Hirnflimmern: Carpe Diem, Volldepp!


Josef Winkler ist süchtig nach dem Leidenschafts-Virus. Nicht.

Ich hab mir voll das Hawaii-Exotica-Lounge-Music-Virus eingefangen! Ausreichend blöder erster Satz? Es ist ja so, wenn heute einer ein Stiegengeländer hinunterrutscht und ihm das so viel Spaß macht, dass er es unter Umständen mal wieder tun würde, dann hat er sich schon das Stiegengeländerrutsch-Virus eingefangen und würde sich, von einem Radiostraßenumfragemenschen zur Rede gestellt, sicherlich zu der Aussage versteigen, dieses Stiegengeländerrutschen, sapperlot!, das mache „regelrecht süchtig“.

Nein, es geht keine Nummer kleiner. Man kann nicht mehr einfach sagen, dieses oder jenes mache man ganz gern. Wenn keine „Leidenschaft“ oder „Sucht“ dabei ist, dann bist du nur so ein lauer Wurschtl, der nicht weiß, was er will. Vergeudete Lebenszeit, leidenschaftslos das Stiegengeländer hinunterzurutschen! Und richtig peppig wird so nonkonformistisch-leidenschaftliches Stiegengeländergerutsche sowieso erst, wenn man dazu eine Zisn raucht, die nachweist, dass man kein Maybe ist oder was ähnlich Lebensunwertes. Carpe diem, Volldepp!

Aber ach, ich höre derzeit ganz gern wieder eine schöne alte Platte des Vibraphonisten Arthur Lyman, „Hawaiian Sunset“, die sich schon seit Mitte der 90er in meinem Besitz befindet – also no Konsum involved, ha! –, aber erst jetzt las ich mir das faszinierende Halbwissen an, dass Lyman, den sie „King Of Lounge Music“ nannten, alle seine Platten in einer sogenannten „geodätischen Kuppel“ aus Aluminium mit quasi perfekter Akustik aufgenommen hat und dass diese Aufnahmen nach über 50 Jahren immer noch State of the Art sind. Da brat’ mir einer einen Storch!

Waaaahahahaha! Verzeihung, das ist gerade sehr lustig. Grad geht’s im Radio darum, ob Berlin(!) sich um Olympische Sommerspiele bewerben sollte. Aaaahahaha … waaaahahaha … Hahaha. Ha. Also: Das wäre ungefähr so, als würde ich jetzt, in diesem Moment, da ich schon wieder im vierten Tag der Deadline-Überziehung bin, bei meinem „Hirnflimmern“- Redakteur Reiner damit vorstellig, noch einen 15-Seiten-Essay über die popkulturellen Aspekte der Quantenmechanik ins Heft zu schustern. Reiner würde mit gutem Recht sagen: „Spezi, jetzt schreibst erst einmal deine 3000-Zeichen-Spalte fertig, und dann schaumer weiter.“

Wie süß, echt. Berlin und Sommerspiele! Da müssten sie jetzt schon mal den Plan B mitdenken, die dann im Winter 2028 in Katar abzuhalten. Dort war übrigens grad der Bundeswirtschaftsminister zu Besuch und hat in Bezug auf die örtliche Sklavenhaltung verlauten lassen, man dürfe von Katar „nicht zu viel verlangen“, das Emirat sei nun mal „ein Land, das immer noch, obwohl es sehr reich ist, auf dem Niveau eines Entwicklungslandes ist, das keinerlei Arbeitsrecht kennt“. Ah. Okay. Mir wiederum fällt hierzu eine Feststellung von Volker Pispers ein, einem meiner Lieblingsvolksaufklärer: „Sigmar Gabriel … früher waren Dick und Doof mal zwei Personen.“

Diese Kolumne ist in der Mai-Ausgabe des Musikexpress erschienen.