Iggy Pop – Lust zu leben


Beim Anblick seiner Bewegung, seiner Show, kommen Gelüste in mir auf, an die ich sonst nie zu denken gewagt hätte: "ich wollte ihm den Schweiß von seinem Körper lecken!" bekannte ein aufgepeitschter Iggy Pop-Fan. Iggy, von David Bowie unlängst aus der Versenkung gerettet, konfrontiert das Publikum in Hamburg und Berlin mit seiner Raw-Power-Show, einem rauen Rock-Happening, bei dem sich Akteur und Zuschauer gegenseitig aufpeitschten.

Vor dem Konzert in der Hamburger Markthalle, dem Auftakt zur Welttournee, flegelt Iggy mit offenem Hemd und zerrissenen Jeans auf dem Bett in seinem Hotelzimmer. Mit seinen fettigen, strähnigen Haaren und der Brille, die er ab und zu tragen muß, erinnert er mich an Jerry Lewis in „Der verrückte Professor“. Ich frage ihn, was er zu seinem neuen Image – „Vater des Punk“ – meint, das ihm die Medien verliehen haben: „Ich war der erste, den man ,Punk‘ genannt hat. Als Punkrocker wird man doch nur von der Presse bezeichnet, die diesen Begriff erfunden hat, um damit Geld zu machen – weil all die andere Musik heutzutage so beschissen und langweilig geworden ist, daß man daran nichts mehr verdienen kann.“

Heute, 1977, fast zehn Jahre, nachdem Iggy zum erstenmal mit seiner Band The Stooges in einem Detroiter Vorort auf der Bahne Amok gelaufen ist, erwarten die Leute von ihm dieselben zur Legende gewordenen Auftritte und natürlich auch die alten Songs („No Fun“, „I Wanna Be Your Dog“): „Was ich heute auf der Bühne mache, ist nichts anderes als zu jener Zeit. Damals waren die Leute aber noch nicht bereit für meine Sache, ich war sechs bis sieben Jahre zu früh dran! Was man heute von mir erwartet, ist nicht mein Problem, denn wenn man meine Musik nicht mag, kann man ja abhauen.“

Das taten denn auch viele, nachdem sie „The Idiot“ gehört hatten, Iggys erster in Zusammenarbeit mit David Bowie erstellter Longplayer: „Ich erwarte von den Leuten nicht, daß sie über Nacht aufgeschlossener werden, weißt Du, ich richte mich eigentlich überhaupt nicht nach ihrem Geschmack, denn wenn sie etwas gut finden, ist es schon fünf Jahre hinter der Zeit her. ,Fun House‘ z.B.: (,Fun House‘ ist das zweite Album der Stooges, es wurde 1971 veröffentlieht) war ein großer Reinfall, eine Katastrophe. Niemand konnte sich dafür begeistern, alle wollten immer wieder ,No Fun‘ hören (,No Fun‘ stammt von der ersten Stooges-LP, 1969). Der harte Sound des Albums war einfach zu viel für die Leute; vier Jahre später hat man es dann entdeckt.“

„Mein einziges Problem ist, nicht in Langeweile zu verfallen“, fährt Iggy fort. „Wenn das mal eintreten sollte, dann wird es Zeit, daß ich abhaue! Ich muß jetzt erstmal sehen, ob ich diese ganze Tour durchstehen kann! (Dies ist die bislang längste und wohl auch härteste Tour von Iggy; durch Kanada und Amerika geht es mit dem Bus, Australien, Neuseeland und Japan schließen sich an) „Nach jedem Auftritt muß ich mich erst wieder zurechtfinden, wieder runterkommen! Mein Problem ist nämlich, daß ich den Sprung von der Bühne nicht mehr schaffe, wenn ich mich zu sehr in den Auftritt ‚reinsteigere. Diese Tour ist für mich eine Art Wiederaufleben, ich will die Kraft haben sie auch durchzustehen. Man soll mir auch die Chance geben! Denn jedes Mal, wenn ich versucht habe, meine Pläne auf der Bühne zu verwirklichen, tauchte jemand auf, der sagte: Nein, das kannst Du nicht machen, unsere finanziellen Verhältnisse erlauben es nicht! Aber ich mache weiter, da kann mich keiner dran hindern!“

Iggys Stimme ist rauh und heiser, er redet sehr leise und lutscht ständig seine Wick-Hustenbonbons: „Ich spreche so leise, weil wir in Kopenhagen bei den Proben ,Shake Appeal‘ gebracht haben. Als ich das Stück damals bei den Aufnahmen zu ,Raw Power‘ gesungen habe, kriegte ich sieben Tage lang keinen Ton raus.“

Beim Konzert ist seine Stimme dann aber wieder voll da. Und die Band auch: Stacey Heydon, Gitarre; Scott Thurston, Gitarre und Keyboards; Tony Sales, Bass; Hunt Sales, Schlagzeug. Während auf Iggys vorangegangener England- und Amerika-Tournee der gesamte Sound durch David Bowies Keyboardspiel geprägt war, so konnte diesmal die komplette Band ihr Können unter Beweis stellen, obwohl es noch einige Probleme beim Aussteuern gab. Iggy brachte hauptsächlich Songs von seiner jüngsten LP „Lust For Life“, die Stooges-Klassiker „Raw Power“ und „I Wanna Be Your Dog“, den alten Mitch Ryder-Hit „Jenny Takes A Ride“, „4 Got A Right“ (ein Outtake der „Raw Power“-Sessions, der kürzlich vom ex-Stooges-Gitarristen James Williamson als Single veröffentlicht wurde), den Solomon Burke Titel „That’s How Strong My Love Is“ (den Iggy für sich umschrieb… ,who are we without illusions‘) und „Nightclubbing“, von „The Idiot“, das er während dieser Tour auf Deutsch singt: „Ich singe ein Lied über ein Spiel aus Berlin: Nacht-Spielen… Wir sind Nacht-Spieler.“ Iggy brachte seine Ansagen größtenteils in Deutsch, zu „Lust For Life“ sagte er: „Ich will kein Geld, ich will nur ein Lied singen! Haben Sie Lust für Leben?“

Lust „für“ Leben? Lust auf Iggy hatte das Publikum. Es drängelte sich dicht am Bühnenrand. „I Got A Right …..

Do Ya Feeeeeeeel It?“ Und ob sie es fühlten! Sie streckten die Arme raus, um Iggy zu berühren, zeitweise tauchte er fast in der Menge unter. Auf seine muskulöse Brust hatte er sich mit roter und blauer Farbe ein Muster gemalt. Das zerfloß jedoch schon während des ersten Songs und bildete mit seinem Schweiß zusammen ein rotes Gemisch, das aus einer Wunde zu tropfen schien. Zwischen den Songs muß Iggy immer wieder in die Ecke rennen, wo der Zettel mit der Reihenfolge der Songs liegt. Dann, bei „Nightclubbing“, kriecht er auf allen Vieren zum Bühnenrand und knutscht mit einem Mädchen. Ein fanatisch kreischender Fan packt Iggy am Bein und leckt ihm wie hypnotisiert das Farb-Schweiß-Gemisch von der zerfetzten Jeans.

Iggy: „Meine Bühnenshow ist von all den Leuten beeinflußt, von denen jeder was übernommen hat, auch wenn er es nicht zugeben will: Lou Reed, Mick Jagger, Gene Vincent, Jim Morrisons, Elvis Presley. Aber ich bin nicht fähig, irgendwas richtig zu bringen; wenn ich’s mache, dann ist es falsch, und so merkt niemand, daß ich z.B. auch von den Balladians und von Nijinski inspiriert bin. Von Mitch Ryder auch. Nichts besonderes. Keith Richard hat meine Musik stark beeinflußt. Und John Coltrane.“

Die letzten zwei Monate vor der Tour hat Iggy Pop in Malibu mit Proben und Schwimmen verbracht. „Wenn du da draußen allein im Meer bist, kann Dir niemand auf den Nerv gehen! Du bist mit Dir ganz allein, niemand sieht dich. Ich erledige meinen ganzen Kram allein! Keiner putzt mir die Schuhe, denn sonst würde ich wie ein Baby in der Wiege werden, wie ein Pop-Star, und dafür tauge ich ja nun wirklich nicht! Ich bin kein Pop-Star und will auch keiner sein! Ich versuche, meine Angelegenheiten unter Kontrolle zu haben, was Künstler meistens nicht bringen.

Könnte Iggy sich vorstellen, mit 40 noch so eine Show zu bringen? „Klar! Wenn ich es will! Das ist ja die einzige Sache, die ich wirklich beherrsche; ich habe zum Beispiel versucht, bei McDonalds ’nen Job zu kriegen, die haben mir aber gesagt, ich war zu alt und hätte nicht die richtige Ausbildung. Für ’nen Job am Fließband hat’s auch nicht gereicht, die meinten ich war zu klein! Und so bleibt mir nichts anderes übrig, als weiterzumachen.“