Herbert Grönemeyer


Mit "Männer" wäre dem Bootsmann aus BOCHUM fast gelungen, was ihm eigentlich ein Greuel ist: der Nationalheld der schweigenden Mehrheit zu werden. Mit seinem neuen Album soll ihm das nicht wieder passieren: Grönemeyer macht Gedanken-SPRÜNGE.

ME/SOUNDS: Bevor das neue Album SPRÜNGE erschien, wurde es schon einmal umgetauft. Warum?

GRÖNEMEYER: „Ursprünglich sollte die Platte HOI heißen. Das ist, wie ich von Reisen weiß, ein Willkommensgruß in der Schweiz und in Holland. Mir gefiel dieser Titel gerade deshalb so gut, weil er keine tiefere Bedeutung hat. Hierzulande wird ja alles gerne mit Sinn überfrachtet.

Als aber kürzlich Skinheads durch Gewalttätigkeiten Schlagzeilen machten, erinnerte mich HOI zu stark an deren Schlachtruf „Oi Oi“. Einer solchen Assoziation wollte ich auf gar keinen Fall Vorschub leisten…“

ME/SOUNDS: Wie würdest du als Urheber — die musikalische Entwicklung von BOCHUM zu SPRÜNGE beschreiben?

GRÖNEMEYER: „SPRÜNGE ist sicherlich eine Fortführung von BOCHUM, ausgereifter, mit der Erfahrung von zwei Jahren im Rücken, aber musikalisch nicht etwas völlig anderes. Textlich bezieht es sich stärker als BOCHUM auf nationale Phänomene, auf die politische und soziale Großwetterlage: mit Liedern über das neue deutsche Lächeln, den Hang zur Verinnerlichung, der allgemeinen Angst usw.

Nimm z.B. die sogenannten Yuppies —- deren adrettes Äußeres, deren erfolgsorientiertes Handeln ist doch letztlich nur die Gegenreaktion auf die 60er Generation, die angeblich den Protest für sich gepachtet hatte. Das dauernde , Was haben wir alles gemacht‘-Gerede der 68er-Eltern ist -— wenn man’s überzogen sieht -— nichts anderes als das Gerede unserer Eltern vom Krieg.

Ein Lied handelt von dem neuen deutschen Nationalgefühl Leistung: ,Wir sind wieder wer!‘, ,Es geht voran‘ … Vor diesem eigentlich amerikanischem Prinzip, vor den Einzelkämpfern a la Rocky und Rambo, vor der Maxime des ‚Jeder kann es schaffen‘ habe ich berechtigte Angst. Diejenigen, die überhaupt keine Chance kriegen, etwas zu schaffen, gehen nämlich dabei immer leer aus. Erfolg zu haben — d.h. die Chance erhalten, sich öffentlich zu beweisen , ist heutzutage Glückssache. Das darf man nicht vergessen! Die Welt steht eben nicht jedem offen — und jeder, der das behauptet, lügt.

Außerdem —- und das habe ich in den letzten zwei Jahren bemerkt -— verselbständigt sich der Erfolg unheimlich schnell. Das, was man tut, hat ganz plötzlich eine andere Wertigkeit. Es wird unwichtig, was in der Dose ist -— man weiß nur, daß die Dose Erfolg hatte. Und jeder will damit Geschäfte machen. Man ist plötzlich ein Produkt, ein Marktwert — und das unabhängig davon, ob man Heino oder Grönemeyer heißt.

Dagegen kann man nur angehen, wenn man konsequent sein Ding durchzieht. Es geht mir also nicht darum, auf Teufel komm raus die Ansprüche hochzuschrauben, sondern darum, weiterzumachen -— fast so, als sei nichts geschehen.

Von der branchenüblichen Kurzlebigkeit halte ich sowieso nichts. Meine Firma wollte SPRÜNGE ja auch viel früher haben, um rechtzeitig bei dem und dem Geschäft dabei zu sein. Aber ich sagte, das geht nicht. Sicher, man erfährt immer wieder von den markttechnischen Zwängen und Strukturen, aber davon versuche ich mich weitgehend loszumachen, sonst fabriziert man nur noch Müll.“

ME/SOUNDS: Apropos Müll. Auf dem Popsektor wird die akustische Umwelt ja sehr häufig verschmutzt- Wie und worin unterscheidet sich die klassische Rockmusik davon ?

GRÖNEMEYER: „Sicherlich hat die Rockmusik in ihren Ursprüngen — egal, wo die im einzelnen liegen — eindeutig politische Funktionen. Sie war provokant in jeder Beziehung, war gegen das Establishment und erzeugte eine ständige Reibung. Als Musiker bin ich bestimmt kein Bilderstürmer. Ich stehe zu meinen Kompositionen, aber außergewöhnlich sind meine Songs nicht. Darum versuche ich, über die Text-Schiene dieses Moment des Unbequemen hereinzubringen. Es geht nicht darum, Kunst mit Ewigkeitswert zu machen, aber man sollte doch bemüht sein, nicht in diesem Sog des Konformismus unterzugehen.

Es ist nicht besonders schwer, die ‚Ware‘ Musik so abzukarten, daß sie locker mitschwimmt und ins systemkonforme Bild paßt. Den Markterfolg spekulativ abzuschätzen, etwa anhand der möglichen Fernseheinsätze, das ist heute durchaus möglich. Man darf nicht so arrogant sein zu glauben, daß man nicht korrumpierbar ist. Es geht also darum, sich dieser Gefahren bewußt zu sein.

In der Popmusik verlangt man von dir, eine Figur hochzustilisieren. die man selbst nicht ist. Da wird’s irgendwie schizophren. Als Rockmusiker bleibt dir dies zumindest erspart. Er hat die Möglichkeit, Musik zu machen — auch wenn er keinen Erfolg hat. Ein klassischer Popmusiker könnte das nicht. Er muß ganz vorne in den Charts stehen, er wird an der Menge der Autogrammkarten gemessen, an seiner Medienpräsenz. Er leidet an diesem Hollywood-Syndrom.“

ME/SOUNDS: Man sagt, daß in dunklen Zeiten die Sehnsucht nach Stars, nach Glitter und Glamour steigt. Gilt das auch in der BRD?

GRÖNEMEYER: „In gewisser Weise ja. In ‚Tanzen‘ heißt es: Wir lieben die Extreme. Ein typisch deutsches Problem. Wir überspringen stets ganze Phasen. Da war dieser ausgeprägte Minderwertigkeitskomplex nach dem Krieg —- und jetzt das neue deutsche Nationalgefühl.

Was uns dabei -— stark vereinfacht gesagt -— fehlt, ist das Selbstbewußtsein als ein Bewußtsein, das Selbstkritik einschließt, das seine Schwächen und Fehler kennt. Stolz ist immer falsch, weil er die Differenzierung nicht vollzieht. Das ist amerikanisch. Wir sind stolz. Päng!

Und genau das ist auch in punkto Glamour die Gefahr. Wir kippen die Schwächsten einfach raus, die Häßlichen werden ausgeklammert. Wir lieben das Schöne, das Fröhliche, das Erfolgreiche und Starke. Nur ja nichts Unangenehmes! Das ist Schwachsinn! Dadurch frißt man sich innerlich auf.“

ME/SOUNDS: Das Phänomen der Amerikanisierung hast du ja schon auf BOCHUM reflektiert. Ist das immer noch ein Thema für dich ?

GRÖNEMEYER: „Sicher. Man macht hierzulande gerne den Fehler, amerikanische Unsitten blind zu übernehmen. Das wird natürlich auch von oben mitgesteuert. Okay, man argumentiert allgemein so, daß einer besiegten Nation nichts anderes übrigbleibt, als den Lebensstil der Besieger zu übernehmen, aber nach all den Jahren wirkt das auf mich so. als würde man mit 45 noch bei seiner Mutter leben.“

ME/SOUNDS: Wenden wir das Ganze mal musikalisch. Bist du nicht auch von englischer und amerikanischer Musik beeinflußt?

GRONEMEYER: „Jein! Sicher bin ich von angloamerikanischer Musik beeinflußt, aber wenn man sich meine Kompositionen mal genau anschaut, dann bemerkt man, daß ich auch von der europäischen Klassik viel gelernt habe — harmonisch und kontrapunktisch und in zig anderen Beziehungen. Außerdem gibt es da auch eine gewisse Nähe zum deutschen Volkslied. Und speziell in den Texten versuche ich — wie schon eingangs erwähnt — auf die deutsche Situation einzugehen und jede falsche Internationalität zu vermeiden. Dieses Moment ist bei SPRÜNGE vermutlich so stark, daß es einigen Herrschaften aufstoßen wird. Diesem Modern-Talking-Syndrom — egal, woher wir kommen, Hauptsache international — wollte ich auf jeden Fall entgehen.“

ME/SOUNDS: Ich habe kürzlich den nachdenklich stimmenden Satz gelesen: „Wir wissen zwar auch nicht genau, wo es langgeht, aber wir machen trotzdem …“ Wie schwer oder leicht fällt dir persönlich die Standortbestimmung 1986. Hast du ein intaktes Wertesystem?

GRONEMEYER: „Sicher, aber Standortbestimmungen halte ich prinzipiell für gefährlich,denn sie haben mit Prinzipienreiterei zu tun. Doch was hierzulande passiert, ist eigentlich noch viel schlimmer als die Standortbestimmerei. Wir wissen viel, verdammt viel, wissen auch um Fehler, die gemacht werden. Aber das neue deutsche Prinzip: Wir wissen darum und tun nichts dagegen. Wir geben sogar zu, daß wir Fehler machen, aber bei dieser Kosmetik bleibt’s dann auch oft.

In der Politik ist das zur Zeit brutalst. Die Grafen da oben treffen sich, lachen sich ins Fäustchen und machen, was sie wollen, weil die Leute keinen Druck mehr auf sie ausüben. Ich versuche für mich, ganz klare Linien zu ziehen. Südafrika muß man boykottieren! Peng! Ganz doof eigentlich, westfälisch stur, aber eine Aussage. Oder: Politiker, die gravierende Fehler machen, müssen gehen. Die habe ich gewählt — und wenn die Mist bauen, Ende. Die Kluft zwischen oben und unten ist viel zu groß.

Die Kontrolle durch die Basis ist futsch. Es gibt klare Anhaltspunkte, die nichts mit Parteipolitik zu tun haben, nichts mit links oder rechts, sondern nur mit den normalen Anstandsregeln. Ich nenne nur ein paar Namen: Wörner, Zimmermann und Konsorten. Es gibt Fakten, die sind nicht wegdiskutierbar. In Südafrika prügelt man das aus den Leuten raus, was unseren Luxus garantiert.“

ME/SOUNDS: Schlagen wir von da einen Bogen zu den Aid-Aktivitäten und der deutschen „Band für Afrika“. Als Udo Lindenberg anläßlich des TV-Auftritts versuchte, die Hintergründe der Hungersnot zu ergründen, hat man in England gebuht, hat man ihm Kasernenhofton und Schulmeistern unterstellt. War das typisch deutsch ?

GRÖNEMEYER: „Das Absurde an diesem ganzen Thema hat Herman van Veen mal sehr treffend beschrieben. Er sagte: Man darf mit dem, was man macht, die Würde der Menschen, für die man es macht, nicht verletzen. Alle Künstler müssen ganz genau aufpassen, wofür sie sich engagieren und worüber sie schreiben. Man kann nicht zu allen Dingen eine dezidierte Meinung haben, aber die Gefahr besteht darin, daß man überall mitschwafelt. Die .Band für Afrika‘ hatte sich z.B. bei diesem Fernsehtag für Afrika bedeckt halten sollen. Da haben wir uns echt verscheißern lassen.

Um auf die Ursprungsfrage zu kommen: Natürlich hätte man von Herrn Geldof erwarten können, daß er mal klar Stellung bezieht. Es geht nicht darum, die Trauerfahnen rauszuhängen, denn das Ganze war auch und zuerst ein Pop- und Rockereignis, aber d.h. ja nicht Abwesenheit von Kritik.

Oder nimm nur die arrogante Selbstüberschätzung der Amerikaner mit ihrem , We are the world, we feed the world. ‚ Im Grunde schickt man denen doch nur das Geld zurück, das man Tag für Tag dort rausholt. Und dafür kriegt man dann auch noch ’ne Medaille.

Okay, Udo hat das in seiner vielleicht flapsigen Form gesagt —- und da fängt dann wieder diese leidige Form-Inhalt-Diskussion an, aber was er sagte, war richtig. Das mußte gesagt werden.“

ME/SOUNDS: War die Kritik von Marius Müller-Westemhagen berechtigt, der den Beteiligten studentisches Diskutiergehabe und eitle Profitsucht vorgeworfen hat?

GRÖNEMEYER: „Davon darf er sich selbst aber auch nicht ausnehmen. Also: Wir sind in punkto Entwicklung alle noch kleine Tüttelköppe. Uns fehlt jenes schauerliche Showtalent, das die Amerikaner und Engländer haben, und keiner soll so tun, als ob. Man muß sich eingestehen, daß wir mit deutscher Rockmusik ganz am Anfang stehen. In den letzten zwei Jahren gab’s wieder so etwas wie eine Aufbruchstimmung, und jeder dachte, jetzt stehen wir gut da. Aber mitnichten — im Vergleich zu Amerika oder England verfügen wir vielleicht über ein Zehntel der Tradition und Erfahrung, die man dort hat. Vorsicht ist geboten.

Wenn ich die Entwicklung der „Band für Afrika“ nachvollziehe, dann gibt es auch Punkte, auf die man stolz sein darf. Die vielgehaßte deutsche Gründlichkeit zeigte sich in diesem Fall von der besten Seite. Wir haben es — und ich glaube, dies gilt weltweit — geschafft, eine Benefizplatte zu veröffentlichen, an der wirklich keiner verdient. Das ist vertraglich festgelegt, wird von einem Wirtschaftsprüfer gegengecheckt und wurde unter Strafandrohung gestellt — keiner außer der GEMA, die ihre Verwaltungsgebühren abzieht, darf an .Nackt im Wind‘ einen Pfennig verdienen. Eins plus für uns!

Aber dann -— und da gebe ich Marius in gewisser Weise recht -— ging’s los. Der erste Fehler war, daß wir uns in dieses ARD-Konzept haben einspannen lassen. Der zweite Fehler war, daß wir in nur zwei Tagen alles über die Bühne bringen wollten und mußten. Aber unter den gegebenen Bedingungen — der knappen Zeit, der Anzahl der Beteiligten usw. — war das Ergebnis einfach toll. Montags und dienstags waren wir im Studio, mittwochs war die Platte da und donnerstags waren wir in der Sendung.“

ME/SOUNDS: Anderes Thema: Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Herbert Grönemeyer und seiner Band ab ?

GRÖNEMEYER: „Wir haben eine seltsame Entwicklung als Band durchgemacht. Ursprünglich nur als Begleitung engagiert, sind wir inzwischen zu einer intakten Einheit zusammengewachsen. Dadurch klingt SPRÜNGE auch so satt; alles steht wie eine Eins.“

ME/SOUNDS: Das Ganze firmiert aber unter Herben Grönemeyer…

GRÖNEMEYER: „Also, ich schreibe die Stücke und die Texte. Ich singe und spiele — mehr oder weniger — Keyboards. Die Platte ist eigentlich ein totes Medium, dem man soviel Leben einhauchen muß, wie’s eben geht. Darum stammen die Arrangements von der ganzen Band. Das Fett wird angebraten und jeder legt seinen Speck in die Pfanne. Musikalisch stehe ich nicht als der große Meister da, aber inhaltlich muß ich für das, was da abgeht, geradestehen.“

ME/SOUNDS: Wie gut bist du als Pianist ?

GRÖNEMEYER: „Eigentlich mittelmäßig. Ich bin der Meinung, daß man Musik macht aus dem Bauch heraus — und daß man das auch nicht analysieren kann. Kunst generell — also auch Musik — hat nichts mit Lernen zu tun, sondern zuallererst mit Intuition und Leidenschaft. Kunst ist eine Identität mit sich selbst, ein Sich-Hinstellen und etwas behaupten, was eigenständig ist. Nur das strahlt die Kraft aus. Entweder man trifft den Punkt oder man trifft ihn nicht.

ME/SOUNDS: Man hat dich in dieser Zeitschrift einmal des Pathos geziehen. Würdest du dem zustimmen ?

GRÖNEMEYER: „Ja – solange ich glaube, das für mich verwenden zu können. Wenn ich z. B. „Scheiße“ schreie, dann ist das pathetisch. Im Alltag ist man ja auch nicht immer so distinguiert. Alle Gefühlsausbrüche, jede Liebeserklärung —- alles pathetisch. Nur das Pathos darf nicht zum Gesetz werden, zum wagnerianischen Brunftgebrüll.“

ME/SOUNDS: Gibt es deutsche Sänger oder Texter, die dich beeinflußt haben: Kurt Tucholsky, Bata Ulk oder Comedian Harmonists?

GRÖNEMEYER: „Zum Texten bin ich gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Ich bin weder besonders belesen, noch war ich in Deutsch besonders gut. Ich kann so vor mich hinquatschen, aber Songtexte zu machen — mein Gott, ich texte mir

wirklich einen ab. Das ist für mich das härteste überhaupt. Musik ist für mich ein Ausdruck meines Lebensgefühls. aber mit Texten hatte ich eigentlich überhaupt nichts im Sinn.

Mit der Tradition habe ich mich auch nicht beschäftigt. Nun, die Comedian Harmonists waren witzig. Nach dem Krieg wurde die deutsche Sprache natürlich mit Samthandschuhen angefaßt. Und die Liedermacher haben Gedichte mit Gitarrenbegleitung fabriziert. Die haben sich ja regelrecht in Diskursen ergangen und diskutiert.

Eine echte Weiterentwicklung fand erst wieder mit Udo Lindenberg und Nina Hagen statt: Udo, der völlig querbeet getextet hat, und Nina, die sehr frech und provokativ war. Danach kam die Neue Deutsche Welle, die das wieder auf ,Hub‘ und , Tut‘ und ‚Gut‘ reduzierte und damit die Sprache brutal entschlackt hat. Das war nicht schlecht, weil sie dem Deutschen erst einmal den ganzen Wust genommen haben.

Zur Zeit sind wir wieder bei einer Mischung aus .angeschlagen‘ und bedeutungsschwanger -— und da gehöre ich sicherlich dazu. Damit setze ich mich aber auch auseinander. Das Schlimmste ist, wenn man formalistisch seinen Weg zur Kunst sucht und sich in Formdiskussionen ergeht — dann ist alles schon vorbei. Der intelligenteste und klügste Text nützt dir nichts, wenn er dich nicht betrifft und den Leuten nicht in den Magen geht. Wenn man sich hinterher rechtfertigen muß und sagt: .Aber ich habe doch mein Lied so toll konstruiert und keiner versteht es, weil sie alle doof sind!‘, dann ist man selbst verblödet.

Um auf die Frage zurückzukommen: Ich habe keine speziellen Vorbilder. Ich mag Herman van Veen ganz gern und auch Marius, weil er immer frech geblieben ist.“

ME/SOUNDS: Ist der Schauspieler Herbert Grönemeyer inzwischen ins Hintertreffen geraten ?

GRÖNEMEYER: „Nein, einen Film habe ich gedreht — einen Vierteiler fürs Fernsehen, eine Familiengeschichte, bei der es um die 16 Farben und ihren Einfluß auf die beiden Weltkriege geht. Da spiele ich keine Riesenrolle, aber die Bücher und die Besetzung waren gut. Allerdings raubt einem so ein Erfolg wie BOCHUM wirklich den Atem.“

ME/SOUNDS: Was bringt dir die Schauspielerei im Gegensatz zur Musik ? GRÖNEMEYER: „Von der Entwicklung her war es ja so, daß ich als Musiker zum Theater kam. Die Schauspielerei war eigentlich ein Nebenprodukt. Die haben mich auf die Bühne gestellt und gesagt: ,Nun spiel mal, das kannste vielleicht auch noch …] Weil ich nie Schauspieler werden wollte.

hatte ich dazu ein ganz eigenartiges Verhältnis. Das fanden die besonders interessant.

Ich hatte das Glück, in Bochum in den 70ern an ein Theater zu kommen, das fröhlich war, frech, provokant, spannend, unterhaltsam. Da habe ich so vor mich hingespielt, habe Rollen total daneben gehauen, hatte auch die Chance, mich gründlich zu blamieren.

Sehr lange habe ich die Schauspielerei von dieser Spaß-Seite aus betrachtet. Inzwischen nehme ich das natürlich ernster. Ich beschäftige mich mit den Rollen, baue den Charakter auf usw. Aber selbst Profis haben mich immer davor gewarnt, nachträglich eine Ausbildung zu machen. Das verformt nur. Da wird nur Talent strukturiert. Ich habe schwerste Vorbehalte gegen Ausbildung in punkto Kunst. Natürlich fängt man, wenn man vor der Kamera steht, irgendwann an, sich mit dem Beruf zu beschäftigen. Dennoch fühle ich mich eigentlich in der Musik zu Hause.“

ME/SOUNDS: In der Öffentlichkeit sieht man das eher umgekehrt — der Schauspieler Grönemever ist da populärer als der Musiker.

GRÖNEMEYER: „Solange man mir den Musiker läßt und mich nicht auf den Schauspieler reduziert, ist mir das — ehrlich gesagt — völlig schnurz. Vielleicht drehe ich ja eines Tages meinen eigenen Film und kann dann da soviel von mir reinpacken wie in meine Musik.“

ME SOUNDS:“Das Boot“ war auch international ein großer Erfolg, öffnete sich dadurch die Tür nach Hollywood?

GRÖNEMEYER: „Sicher, aber das war viel zu früh für mich. Außerdem war es weiß Gott nicht mein Anliegen, in Hollywood Karriere zu machen. Es geht mir zuerst um den Inhalt — und da ist es mir egal, ob das gute Buch aus Amerika oder Albanien kommt. Man kann ja nicht filmen mit dem fatalen Wunsch, irgendwann mal eine Hollywood-Berühmtheit zu sein.“

ME/SOUNDS: Wie gut kennst du dich selbst? Was ist dein Hauptcharakterzug?

GRÖNEMEYER: „O Gott, ich bin sehr impulsiv und aufbrausend. Darum komm ich manchmal sehr böllerig daher. Ich bin trotzdem kein Mensch, der das Risiko sucht, sondern eher nachdenklich ist. Außerdem bin ich wohl gutgläubig. Man lernt sich wohl am besten dadurch kennen, daß man sich mit Menschen umgibt, die einen auf seine Fehler aufmerksam machen.“

ME/SOUNDS: So ein Erfolg wie BOCHUM bedeutet auch Geld, viel Geld. Gab es irgendeinen Wunsch, den du dir erfüllt hast, den du dir vorher nicht erfüllen konntest?

GRÖNEMEYER: „Nein – überhaupt nicht! Ich komme aus einem bürgerlichen Elternhaus, wo man auf materielle Dinge wenig Wert legte und mehr darauf achtete, die Kinder seelisch gut auszurüsten. Das klingt vielleicht eitel, denn durch die Filmerei, das Theater und nun die Musik lebe ich auf einem finanziellen Level, der angenehm zu nennen ist. Fazit: Geld hat mich nicht weitergebracht.

Es wäre dennoch gelogen, wenn ich behauptete, ich könnte ohne Geld leben. Erfolg verändert, Sehensweisen verändern sich, das Verhalten verändert sich. Man bleibt nicht der Alte, man altert schneller.“

ME/SOUNDS: Man sagt deutschen Musikern oft nach, daß sie wie ihre eigenen Roadies aussehen . ..

GRÖNEMEYER: „Das finde ich aber affig!“

ME/SOUNDS: Bist du modebewußt?

GRÖNEMEYER: „Modisch sind wir alle, stilisiert sind wir auch alle. Und wenn man Erfolg hat, wird sowieso alles, was du tust, stilisiert. Ich lege keinen besonderen Wert darauf, das mit Gewalt zu vervollkommnen. Ich vermittle mich durch meine Musik und versuche nicht, durch modische Dinge dem Ganzen noch ein Sahnehäubchen aufzusetzen. Wie ich mich anziehe — ob das nun modisch oder müsli ist — ist auch ein Ausdruck meiner Persönlichkeit, allerdings einer, über den ich nicht nachdenke. Gefährlich wird’s bei den am Reißbrett geplanten Images a la Modern Talking. Schlimm!“

ME/SOUNDS: Worüber kannst du lachen ?

GRÖNEMEYER: „Über alles… Ich lache über den größten Schwachsinn. Ich lache über Otto ebenso wie über Loriot oder Benny Hill oder… Ich bin ein unterhaltungstüchtiger, fröhlicher Mensch!“

ME/SOUNDS: Guckst du auch — wenn es geht — samstags die Sportschau ?

GRÖNEMEYER: „Klar. 18:05.“

ME/SOUNDS: Bist du zufrieden mit dem, was du bis jetzt erreicht hast?

GRÖNEMEYER: .Ja! Ich habe mir selbst nie Marken oder Ziele gesetzt. Ich lebe so vor mich hin und mache das, was ich machen will. Mein einziges Ziel: so intensiv zu leben wie möglich. Nicht verblöden. Ich bin zufrieden. Aber das ist kein Lebenszweck. Wichtiger ist: Ich muß wissen, daß es weitergeht. Wenn’s mir schlecht geht, setze ich mich ans Klavier und baue über die Musik Spannung ab. Solche Möglichkeiten machen das Leben lebenswert. Ich kann nur jedem empfehlen, ein Instrument zu spielen — egal, ob gut oder schlecht.“