Interview

Grimes‘ Grafik-Designer im Interview: „Vielleicht können wir ja mal was für Elon Musk und Tesla machen!“


Bradley G Munkowitz alias GMUNK und sein Chefgrafiker Peiter Hergert gestalteten im Auftrag von Grimes das erstaunlich detaillierte „Interface“ auf dem Cover ihres neuen Albums MISS ANTHROPOCENE. Ein Interview für Grafik-Nerds, Simulationstheoretiker, Gott-Designerinnen und natürlich Grimes-Fans. 

Grimes zeichnet bekanntlich einen Teil ihrer Artworks selbst. Für ihr neues Album MISS ANTHROPOCENE hat sie unter anderem aber noch den Designer Bradley G Munkowitz alias GMUNK an Bord geholt. Mit ihm und seinem Grafiker Peiter Hergert sprachen wir per Skype über die Entstehung und den Arbeitsprozess. Grimes selbst sagte in einem der leider sehr raren Interviews zum Album: „Es ist eine moderne Dämonologie, eine Art Pantheon. Jeder Song steht für eine Göttin, die wiederum für eine bestimmte Art des Todes oder der Zerstörung der Welt steht.“ Das Wort Anthropozän wiederum benennt das Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist.

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Wie kam die Zusammenarbeit mit Grimes zustande?

GMUNK: Sie haben mich ganz klassisch über das Internet gefunden. Ihr Label hat mich dann kontaktiert. Sie kannten meine größeren Arbeiten für Windows 10 sowie für Filme wie „Oblivion“ und „Tron: Legacy“ und fanden meine Ästhetik sehr inspirierend. Sie wollten in Richtung Science Fiction gehen und die „User Interface“-Designs, die ich für diese Filme gemacht habe, trafen ihren Nerv.

Wie darf man sich den weiteren Prozess vorstellen? Gab es Treffen mit ihrem Team? Ein Briefing? Telefonkonferenzen?

GMUNK: Sie schickte uns ihre künstlerischen Anweisungen in einem geradezu epischen 50-Seiten-Dokument, das vor Kreativität regelrecht explodierte. Darin war die gesamte Backstory des Albums aufgeschrieben – die Biografien all dieser Göttinnen, die riesigen Multi-Media-Firmen, die über die Menschheit bestimmen und all ihre Gedanken zu dieser Storyline. Für mich ist diese Geschichte die perfekte Kombination aus Fantasy und Science Fiction. Mich haben vor allem Grimes‘ Kreativität und der Detailreichtum beeindruckt. Unsere Arbeitsaufgabe war es nun, ausgehend von ihrer Mythologie eine Art „Photoshop Interface der Zukunft“ zu gestalten, voller Easter Eggs und Verweise auf ihre Backstory und die künstlerische Richtung des Albums. Das war also eine Menge Content, den wir da unterbringen mussten.

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Peiter: Ihr Briefing sagte im Kern: Designt ein Programm, das auf der Simulationstheorie basiert. Eines, mit dem man Gottheiten und eigene Welten erschaffen kann. Es sollte aussehen, als wäre man gerade selbst in dieses Programm eingeloggt. Wir haben uns also gesagt: Lass uns alles nehmen, was wir an den Programmen lieben, mit den wir arbeiten, und in all die Menüs und Interfaces der Programme eintauchen, die für Simulationen und Content Creation genutzt werden.

GMUNK: Man muss Grimes einfach für ihre kreative Energie lieben. Für mich fühlt sich so an, als habe sie sich in den vergangenen Jahren ihre eigene Welt gebaut – eine Art Gothic-Fantasy-Punk-Welt.

Das Design eures Programms hat mich stark an Adobe Photoshop erinnert, vor allem die vielen Icons.

GMUNK: Klar, dass man als Grafiker zuerst an Photoshop und diese Paletten-Darstellung denkt, aber Autodesk May und Houdini sind da recht ähnlich: Sie alle haben diese Regale und Icons und Arbeits-Docks und eben die verschiedenen Tools zur Content Creation. Wir haben diese Interface-Strukturen aufgegriffen und wollten sie so detailliert wie möglich gestalten. Also haben wir einen groben Aufbau konzipiert und dann all diese Icons, Farb-Paletten, Zeichengeräte und Simulations-Tools erfunden. Aber wir wollten auch, dass das Coverbild eine optische Textur bekommt. Ich habe die Datei am Ende in ihrer größtmöglichen Auflösung auf meinem 31-Zoll-Monitor geöffnet und sie abfotografiert. So hat das Bild diese Monitortextur bekommen und wirkt realistischer. Wir mussten natürlich ein wenig lachen, als wir sahen, dass sie im Inlet des Albums dieses Bild auf einen Felsen montiert hat – davon wussten wir nichts. Aber wir fanden es lustig.

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Wer das Bild genau anschaut, findet zum Beispiel Textzeilen innerhalb eines Programmier-Codes in einem Fenster, oder eine Art grafische Interpretation eines Liedes. War das euer Ansatz?

Peiter: Ja – und es gibt wirklich hunderte oder gar tausende solcher Details und Zitate im Artwork. Als wir das Briefing verinnerlicht hatten und uns die ersten Songs erreichten, wussten wir was zu tun war. „Violence“ und „My Name Is Dark“ zeigten uns sehr genau, was in Grimes‘ Kopf vorgeht. Von da an waren wir im Flow. Jedes dieser Module auf der linken und rechten Seite – neben dem zentralen Projektfenster mit der „Miss Anthropocene“ – nimmt Bezug auf die Songs und ihre Titel. Links hast du zum Beispiel eine Art „Doomsday Counter“, der dir vorrechnet, wann es zur Apokalypse kommt, wenn die Klimafaktoren außer Kontrolle geraten. Auf der rechten Seite siehst du, wie politische Apathie wirkt und du hast dieses „Violence“-Tool zur unmittelbaren Gewaltanwendung. Wir haben das alles so designt, dass es tatsächlich nach einem konkreten Programm aussieht, das in sich schlüssig ist. Der Content selbst stammt aus den Songs und den Messages darin.

GMUNK: Auch technisch hat das Bild eine hohe Detailtiefe. Das finale Design hatte eine verrückt hohe Auflösung – 10.000 Pixel mal 10.000 Pixel bei 300 dpi. Uns hat es großen Spaß gemacht, mit unserer Arbeitsweise auf Grimes‘ verstörenden, wilden Lo-Fi-Style zuzugehen. Viele Zeichnungen, die von ihr kamen, waren sehr lo-fi, wie man es von ihren früheren Artworks kennt, andere waren diese wunderschön gerenderten Charakter-Designs, die wie Alien-Nymphen aussehen. Das mit unserem Hi-Res-Interface zu kombinieren war eine schöne Herausforderung. Und diese Detailtiefe waren wir ihr einfach schuldig, nachdem sie so unfassbar viel Kreativität in das Album, die Geschichte dazu und unser Briefing gesteckt hat.

Das ist das Artwork, um das es hier geht: Grimes' neues Album MISS ANTHROPOCENE
Das ist das Artwork, um das es hier geht: Grimes‘ neues Album MISS ANTHROPOCENE

Ich selbst benutze Photoshop nur manchmal, weil ich eher für Wort-Content zuständig bin, aber schon mir hat es unheimlich viel Spaß gemacht, die einzelnen Icons zu studieren. Wie hat sich das für euch angefühlt?

GMUNK: Großartig. Wir durften uns ja quasi die Photoshop-Tools der Zukunft ausdenken – natürlich ist das ein herrlicher kreativer Rausch. Wenn du da einmal drin bist, kannst du dich kaum dagegen wehren, darüber nachzudenken, wie die Software der Zukunft aussehen wird. Oder dich zu fragen: Wann ist die Technik wohl an dem Punkt, an dem diese Tools gebraucht werden? Wann kann man zum Beispiel Photoshop und 3-D-Drucktechnik dafür verwenden, organische Materie zu designen und so zu produzieren, dass sie überlebensfähig ist? Wie würden die Arbeitsmenüs für diesen Prozess aussehen? Wenn du dann noch ein wenig vom Grimes’schen Mystizismus in die Gleichung packst, kommt am Ende ein sehr seltsames, futuristisches Werkzeug raus.

Ihr solltet im Auge behalten, ob nicht bald jemand eines dieser Icons tatsächlich für ein neues Programm ausborgt.

GMUNK: Das wäre eine große Ehre, wenn das passieren würde. Vielleicht übernimmt ja Elon Musk eines für ein neues Tesla-Modell. Das wäre super. Ich muss zugeben, dass mich an diesem Job auch die Tatsache reizte, dass Elon wahrscheinlich unsere Designs zu sehen bekommen wird. Es ist ein schönes Gefühl, wenn einer der persönlichen Helden deine Arbeit zu sehen bekommt. Vielleicht können wir ja irgendwann mal was für Tesla machen. Hätte ich nix gegen.

Was mir noch auffiel: Die Göttin in der Bildmitte sieht ja so gar nicht nach eurem Stil aus. Kam dieses Motiv von Grimes selbst?

Peiter: Ja. Sie hat uns diese Illustration und eine ganze Dateien-Bibliothek mit gezeichneten und in 3-D gerenderten Motiven zur Verfügung gestellt. Wir haben schnell gemerkt, dass dieser Charakter „Miss Anthropocene“ zeigt – und als wir die Story zum Album bekamen, beschlossen wir, sie so zu inszenieren, als würde man sie gerade mit unserem Programm-Interface erschaffen. Wir haben die Illustration entsprechend bearbeitet, damit sie sich ins Programm einfügt. Es war für uns ein wichtiger Vertrauensbeweis, dass sie diese kreative Entscheidung von uns unterstützte.

Das Album steckt voller Anspielungen und Zitate – ihr habt es vorhin selbst eine Art „Gothic-Fantasy-Punk-Welt“ genannt. Außerdem gibt es Bezüge zur griechischen Mythologie, biblische Motive, es geht um den Klimawandel, um das Leben nach dem Tod. Wir sehr findet ihr euch in diesen Themen wieder?

Peiter: Ich bin in einer sehr strengen, christlichen Familie aufgewachsen – das Jenseits und das Leben nach dem Tod war also seit meiner Geburt Teil meines Lebens. Die Frage, was danach kommt, beschäftig mich seit ich denken kann. Grimes‘ Blick auf diese Themen ist sehr interessant und fühlt sich für mich sehr real an. Die Simulations-Theorie, auf die sie Bezug nimmt, ist mindestens ebenso spannend. Sie stellt ja quasi die Frage, ob wir wirklich als Menschen existieren oder bloß Teil einer Simulation sind. Wir haben einige Nächte gemeinsam gearbeitet und dabei die Fragen diskutiert, was das bedeuten würde. 

GMUNK: Wir sind sehr engagiert, wenn es um den Klimawandel geht und darum, unsere Welt für zukünftige Generationen zu erhalten. Wir sind außerdem ähnlich spirituell, glauben an ein Leben nach dem Tod und an die schöpferische Kraft unseres Unterbewusstseins. Ich habe als Kind viel Zeit mit Fantasy-Rollenspielen verbracht und war schon im jungen Alter kreativ. Ich mag mittlerweile ein professioneller Kreativer sein, aber ich liebe es noch immer zu träumen. Außerdem bin ich ebenso wie Grimes Fan von griechischer Mythologie, aber eben auch von Dungeons & Dragons, Clash Of The Titans und anderen Spielen aus dem Fantasy-Gerne. Das alles findet sich in ihrer Arbeit – und ich finde sie hat eine interessante Art, diese Einflüsse zu verbinden. Es ist eine Prise Cyperpunk, eine Löffelspitze Fantasy, eine Portion Science Fiction – gewürzt mit aktuellen Geschehnissen und Themen wie Karma und das Jenseits, die darin nachhallen. Dazu gibt sie dann ihre eigene Fiktion und macht diese schillernde Science Fiction daraus. Klar, finde ich mich darin wieder. Ich liebe Sci-Fi. Es war immer mein liebstes Genre, weil es dich zum Träumen bringt und dir den Glauben vermittelt, die Menschheit könnte sich mithilfe der Technik selbst retten. Genau das brauchen wir gerade. Wir brauchen diesen kreativen Tritt in unser Bewusstsein, damit wir endlich merken, wie sehr wir die Erde verschmutzen – sie ist die Einzige die wir haben, und wenn sie so richtig sauer auf uns wird, sind wir im Arsch.

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