Interview mit Edgar Broughton


Nach seinem aufsehenerregenden Auftritt in einem deutschen Schuppen stand Edgar Broughton in einer Ecke des Saales und unterhielt sich aufgeregt mit den anderen beiden Mitgliedern der Gruppe. Eigentlich sah es ja so aus, als ob er eine Unterbrechung des Gesprächs bestimmt als lästig empfinden würde, aber es war uns doch sehr daran gelegen, speziell für unsere Leser ein Interview zu ergattern. So wagten wir es dann auch, ihm auf die Schulter zu klopfen und ihn um ein paar Minuten seiner kostbaren Zeit zu bitten. Seine Reaktion überraschte uns ein bisschen. Er lächelte nämlich ganz erfreut, brach das Gespräch mit seinen Kollegen sofort ab und meinte, wir sollten am besten mit ihm in seine Garderobe kommen, denn dort wären wir wenigstens ungestört. Das erste, was uns an ihm auffiel, war seine Höflichkeit. Als wir in dem Umkleidezimmer ankamen, bat er ein paar Fans, die sich darin aufhielten, freundlich, für einen Augenblick hinauszugehen und forderte uns dann auf, Platz zu nehmen. Nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte, grinste er uns an. „O.K. Schiesst los. Was wollt ihr wissen?“ Edgar, euer Auftritt hier heute abend war, wie beinahe jede eurer Veranstaltungen, wieder mal mit einer Menge Schwierigkeiten verbunden. Wie kommt es, dass es gerade bei euch immer so viel Trouble gibt?

Ja, das ist eine interessante Frage. Wisst ihr, es ist so: Wir haben mal gesagt, dass wir für Free Concerts sind. Wenn wir jetzt auf der Bühne stehen, werden wir regelmässig von den Fans mit der Frage konfrontiert: „Warum mussten wir Eintritt zahlen? Wir denken, dass ihr so gern umsonst spielt!“ Zum Beispiel in Hamburg, wo wir kürzlich spielten, ist uns das passiert. Die Fans waren unheimlich sauer, weil sie bezahlen mussten, um uns zu hören. Ich habe den Leuten dann ein paar Fragen gestellt. Ich hab gesagt: „Wer von euch allein von Luft und Liebe leben kann, der soll jetzt mal den Arm hochheben!“ – Kein einziger Arm ging hoch. Dann sagte ich: „Und jetzt sollen mal alle die den Arm hochheben, die für das, was sie tun, kein Geld akzeptieren!“ Wieder blieben alle Arme unten. Der Fall liegt also klar. Wir können nicht nur freie Konzerte geben, denn wie sollten wir uns sonst über Wasser halten? Heute abend kamen noch zusätzliche Probleme hinzu: Man hatte uns eine Gage von 5000,- DM versprochen. Wisst ihr, wieviel wir bekamen? Ganze 2300! Vielleicht hört sich das jetzt noch viel an, aber bedenkt mal, dass das durch drei geteilt wird. Und dann gehen davon ja schliesslich noch die Reise-, Hotel- und Verpflegungskosten ab und unsere Roadmanager wollen auch bezahlt sein. Nun rechnet euch mal aus, wieviel uns dann noch übrigbleibt! Ausserdem hatte man mir fest versprochen, dass die Eintrittskarten für die Fans heute abend nicht mehr als 5,- bis 8,- Mark kosten würden. Als ich herkam und sah, dass die Karten 15,- Mark kosteten und viele Leute vor der Tür standen, weil ihnen das zu teuer war, war ich natürlich wütend. So kommt eines zum anderen.

Wie ist das nun tatsächlich mit den Free Concerts? Seid ihr wirklich so davon angetan und wenn ja, wie wollt ihr sie realisieren?

Ja es ist gut, dass Ihr das fragt und mir ist sehr daran gelegen, dass möglichst viele Leute hier in Deutschland erfahren, wie ich darüber denke. Es ist wahr – wir glauben an Free Concerts. Wir finden es unheimlich dufte, umsonst für unsere Fans zu spielen und wenn sich das jetzt auch etwas unglaubwürdig anhört, so stimmt es doch! Das Problem ist nur, dass sich diese Idee so schrecklich schwer realisieren lässt. Logischerweise können wir nicht ausschliesslich gratis spielen, das leuchtet wohl jedem ein. Ausserdern können wir so eine Veranstaltung natürlich nicht selbst organisieren. Woran es uns fehlt, sind Veranstalter, die uns helfen, so ein Free Concert aufzuziehen. Dabei müssen selbstverständlich auch noch eine Menge Faktoren berücksichtigt werden. Wenn wir eine Tour durch die Bundesrepublik machen und beispielsweise in vier deutschen Städten spielen, könnten wir da vier normale Auftritte geben, damit wir unsere Unkosten heraushaben. Wenn wir dann, sagen wir mal, in Hannover sind, ginge es doch, dass wir einen Abstecher in eine nahegelegene Stadt machen und dort ein Free Concert geben. Die Reisekosten und so weiter könnten wir dann aus den Einnahmen der anderen vier Veranstaltungen decken. Von uns aus ist das durchaus drin. Was wir jetzt suchen ist ein Veranstalter, der von der Idee genauso begeistert ist, wie wir selbst. Fest steht, dass wir sobald wie möglich ein Free Concert geben werden. Wenn sich niemand findet, der uns dafür seinen Saal zur Verfügung stellt, wird sich eine andere Möglichkeit finden. Und wenn wir auf der Strasse spielen mussten!!!

Ihr redet Immer so viel von Free Concerts. Habt ihr denn überhaupt schon mal eines veranstaltet?

Natürlich, klar! Was meint ihr, wie oft wir in England umsonst spielen! Das ist ja nur hier in Deutschland so schwer, weil die Leute hier die Grundidee noch nicht akzeptiert haben. In England spielen wir regelmässig für Wohltätigkeitszwecke, zum Beispiel für Waisenkinder, Alkoholiker oder Rauschgiftsüchtige. Für Kinder spielen wir besonders gern. Manchmal bekommen wir einen Brief von einer Schulklasse. Die schreibt dann, dass sie uns so gerne mal hören möchte, aber dass es ihr an den finanziellen Mitteln fehlt. Na, dann fahren wir mal einen Nachmittag bei dieser Schule vorbei und spielen für die „kids“. Wir können ja dann abends immer noch einen normalen Auftritt geben und so doch unseren Lebensunterhalt verdienen, das gent doch! Aber das ist es eben – die Leute hier in Deutschland denken, wir reden immer nur leere Worte. Wenn die wüssten, wie oft wir in England unsere Idee in die Tat umgesetzt haben. Und da hat es sich ja bewiesen, dass sich die Idee grundsätzlich sehr wohl realisieren lässt. Warum soll das in Deutschland nicht möglich sein?

Was habt ihr für Ambitionen? Wollt ihr denn nicht auch mal reich sein?

Nein – auch wenn sich das wie eine abgedroschene Phase anhört, kann ich euch doch versichern, dass wir keineswegs vom sogenannten Reichtum träumen. Denn der wäre ja doch nur materiell und materielle Dinge bedeuten eben doch nicht totales Glück. Keiner von den drei Mitgliedern unserer Gruppe hat zum Beispiel ein Auto. Wozu auch?Nurweileszum sogenannten guten Ton gehört, ein Auto zu haben? Was ich mir für die Zukunft wünsche ist, dass sich unsere Platten mal so gut verkaufen, dass wir von den Tantiemen daraus leben können. Kein aufwendiges Leben, sondern ein Leben, so wie es alle anderen durchschnittlich begüterten Leute führen. Wir wollen auf keinem höheren Standard leben als unsere Fans. Wenn es uns mal gelingt, das mittels unserer Platten zu erreichen, dann ist es soweit, dass wir nur noch Free Concerts geben können. Und das werden wir tun, verlasst euch drauf!

Soweit zu unserem Interview mit Edgar Broughton. Während dieses Gespräches wurde unser Eindruck von „Edgar, dem Troublemaker“ weggewischt. Nichts erinnerte mehr an die energiegeladene Persönltchkeit, die wir von der Bühne her kannten. Von der Agression, die man im allgemeinen mit dem Namen Edgar Broughton in Verbindung setzt, war nichts zu spüren. Edgar sprach mit leiser, beinahe sanfter Stimme, er beantwortete alle Fragen klar und präzise und, wie es uns schien, sogar ehrlich. Wir hoffen, dass auch Eure Fragen, die Ihr Euch vielleicht im stillen betreffs Edgar Broughton gestellt habt, hiermit beantwortet sind. Wenn wir Glück haben, wird dies sogar von einem aufgeschlossenen Veranstalter gelese der bereit ist, Edgar bei der Verwirklichung seiner Idee zu helfen. Und, wer weiss, vielleicht können wir dann auch schon bald über das erste Free Concert der Edgar Broughton Band in Deutschland berichten?