Glanz von Gestern


Selbst dem hartnäckigsten Hinterwäldler wird inzwischen aufgefallen sein, daß die neuen Platten immer mehr wie die alten klingen. Manchmal liegt’s ganz einfach daran, daß es tatsächlich alte Platten sind. Um beispielsweise in London momentan als Insider bestehen zu können, ist es absolut notwendig, ein 50er Jazzalbum (vorzugsweise Art Blakey) unterm Arm zu tragen. Die DJs der angesagten Clubs cutten mit Vorliebe „Hard Bob“-Platten – und die Breakdancer breaken dazu. Dub-Mixes und Hip Hop-Mixes von Jazzklassikern, wo man auch hinblickt.

Gleichzeitig wirbelt am Horizont, sozusagen vom rechten Flügel, auch schon ein Country-Revival Staub auf. Mit Gruppen wie Beat Rodeo, Jason and the Scorchers und Rank and File steht uns angeblich der Country-Punk ins Haus auch wenn sich all diese Truppen, mit etwas Abstand, anhören wie Poco anno 1970.

Es kommt noch dicker: Überall sprießen die Reunions wie Pilze aus dem Boden: Wenn etwa Dylan und Baez wieder gemeinsam „Blowin‘ In The Wind“ singen, so ist das bloß die Spitze des Eisbergs. Getreu dem Motto „Gefahr erkannt – Gefahrgebannt“ hat ME/Sounds keine Kosten gescheut („dafür kriegst du auch was extra“ – weißt du noch, Boß?), um Euch das „Komplette WHO ‚S WHO all jener, die Ihr längst vergessen habt“ zur geneigten Aufmerksamkeit zu bringen.

Für den Beobachter moderner Musik wahrlich kein leichter Job: Dieses Business:verändert sich mit einer Geschwindigkeit, daß man nur ein Nickerchen machen braucht, um anschließend ganze Trends, Bewegungen und Ideologien verschlafen zu haben. Und eh du dich versiehst, ist der Oberlangweiler von gestern das vergötterte Idol von heute.

Nimm Produzent Trevor Hörn. Als Mitglied von Yes und den Buggles war er für Kritiker das, was ein Baum für einen Hund ist. Und plötzlich— ein Guru!

Schauen wir uns die anderen ergrauten Gestalten an, die schon an unserer Tür klopfen. Ratet mal, wer dieses Jahr am 4. September im New Yorker Club Bottom Line gespielt hat! Gerry and the Pacemakers, Herman’s Hermits, Billy J. Kramer and the Dakotas und Badfinger – die haben gespielt. Dte Amerikaner lieben nun mal Jubiläen – und so feierte man dieses Jahr den. 20. Jahrestag der „British Invasion“. Erinnern wir uns noch an die Yardbirds? Natürlich. Die Großeltern des Heavy Metal. Ihre damalige Rhythmusgruppe beehrt uns in Gestalt von Box OF Frogs aufs neue. (Die B.O.F.s… alles klar?). Zu Bassist Paul Samwell-Smith, Gitarrist Chris Dreja und Schlagzeuger Jim McCarty gesellt sich Gaststar Jeff Beck an der Lead-Gitarre.

Beck selbst scheint momentan seine Nostalgie-Krise zu durchleben: Er hofft offensichtlich, die Yardbirds-Ära auferstehen zu lassen, spielte neulich beim Benefiz zu Ehren von Ronnie Lane „Hi Ho Silver Lining“ – und versuchte obendrein, mit seinem alten Kumpel Rod Stewart wieder ins Reine zu kommen. Stewarts Band schloß Wetten ab, wie lange es Jeff aushalten würde nach sieben Tagen Tour stapfte Beck schmollend von dannen.

The Troggs haben sich nie aufgelöst; ebensowenig die Searchers und Hollies. Sie schalteten nur einen Gang herunter und treten Wasser, bis wieder ein Revival winkt. Das neue Troggs-Produkt gibt’s über Virgin – und das berüchtigte „Troggs Tape“, ein Bootleg jener Session, bei der die Troggs kläglich daran scheitern, eine Single aufzunehmen, wird jetzt in England von DJM vertrieben. Die Hollies können sich mittlerweile mit der Rückkehr von Graham Nash schmücken, der vorübergehend arbeitslos wurde, als Partner David Crosby wegen Knarren-Drogenbesitz endgültig in den Knast wanderte.

Einfach unglaublich, wer sich dieses Jahr alles wieder der Tour-Karawane angeschlossen hat: The Band: Ohne Leader Robbie Robertson für ein Friedens-Festival wiedervereint, versuchten die verbleibenden vier Mitglieder eine Tour. Aber zerrüttete Ehen lassen sich nun mal nicht kitten; ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllten sie als „Rick Danko and Levon Helm“.

The Turtles: Die Sänger Flo und Eddie hatten keinen Bock mehr auf Gigs; nach dem Tod ihres Freundes Marc Bolan werfen sie gar das Handtuch. In den letzten Jahren konnte man sie hauptsächlich als Backing-Sänger hören – u. a. bei den Psychedelic Fürs. Doch als in jüngster Zeit das Interesse an ihren 60er-Hits wieder anzog, kam plötzlich die komplette Turtels-Besetzung aus ihren Verstecken. Und nun singen sie wieder „Happy Together“.

The Animals: Kurz, ganz kurz, gab es sie wieder in der ursprünglichen Vor-Flower-Power-Besetzung. Sie nahmen vor rund einem Jahr ein Album auf und tourten, begleitet von begeisterten Kritiken, durch die USA. Inzwischen ist Eric Burdon wieder solo.

Pentangle: Jahrelang arbeitet Folk-Meistergitarrist Bert Jansen in einem Gitarrenladen und griff nur in Pubs für ’ne Pint gelegentlich in die Saiten. Auf ein Angebot des Cambridge Folk Festivals hin reformierte er Pentangle in der Originalbesetzung, bis auf Co-Gitarrist John Renbourne (ersetzt durch Mike Piggot). Bei der Firma Pläne ist gerade ein überraschend gutes Comeback-Album erschienen.

Hot Tuna: Bassist Jack Casady stand plötzlich ohne Band da, als Brian Marnell, Sänger und Songschreiber seiner Gruppe SVT, ins Gras biß. Um hier und da ein paar Rechnungen begleichen zu können, erweckten Jack und Gitarrist Jorma Kaukonen Tunas Marathon-Boogie-Sets zu neuem Leben. Zuletzt wurde Casady mit einer Truppe namens Yankees gesehen; Kaukonen war allein in Gesellschaft seiner Akustik-Gitarre auf Tour.

The Mahavishnu Orchestra:

John McLaughlin ist kein „Mahavishnu“ (bescheiden übersetzt: „Gottheit“) mehr; er hat die Verbindung zu Guru Sri Chinmoy gekappt.

Als einziges Gründungsmitglied ist Schlagzeuger Billy Cobham dabei. An den Keyboards: McLaughlins Freundin, die klassische Pianistin Katya Labecque.

Return To Forever: Die populärste Besetzung mit Chick Corea, Stanley Clarke, AI DiMeola und Lenny White fand sich unlängst für eine Tour zusammen.

The Blues Project: AI Koopers Gruppe vor Blood, Sweat And Tears, die erste weiße Bluesband, scheint’s jedes Jahrzehnt einmal zu versuchen. 1973 machten sie einen Anlauf, den aber niemand sonderlich beachtete. Diesmal wird’s wohl kaum anders sein.

The Youngbloods: Letzten Monat mit Jesse Colin Young, Jerry Corbitt und Lowell Levinger III. neuformiert. Schade, daß ihr früherer Drummer, der jazzige Joe Bauer, nicht mehr dabeisein wird. Er erlitt vor einigen Jahren eine Gehirnblutung, blieb gelähmt und kann nicht sprechen.

Chicken Shack: Eine Gruppe dieses Namens, wenn natürlich auch nicht in Ur-Besetzung, spielt unter Leitung von Stan Webb wieder in den kleinsten Clubs und Klos von London.

The Shadows: Ein TV-Album mit neu eingespielten Greatest Hits ging in England weg wie warme Semmeln. Inzwischen sah man die Gitarristen Hank Marvin und Bruce Welch gelegentlich bei Jams mit den Dire Straits.

The Mamas And Papas: Von hartnäckigen Finanzproblemen geplagt (Geldstrafen wegen Drogen-Vergehen), startete Papa John Phillips die Gruppe Ende 1981 aufs Neue. Größte Hürde: Mama Cass, die stärkste Stimme, war 1974 gestorben. Und die andere Mama, Michelle Phillips, redete nicht mehr mit ihrem Ex-Gatten. John füllte die Lücken mit seiner Tochter MacKenzie und „Spanky“ McFarlane von der Spätsechziger-Gruppe Spanky And Our Gang. Zuletzt wurden sie in kleinen amerikanischen Cabarets gesichtet. Und über die werden sie wohl kaum hinauskommen.

The Strawbs: Eine neue Version der Strawbs mit Leader Dave Cousins und Gitarrist Dave Lambert traf beim Cambridge Folk Festival (eine der letzten Bastionen des Hippietums) wieder zusammen. Ich sah ihren Auftritt im Fernsehen. Gräßlich!

Fairport Convention: Ihr früherer Bassist Dave Pegg (jetzt bei Jethro Tüll) organisiert einmal im Jahr eine Fairport-Reunion, bei der so gut wie jeder Veteran zur Stelle ist. (Sandy Denny ist entschuldigt, weil sie tot ist). Fairport ist zu einem unüberschaubaren Pool von Musikern geworden, die unter dem Schütze dieses Namens in den unterschiedlichsten Formationen auftreten. Gitarrist Richard Thompson hat gerade bei Polygram in Amerika einen Vertrag unterschrieben – und Fairports erster Sänger lan Matthews klingt überraschend gut auf seinem jüngsten Solo-Album „Line“. Soft Machine: Eine Gruppe, die die Frechheit besaß, sich Soft Machine zu nennen, zu der aber kein einziges(!) Original-Mitglied gehörte, spielte diesen Sommer eine Woche lang im Londoner Jazz Club Ronnie Scotts. Über die echten Soft Maschinisten unten mehr. Wenn du bis hierher gelesen hast-Glückwunsch! Du hast dir einen Drink verdient. Versuch aber ja nicht, ihn in Giorgio Gomelskys New Yorker Restaurant zu nehmen! Kosmopolit Gomelsky war einer der Großen im Musik-Business: Der erste Manager der Rolling Stones, der Yardbirds, von Julie Driscoll, Gong, Magmaund John McLaughlin. Ende der 70er beschloß er, sich die korrupte Pop-Welt von den Händen zu waschen. Er eröffnete ein Restaurant. Ein spezielles Restaurant, das nur ein einziges Gericht auf der Karte hatte. Natürlich von ihm selbst gekocht. Giorgio suchte auch jede Nacht die Gäste und das Gesprächsthema aus. Und am Ende des Abends kassierte er persönlich. Alles lief bestens, bis ihm eines Tages die New Yorker Polizei den Laden dichtmachte. In seinem Enthusiasmus hatte Gomelsky vergessen, die Alkohol-Lizenz zu beantragen!

Er überließ Bill Laswell das Restaurant als Übungsraum; prompt wurde dort (das Schicksal geht seltsame Wege) die Gruppe Material gegründet. Momentan kümmert sich Gomelsky um den kanadischen Songwriter Jesse Winchester. Vielleicht liegt’s am schrecklichen Essen auf Tourneen, daß Musiker so gern ins Restaurant-Geschäft einsteigen. Boz Scaggs hat seine Kehle Kehle sein lassen, um in San Francisco zur Kelle zu greifen und ein texanisches Restaurant aufzumachen. Und Sonny Bono, früher mal der Sonny von Sonny and Cher, führt ein Restaurant in Los Angeles. Wer auf Fliegen in der Suppe verzichten will, sollte ihn lieber nicht nach Cher fragen. Und ihn auch nicht daran erinnern, daß er mal einen Song mit dem Titel „Laugh At Me“ geschrieben hat.

Yes sind an verschiedenen Gesundheitsläden beteiligt; Carlos Santana finanziert ein vegetarisches Restaurant, das seine Frau betreibt. Und Kevin Ayers, selber Chef-Gourmet, hat zu Hause in Deya auf Mallorca ein bislang unveröffentlichtes Kochbuch geschrieben.

Die Musik ist bei ihm in letzter Zeit in den Hintergrund getreten. Man kann ihn gelegentlich sehen, wenn er mit den Kindern von Schriftsteller Robert Graves in örtlichen Kneipen Beaties-Songs singt. Weiter mit Essen und Trinken: James Taylor und sein Bruder Hugh haben ihre eigene Brauerei aufgemacht und verkaufen „Taylor’s Lighthouse Lager“. Aber Taylor (so sagen die zuverlässigen Quellen) hat in jüngster Vergangenheit einige „seltsame Veränderungen“ durchgemacht. Nach eigenen Angaben ein notorischer Freund aller Gifte, hat er seinen Körper jetzt einem radikalen Frühjahrsputz unterzogen. Worauf ihn prompt seine Muse verließ. In Montserrat war er mitten in der Arbeit an einem neuen Album, als sich das Geschöpf auf Nimmerwiedersehen verflüchtigte. Prompt bekam er keinen Song mehr zusammen. (Dasselbe passierte übrigens auch Warren Zevon, als der das Trinken aufhörte.) Und dann noch ein Grund zur Panik: Die wenigen Haare, die James noch geblieben waren, sind ihm jetzt auch noch ausgefallen. Er ist kahl wie ein Flying Picket und fragt sich, ob er sein einst so hübsches Gesicht überhaupt noch auf ein LP-Cover stecken soll. Um das Maß der Ungerechtigkeit voll zu machen, hat ihn seine Frau Carly Simon für AI Corley vom Denver Clan sitzengelassen. Andererseits sind diese beiden auch nicht sooo glücklich. Corley hat gerade ein Album mit Songs über eine schwierige Beziehung veröffentlicht – und Simon entwickelte eine derartige Bühnenangst, daß sie nicht mehr live auftreten kann. Mann! Da oben geht’s zu… da kann man Gott ja nur danken, daß man ein derart unspektakulärer Furz geblieben ist. Oder? Versuchen wir’s mit einer anderen Unter-Gruppierung:

Missing in action

Syd Barrett: Erst stampfte er mit den ersten Pink Floyd praktisch im Alleingang Londons Psychedelia-Szene aus dem Boden, dann haute sich der große Syd zuviel LSD ins Hirn und wurde gebeten, die Gruppe zu verlassen, die er selbst gegründet hatte. Er wird nie zurückkommen. Lebt mit Mami in Cambridge und heißt jetzt ganz schlicht Roger Barrett. Skip Spence: Der kalifornische Syd Barrett. Skip trommelte für Jefferson Airplane, kehrte dann an die Gitarre zurück, um die wunderbaren Moby Grape aus der Taufe zu heben. Nahm Heroin und packte es nicht. Spielte in einer Vor-Formation der Doobie Brothers, war aber schon zu jenseits von Gut und Böse, um bei der Stange zu bleiben. In den 70ern unternahm er diverse mißlungene Versuche, Moby Grape wiederzubeleben.

Hey, aber dafür ist der wundervolle Sly Stone aus der Versenkung aufgetaucht – jener Mann, der schon Jahre vor „2-Tone“ und Special AKA Lieder für eine gemischtrassige Zukunft sang. In einem rassistischen Amerika dem Optimismus das Wort zu reden, war allerdings eine Nummer zu groß – und irgendwann hatten sie Sly am Wikkel. Seit den Mitt-70ern wurde er unzählige Male festgenommen und eingelocht; bis vor kurzem war er Insasse der Lee-Nervenklinik in Florida. Inzwischen ist er als Gaststar mit dem ähnlich restaurierten Bobby Womack wieder auf Tour.

Spencer Davis hat sich ebenfalls jahrelang mit (wie es immer so schön heißt: persönlichen Problemen“ herumgeschlagen. Bis 1984 bestand Davis‘ herausragende kreative Tat dieses Jahrzehnts in seiner Harmonika-Einlage auf der Todd Rundgren Live-LP. Mittlerweile steht er wieder auf der Bühne und nennt auch ein Album sein eigen: CROSSFIRE ist geradezu eine Orgie für „Boring Old Farts“. Bei einer Nummer singt er mit Dusty Springfield; Flo und Eddie sind ständig dabei, ebenso Booker T. und Elton John-Gitarrist Davey Johnstone.

Nebenbeschäftigungen

Die Zombies waren schon immer ein Fall für sich. Ihre Karriere in den 60ern wurde mit ihren akademischen Abschlüssen gehypt. Das waren keine dreckigen Gammler. Sir, einige trugen sogar Brillen!

Das Image saß. Colin Blunstone ist in der gesamten Popwelt wohl der einzige, der je das Rampenlicht verließ, um Versicherungsvertreter zu werden. Natürlich versuchte er mehrfach ein Comeback – als Solo-Sänger und als Stimme auf Dave Stewarts Single „What Becomes Of The Brokenhearted“. Zur Zeit leitet er eine Band mit dem unglücklichen Namen Keats: zur Gruppe gehört auch ex-Them, und -Camel Organist Peter Bardens.

Die anderen Zombies gehen ausgefalleneren Beschäftigungen nach: Schlagzeuger Hugh Grundy ist in London im „Pferde-Transporf‘-Geschäft – und Bassist Paul Arnold arbeitet als Arzt in Schottland.

Einer der unermüdlichsten Vertreter „progressiver“ Rockmusik war Caravan, die 15 Jahre durchknechteten und trotzdem auf keinen grünen Zweig kamen. Bis sie resigniert das Handtuch warfen. Jetzt ist Sänger/Songschreiber/Gitarrist Pye Hastings Manager bei einer Firma, die Maschinen für Erdbohrungen verkauft. Organist Dave Sinclair hat ein Klaviergeschäft in Herne Bay bei Canterbury, wo er glücklich und zufrieden den ganzen Tag Keyboards spielen darf: Bassist Richard Sinclair schließlich lebt davon, daß er Küchen einrichtet (Spülbecken installieren. Gas anschließen, Schränke zusammenbauen).

Letztes Jahr allerdings hat er zusammen mit ex-Soft Machine-Bassist Hugh Hopper eine LP eingespielt. Bei dem Glück, das die Caravan-Leute immer haben, wurde sie natürlich nie veröffentlicht: Die Plattenfirma machte pleite.

Hopper, nicht faul, hat mehrere Romane und Hörspiele geschrieben. Er schreibt auch weiterhin Songs mit dem berühmten, im Exil lebenden Journalisten Steve Lake. Um Angebote von Plattenfirmen und Verlegern wird hiermit gebeten – 20 todsichere Hits warten nur darauf, zu klingender Münze gemacht zu werden!

Die anderen Soft Maschinisten: Robert Wyatt ist, obwohl er in Spanien lebt, immer noch recht aktiv. Kürzlich hat er eine neue LP veröffentlicht, „Work In Progress“. und außerdem auf anderer Leute Platten gesungen: Working Weeks „Vinceremos“ ist dafür ein schönes Beispiel.

Organist Mike Ratledge betreibt zusammen mit Saxophonist Karl Jenkins eine Firma, die Jingles für Fernsehspots herstellt (In Ratledges Fall eine ärgerliche Verschwendung von Talent). Original-Gitarrist Daevid Allen, später Initiator von Gong, ist nach einem erfolglosen Gastspiel bei der New Yorker New-Wave-Szene wieder in seiner Heimat Australien.

Wo wir grad bei New Yorker New Wave sind: Gehört Blondie auch schon zu den „langweiligen alten Fürzen“? Wenn ja, dann haben wir hier eine klassische Vom-Prinzenzum-Bettler-Geschichte. Erschlagen von nicht aufzubringenden Steuernachzahlungen fühlten sich Debby Harry und Chris Stein 1983 über Nacht vom Glück verlassen. Obendrein fing sich Stein eine mysteriöse Krankheit ein, die die Ärzte immer noch nicht diagnostizieren konnten.

Alternde New Yorker New Wave-Legenden:

Patti Smith: Sie hat sich offenbar entschlossen, eine gute amerikanische Hausfrau zu bleiben und lebt zurückgezogen mit Ehemann Fred „Sonic“ Smith, früher bei den MC 5.

New York Dolls: Johnny Thunders lebt noch immer, ist entgiftet und gibt in London Konzerte. Dolls-Sänger David Johansen tritt unter dem Pseudonym Buster Poindexter mit einem Repertoire aus alten Kabarett-Songs in New Yorker Clubs auf.

Wayne County: Nach einer Geschlechtsumwandlung tritt er/sie als Jayne County auf und strippt meist bei seinen/ihren Shows, um den Erfolg der Operation zu demonstrieren.

An die Religion verloren:

Richie Furay: Dem einst besten Rockballaden-Schreiber des Country-Rocks ging alles verschütt. als er den legendären Jesus entdeckte. Ebenfalls, Jesus sei Dank, ist Roger McGuinn wieder da. wo er angefangen hat: in den Folk-Clubs. Gleichzeitig gewinnt der Einfluß seiner alten Band, der Byrds, immer mehr an Bedeutung.

Und AI Green ist nicht mehr der Welt größter Soul-Sänger, sondern ließ sich, Little Richards Vorbild vor Augen, zum Priester weihen. Danke. Jesus, danke.

The Incredible String Band

schloß sich Ron Hubbards Scientologen an, nachdem sie gemerkt hatten, daß die Lebenserwartung drastisch sinkt, wenn man 365mal pro Jahr LSD schluckt. Ihr künstlerisches Potential nahm drastisch ab, dann lösten sie sich auf.

Robin Williamson lebt an der amerikanischen Westküste und leitet „Robin Williamson’s Merry Band“. Mike Heron ging nach New York: das letzte Lebenszeichen besagte, daß er seinen Lebensunterhalt als Songschreiber zusammenkratzt. Auch Van Morrison, AI Jarreau und Leonard Cohen haben mit Scientology geliebäugelt (Cohen treibt momentan eine Variante der Transzendentalen Meditation und kündigt für die nächsten Wochen eine Tour an), aber die hartnäckigsten Scientology-Anhänger sind Chick Corea und Nicky Hopkins (ex-Jeff Beck, ex-Quicksilver, ex-Stones). Hopkins und Corea spielen beide auf dem „Soundtrack“ (!?) zu L. Ron Hubbards Buch „Battlefield Earth“ (BPI Records) mit.

Die beiden Mädels der kurzzeitig populären Band X-Ray Spex – Laura Logic und Poly Styrene – singen jetzt im Rada Krsna Tempel den ganzen Tag Hare Krishna. haben allerdings schon angedroht, daß sie sich bald mit Krishna-beieinflußter New Wave-Musik zurückmelden (Hnnm, die Welt kann’s kaum erwarten!) Cat Stevens dient jetzt Allah – wir haben neulich detailliert darüber berichtet.

Sandie Shaw: Buddhistin. Weil alles auf dieser Welt ohnehin bloß Illusion ist, strebt Sandie nicht mehr nach illusorischem Pop-Ruhm. Aber wenn du sie nett fragst, singt sie vielleicht für dich; daher die Zusammenarbeit mit Heaven 17 und den Smiths.

Satanismus ist definitiv nicht empfehlenswert. Beach Boy Dennis Wilson hatte mal die ganze Charles Manson Familie bei sich hausen: die Beach Boys nahmen bekanntlich sogar einen von Mansons Songs auf. Dennis ist inzwischen definitiv tot; bei den anderen kann man sich nicht sicher sein. Die Beach Boys von heute singen für Reagan. Bei der Party zu Ronalds Amtsantritt sangen sie „California Girls“ und änderten den Text in „I wish we all could be republicans“. Reagan. Manson – wo ist da der Unterschied? Charlie hat auch niemanden persönlich umgebracht . . .

Dinosaurier mit Stehvermögen:

Jefferson Starship: Bislang war Paul Kantner das einzige konstante Mitglied in Dutzenden von Inkarnationen als Airplane oder Starship. Nun aber gerade hat er das Handtuch geworfen. China, seine Tochter mit Grace Slick (mit typischem Hippie-Witz hatten sie sie ursprünglich „God“ getauft), singt mittlerweile Backing-Vocals in der Band. So etwas kennzeichnet eine alte Band – daß die Kinder die Eltern ersetzen.

Jefferson Airplanes Gründer, der phantastische Marty Baiin, erhält in New Yorker Clubs viel Applaus; er spielt inzwischen eher soul-orientierte Musik. Über Balms Nachfolger, Mickey Thomas (ex-Elvin Bishop Band) kursieren Gerüchte, daß er demnächst Steve Perry bei Journey ablösen wird. Perry will eine Solo-Karriere starten.

The Grateful Dead: Keine neue Platte seit 1981, als zwei Doppelalben veröffentlicht wurden, auf denen nicht ein neuer Song war. Trotzdem bleiben sie in Amerika eine der populärsten Tour-Attraktionen. Nach dem Mangel an neuem Material gefragt, antwortete Schlagzeuger Mickey Hart geheimnisvoll: „It takes time to grow a new head.“

Die Eagles: Wieder zusammen, allerdings ohne Glenn Frey, der behauptet, die Gruppe hätte lieber jung sterben sollen, „just like James Dean“.

Fleetwod Mac: Müssen auf Tour, damit auf Mick Fleetwoods Konto wieder Geld kommt. Mick wurde,

man will’s kaum glauben, im März für bankrott erklärt. Alle Gruppenmitglieder haben zumindest halbwegs erfolgreiche Solo-Platten veröffentlicht. Nur John McVie nicht; der organisiert in der Karibik Yacht-Kreuzfahrten für Millionäre.

Frank Sinatra: Seine Glaubwürdigkeit und Bedeutung wächst in dem Maße, je älter und klappriger er wird. Und mit der „Rückkehr des Jazz“ ist er über Nacht wieder in Mode. Wurde letzthin im eher Punk -orientierten englischen Magazin „Zig Zag“ vorgestellt – zwischen dem Gun Club und Xmal Deutschland!

Neil Young: Nach zwei erfolglosen Alben, dem Techno/Disco-Versuch TRANS und dem Rockabilly von EVERYBODYS ROCKIN‘, ist der traditionell unberechenbare Young mit einer neuen Band, den International Harvesters, zum Bestseller-Country Rock-Stil von HAR-VEST zurückgekehrt. Sein alter Sparringspartner Stephen Stills meldet sich mit seinem ersten Solo-Album nach Jahren ebenfalls zurück.

The Doors: Vielleicht das seltsamste Phänomen der Rockmusik. Bücher und Platten (GREATEST HITS, ein Live-Album, ein Album mit Dichtung, sporadische Wieder-Veröffentlichungen und neue Verpakkungen) finanzieren eine Industrie, die ihren Ertrag aus einer längst verflossenen Band bezieht. Die überlebenden Mitglieder kassieren – und finanzieren damit ihre eigenen Aktivitäten.

Captain Beefheart: Als sein Alter Ego Don Van Fliet hat’s der gute Captain als Maler schließlich doch zu Ruhm gebracht: Er stellt im New Yorker Museum Of Modern Arts aus.

Tja, und so könnte man endlos weiter machen. Falls Euer Lieblings-Verschollener nicht erwähnt wurde, so bitte ich vielmals um Entschuldigung. Schickt eine Postkarte mit Eurer Anfrage – und wir richten vielleicht eine gelegentliche „Was passierte eigentlich mit…“-Kolumne ein.

Während ich das schreibe, singt Sade im Radio. Mir wird plötzlich klar, daß sie eigentlich den Stellenwert hat. den Julie Driscoll in den 60ern besaß: Sie ist auch eine Neo-Jazz-Sängerin, Fashion Model und alternatives Sex-Symbol.

Vor einigen Monaten aber hat Working Week, in meinen Augen die angesagteste neue Band weit und breit, Julie aus ihrem Versteck gezerrt und dazu beredet, auf ihrer Single „Storm Of Light“ zu singen. Und obendrein, oh Schreck, hat Julie nicht nur wieder einen Popsong gesungen, sondern trat auch noch im Video auf …

Wenn das hier eine Fernseh-Dokumentation wäre, würde ich jetzt „Turn! Turn! Turn!“ von den Byrds einspielen. „To everything, there is a season …“

Die Formel könnten wir von Einstein haben: Es gibt auch im musikalischen Fortschritt keine geraden Linien. Egal, wie weit du in deine Richtung gehst – früher oder später kommst du immer wieder da an, wo du einmal angefangen hast.