummer in E („Hallogallo“: Anm. d. Red.). Die Magie der Musik ist in dem spontanen Zusammenspiel von Klaus, Conny und mir begründet und in den Reaktionen auf Beiträge der jeweils anderen: hören, fühlen und loslegen.

Weshalb lies sich das Konzept nur mühsam auf die Bühne bringen?

Klaus an den Drums und ich an Gitarre oder Bass: das klang zu dünn, war zu eindimensional. Unsere Versuche, andere Musiker live einzubinden blieben unbefriedigend. Sie hatten nicht das gleiche Verständnis von Musik wie wir.

David Bowie hat euch als eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen genannt.

Ich habe Bowies Musik nie so intensiv verfolgt und kann daher nicht sagen, wo er unsere Einflüsse verarbeitet hat. Er hat mal geäußert, dass z.B. unser Titel „Hera“ ihm sehr gefiele. Wenig später hieß eines seiner Alben „Heroes“… Bowie hat mich 1977 gefragt, ob ich in Berlin an seinem Album mitwirken würde.

Wie wurden Neul heutzutage klingen?

Sobald Dinger und Rother zusammen arbeiten, dann ist das Neu! – und prinzipiell auch jederzeit möglich. Aber sicher würde ich heute nicht versuchen, wie 1971 oder 1975 zu klingen. Das wäre uninteressant. Spannend wäre es, unsere Erfahrungen mit heutigen Klänge in den Neu!-Rahmen zu stellen.