Protokoll

Ich habe mich auf einem Pub Crawl durch Berlin-Mitte gesoffen, damit Ihr es nicht müsst


Tourist in der eigenen Stadt: Als ME-Redakteur Fabian Soethof alte Freunde in seiner Wahlheimat Berlin empfing, zog er mit ihnen ein Programm durch, vor dem sich echte Berliner wohl nicht nur an Halloween gruseln würden. Er kehrte mit einem Kater, einer Geschäftsidee und folgendem Pubcrawl-Protokoll aus dem Parallel-Universum in die Redaktion zurück.

Freitagabend, 20:05 Uhr:

Hoffentlich sieht mich keiner. Die alten Freunde aus meinem Heimatdorf und ich stehen vor dem alten Postfuhramt, an einer vielbefahrenen Straßenecke in Berlin-Mitte. Neben uns warten zwei weitere Grüppchen auf den Start der Touristen-Tour durch das Berliner Nachtleben. Im Gegensatz zu den wartenden Prostituierten um die Ecke an der Oranienburger Straße haben die meisten von uns keinen blassen Schimmer, was uns in dieser Nacht erwartet. Ich wollte meinen Kumpels von früher ein Wochenende lang typisches Berlin bieten und mal Tourist in der eigenen Stadt sein. Bevor es losgeht, streichen zwei junge Frauen in rotem Outfit des Veranstalters unsere Namen von einer Liste und legen uns ein Armband an, mit dem wir „das ganze Jahr immer wieder mitmachen dürfen!“. Für jeden Teilnehmer habe ich 12 Euro bezahlt. Danach passiert erstmal: nichts.

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20:25 Uhr:

Hatte mit rund 20 Personen in der Gruppe gerechnet, zähle aber schon jetzt mehr. „Haut ab in die erste Bar!“, ruft ein Typ mit rotem Shirt und schickt uns in den „Silberfisch“. Zwei Minuten vorher noch war die gesichtslose Kellerkneipe mit Tanzbodenanschluss im Souterrain menschenleer. Jetzt irrlichtern erste Touristen auf der Suche nach Freigetränken in ihr herum. Aus den Boxen schallen 80er-Gassenhauer wie „The Very First Time“, „Gold“ und „She’s Like The Wind“. 20 Minuten später haben wir immer noch keine Ahnung, wie lange wir hier bleiben und was als Nächstes passieren wird. Suche den Kerl von vorhin auf, der immer noch am Postfuhramt 20 Meter weiter herumlungert. Mark, so heißt er, erklärt mir: Wir gehen in vier Bars und einen Club, sparen dort den Eintritt und kriegen überall einen free shot. Aha. Im „Silberfisch“ bleiben wir noch bis 21 Uhr, und wir heißt mittlerweile: 75 (!) zahlende Teilnehmer inklusive uns. Kaufen eine die zweite Runde Bier und müssen uns mit dem Saufen nicht beeilen: Die Reste füllen sie uns beim Ausgang einfach in Plastikbecher.

21:05 Uhr:

Touritraube auf dem Bürgersteig vorm „Silberfisch“. Endlich die erste offizielle Ansage von Mark. „We keep you warm, safe and drunk“, scherzt er, „wir sind Eure Mutter!“. Mark weiß offenbar um den schlechten Ruf der Sauftour, die er fünf Abende pro Woche durchführt (und dafür 8 Euro pro Stunde verdient, wie er mir später erzählt): „Eine Sache machen deutsche Autofahrer besonders gerne: Pub Crawls überfahren!“ Außerdem warnt er vor spontanen Drogenkäufen, die würden sich nicht lohnen: „Mein Kumpel Sam hat neulich einen großen Beutel Backpulver gekauft!“ Gelächter unter denen, die zuhören.

21:15 Uhr:

Auf dem Weg zur nächsten Bar. Smalltalk mit Mark. Mark ist Ende 20, Australier, wohnt seit rund einem Jahr in Berlin, in einer WG in Wedding. Drei bis fünf Abende pro Woche schmeißt er diesen Pub Crawl mit der immer gleichen Route. Was er tagsüber macht? Vielleicht studieren oder arbeiten? „Schlafen und chillen!“, antwortet er und lacht. Australian lifestyle.

21:22 Uhr:

Hackesche Höfe. Betreten eine Art Kellerclub namens N3. Bin mir sicher, dass die nun wirklich nur für unsere Gruppe aufgemacht haben und nach unserem vielleicht einstündigen Besuch wieder schließen werden. Es laufen Eiffel 65, Members of Mayday und „Macarena“, die Touristen nehmen das Tanzangebot auf der Stelle entgegen. Das Gesöff, das sie hier Gin Tonic nennen, kostet 7 Euro. Lasst das nicht die Hotel Bar in Kreuzberg erfahren! Immerhin gibt es – Angebot! – einen free shot zu jedem Longdrink. „Moment, Ihr seid vom Pub Crawl?“, fragt der Barkeeper rhetorisch. „Macht dann 7,50 Euro.“ Ob hier auch nur ein Teilnehmer wirklich glaubt, er lerne heute Abend „echte Berliner“ in den „coolsten Locations der Stadt“ kennen, wie es so viele Pub-Crawl-Anbieter behaupten?

21:40 Uhr:

Mark verrät auf Nachfrage: Klar, einige Läden zahlten seinem Arbeitgeber auch Geld dafür, dass sie regelmäßig trinkfreudige Kundschaft anschleppen, die sie sonst nicht haben. Mit jeder Minute und jedem Schluck Alkohol wächst die Geschäftsidee, die ich sogleich meiner Frau mitteile: So eine Gelddruckmaschine musst du auch gründen.

Pubcrawl Berlin
Von meinen kapitalistischen Plänen dürfte im heimischen Neukölln natürlich keiner wissen. Ich wäre verhasster als jeder Immobilienmakler.

22:20 Uhr:

Weiter Richtung Alexanderplatz. Erstmal ein paar Selfies vorm Fernsehturm, wann komme ich nachts schon nochmal hier her? Bitte lass’ uns nicht in diese Oase gehen. Bitte lass uns nicht in diese Oase gehen. Bitte lass uns… Oh, die Cocktailoase am Alex! Und wir dürfen an der Schlange vorbei direkt rein in die Bude und kriegen noch einen selbstgepanschten Kurzen aufs Haus! Toll! (Nicht.)

22:47 Uhr:

Sind vom Feeling her nun endgültig auf Malle angekommen. Schlimmer kann es nicht mehr werden, glaube ich. Der DJ spielt R’n’B von irgendeinem Möchtegern-The-Weeknd, ein kleiner und gut gelaunter Australier tanzt beindruckend mit einer langbeinigen jungen Frau, die wie Jessy von den No Angels aussieht. Das bisherige Highlight des Abends. In mir reift die angetrunkene Erkenntnis, dass Rihannas „We Found Love“ eventuell der beste Popsong dieses Jahrzehnts ist. Vielleicht saufe ich mir aber auch nur den Abend schön.

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23:14 Uhr:

„Gehen wir noch in einen guten Club heute?“, fragt jetzt sogar einer meiner alten Kumpel, vielleicht aber auch ich selber. „Glaube nicht. Wir sind Touristen!“, antworte ich, vielleicht aber auch einer von ihnen.

23:55 Uhr:

Weiter über den Alex. Smalltalk mit dem 20-jährigen Wout aus Belgien. Für vier Tage ist er in Berlin zu Besuch, hat über einen Flyer vom heutigen Pub Crawl erfahren. Warum er hier mitmacht und wie es ihm gefällt, frage ich. „Very nice“, antwortet er und ich bin mir nicht ganz sicher, ob er es ernst meint. Leute aus anderen Ländern treffen, das sei das Tolle daran. Heute habe er schon Pubcrawler aus Argentinien, Brasilien und den Niederlanden kennengelernt. Letztes Jahr hat er bereits an einem Pub Crawl in San Francisco teilgenommen. Und dass man auf solch einer Tour nicht viel vom berühmten Berlin mitkriege, ist ihm auch bewusst. Den aufgedrehten Tänzer von vorhin frage ich, wo er diese Moves gelernt hat und woher er all diese Energie holt. Er klopft mir väterlich auf die Schulter und gibt mir zu verstehen: „Das kannst du auch lernen, wenn du nur willst. Alkohol hilft da ungemein!“ Ich habe Meister Yoda im Kostüm getroffen!

00:24 Uhr:

Nächster Stopp: „Traffic“ und meine Einsicht: Es geht doch noch schlimmer.

Christian aus Stuttgart findet den Pub Crawl ab jetzt wirklich gut. „Weil man echt in Läden reinkommt, für die andere Leute Schlange stehen müssen.“ Zwei Fragen dazu:

  1. Wer will wirklich in der Cocktailoase Schlange stehen?
  2. Macht das denn die Läden besser? Nein, verdammt!

Der oder das „Traffic“ ist eine Art Club für nur auf dem Papier Erwachsene. Viele Leuchtstäbe, wenig Stil. Man twerkt zu Rihannas „Work“ oder bestellt sich in einer Sitzecke überteuerten Sekt im Kübel, während man mit seinen künftigen BWL-Kommilitonen oder wahlweise Klokoksern vergeblich versucht, cool und abgeklärt dreinzublicken. Die 19-Jährigen hier stehen gerade an der Weggabelung ihres späteren Lebens, und da scheint so ein Clubbesuch so normal wie traurig: Dieses „Traffic“ ist ein Laden, der so klingt, wie Sarah Joelle aussieht: übertrieben bunt und neonfarben, ein bisschen zuckerig und sehr sehr oberflächlich.

00:48 Uhr:

Gerade lief Panjabi MC, jetzt Gwen Stefanis „Hollowback Girl“. Hat die Jugend hier denn nicht mal eigene neue Musik?

01:15 Uhr:

Der krönende Abschluss des Abends muss mit einer S-Bahn erreicht werden, extra dafür hatte ich am Mittag BVG-Gruppentickets besorgt. Aber meine Dorffreunde wollen nun nicht mehr in einen Club – das „Matrix“ an der Warschauer Straße wäre es geworden und ich hätte es so gerne einmal von innen erlebt, um jugendliche Touristen weiter beobachten und vielleicht eines Tages verstehen zu können. Auch Mark und seine Kollegen können sie nicht mehr umstimmen, es ehrt sie aber, dass sie wirklich bemüht sind, die Gruppe beisammen zu halten. Wo wollt Ihr denn hin, frage ich angenervt, ich wollte das doch jetzt durchziehen. Ich traue meinen Ohren nicht: „In den Silberfisch!“ Versuche unsere Bauerntruppe über Umwege zum Hostel wenigstens noch in die „Ständige Vertretung“ zu lotsen (stellen gerade die Stühle hoch), stattdessen stoppen wir für ein Guiness im Irish Pub nebenan. Ist jetzt auch nicht besser oder schlechter als der „Silberfisch“, sage ich, kann aber keinen überzeugen. Es laufen die Chili Peppers und die Backstreet Boys aus der Jukebox. Sebastian: „Hätten wir nicht direkt zu Silberfisch gehen können? Da sitzt man nicht so langweilig herum wie hier!“. Ratet mal, wo die Hälfte unsere Gruppe schließlich hinging, die noch nicht ins Bett wollte.

Am nächsten Tag sollte unser straffes Touri-Programm übrigens unbeeindruckt weiter gehen: Segway Tour, Escape Game und Burgeressen standen auf dem Programm. Aber das ist eine andere Geschichte.