Hirnflimmern: Josef Winkler über Gravitationswellen und Hopsy & The Flopsies


Blast from the past: Vor 1,3 Milliarden Jahren sind zwei Schwarze Löcher zusammengekracht - und alle so: Yeah!

Jetzt wär man gern Physiker, was? Bitte? Gut, vielleicht nicht direkt Physiker, das wäre wohl etwas starker Tobak, aber als Physikinteressierte/r, als Physikaficionado hätte man gerade sauber was abzufeiern. Und wenn ich jetzt „gerade“ schreibe, dann lesen Sie das zwar erst zwei Wochen später, aber es gilt unverändert! Die Physiker/innen und Physikaficionados feiern nämlich eine „Jahrhundertentdeckung“, und wenn DIESE Typen das sagen – gerade Astrophysikern darf man ja ein recht aufgeklärtes Verhältnis zur Zeit und ihren Krümmungen unterstellen –, dann trägt das langfristig.

Josef-Winkler-Hirnflimmern-weiss.jpgNix von wegen „schnelllebige Zeiten“, nix von wegen „sensationell, die Neue von Hopsy & The Flopsies! Vielleicht schon jetzt eines der besten Pseudofolkstep-Alben des ersten Quartals 2016!“, und wenn der Plattenmeister im November über die Platten des Jahres abstimmen lässt, haben die meisten schon den Titel vergessen. Der Astrophysiker sagt auch nicht: „Vor 1,3 Milliarden Jahren gab es im All eine Kollision zweier Schwarzer Löcher, deren Gravitationswellen jetzt registriert werden konnten, wodurch der Beweis erbracht ist, dass Einstein mit seiner Relativitätstheorie richtig lag, aber dass jetzt die Bluetones-Reunion kommt, ist echt fast NOCH geiler!“

Wenn man mal mit Ereignissen operiert, die 1,3 Milliarden Jahre zurückliegen, ist man auf einem Zeitlosigkeits-Level angelangt, von dem sogar Bob Dylan nur träumen kann. Da nutzt sich nichts mehr ab. Noch in 1000 Jahren können Astrophysiker bei jeglicher Unbill abwinken: „Na ja, blöd gelaufen – aber hey!, wir haben die Gravitationswellen nachgewiesen!“ Und alle immer wieder so: „Yeah!“ Und wenn du dich genuin begeistern kannst über eine Entdeckung, der ein kosmisches Ereignis von vor 1,3 Milliarden Jahren zugrunde liegt, dann ist das Eskapismus de luxe, dann bist du sämtlichen irdischen Kontexten enthoben. Nicht so: „Jaaaaa! Wir sind Weltmeister!!!“ (äh, Sie erinnern sich?; ich weiß, schon fast 2 Jahre her …), aber dann fallen dir wieder die Dschungelstadien und die Fifa ein, und es macht keinen Spaß mehr.

Sich über Gravitationswellen freuen, ist vielleicht der letzte good clean fun in unserer Zeit, weil nichts von unserem zivilisatorischem Bockmist damit in Beziehung steht. Kein Krieg, kein Flüchtlingsleid, kein Terror, keine CSU, kein Artensterben, keine patriotischen Europäer, keine apokalyptische Umweltzerstörung, kein Krebs, kein Klimawandel, keine ungerechte Vermögensverteilung, auch kein „Menno! Vier Jahre haben wir auf die Neue von Hopsy & The Flopsies gewartet, und jetzt ist die totaler Mist!“ Ja, nicht einmal Leute, die einem ein schlechtes Gewissen machen wollen, weil man sich angesichts von Flüchtlingsleid und apokalyptischer Umweltzerstörung darüber aufregen kann, wie mistig die Neue von Hopsy & The Flopsies ist!

Kurz: Gravitationswellen sind nicht relativ super, sondern absolut. Und wo kriegt man so was noch?

ME