Ist der Ruf erst ruiniert…


Albrecht Metzger hat die Nase voll. Der umstrittene Rockpalast-Moderator möchte nicht ewig für frühere "Sünden" büßen. Konstruktive Kritik, sagt er, wäre ihm lieber...

Montag früh ruft mein Kollege Brombacher vom Theater Rote Grütze an: Seine Tochter ist 11, spielt Saxohpon, hat die letzte Rocknacht gesehen und will jetzt wissen, was Rock’n’Roll ist. Er fragt, ob ich nicht eine C 90 für Gunilla machen kann. Ich freue mich und sage klar, denn für mich ist das ein Sinn meiner Arbeit beim Rockpalast, Leuten den R’n’R so vorzustellen, daß sie neugierig werden und sich anzünden lassen.

Mittags stellt Christian Wagner seine drei alten Taschen bei mir mitten ins Zimmer. Für eine Woche wird er bei uns wohnen, zwei RP-Produktionen im Berliner Metropol sind angesagt. Vor sieben Jahren hat mich Christian gefragt, ob ich seine Konzeption von Rockmusik im Fernsehen, die dann von Peter Rüchel als Rockpalast realisiert wurde, moderieren will. Ob ich Lust dazu habe.

Klar, wer hat nicht Lust, eine Rocksendung zu moderieren. Ich hatte ja beim TV schon eine Menge Sachen gemacht, ich spielte zu jener Zeit selbst in einer Rockband und war seit 1965 in jedes erreichbare Rockkonzert gerannt. Eine genaue Vorstellung von Moderation gab es damals nicht, nur eines war sicher: Da ich absolut keinen Ehrgeiz auf eine Moderatoren-Karriere im TV habe, konnte ich versuchen, die übliche Form der Moderation zu vermeiden und ganz normal und identisch mit mir selbst über die Gruppen zu erzählen. Diese Auffassung hat sich ja inzwischen als problematisch herausgestellt.

Abends setze ich Christian im Metropol ab, ich selbst gehe, wie jeden Montag, zum Grütze-Spiel. Das ist die wöchentliche Zusammenkunft aller Grütze-Mitglieder und da wird erzählt, gespielt, gestritten, gelacht, explodiert und neu erfunden. Ich habe in diesem höchst existentiellen freien Theater in vier Jahren die Anfänge der Schauspielerei gelernt und dabei eine Art zu leben, die meine Existenz völlig verändert hat.

Am Dienstag stehe ich wieder inmitten eines Berges von Cassetten und Bändern in meinem Zimmer. Seit Monaten arbeite ich an einer Originaltonreportage für das Radio. Thema: Der Sinn des Lebens. Das gibt einen Streifzug durch die Realität und den Alltag des Jahres 1981. An meiner Revox und mit meinem Mischpult versuche ich meine Sicht und meine Empfindungen dieses Irrsinns-Jahres zu geben. Dazu habe ich über ein Jahr Material gesammelt, aus dem Radio, auf Demos, im Gespräch mit Leuten, und diese Eindrücke verbinde ich mit Far-out-Musik und den Songs der neuen deutschen Gruppen.

Abends im Metropol dann David Lindley, es ist nicht ganz voll, aber die Insider haben vom ersten Moment an glänzende Augen. Ich werde natürlich wieder angemacht: „… dschörmen telewischen braudli brisänts!“ und mir platzt der lange, mühsam zugebundene Kragen.

Bei der ersten Rocknacht wußte niemand, wie das ausgehen würde, alle Beteiligten haben mit vollem Einsatz und Risiko gearbeitet. Nach der Nacht war ich mit einem Satz in aller Munde und die Peinlichkeit der Nation. Alle die etwas auf sich hielten, da waren Oberlehrer und Musterschüler traut vereint, genierten sich für mich, sozusagen in Kollektivscham. Denn die Deutschen lieben es perfekt, so ist ja auch der deutsche Anpasser der präziseste, und wenn sich jemand so hinstellt wie der Metzger, dann stört er beim Konsumieren, dann vermiest mir der Typ meine Rockmusik. Es ist etwas an meiner Art, das die Leute nervt. Aber nur bestimmte Leute. Nur bestimmten Leuten bin ich zu privat zu aufdringlich, zu offen, zu gefühlig. Ich bin nicht gestylt und man ist nie in Sicherheit vor mir.

Da gibt es Brüche, Unsicherheiten, Versprecher, und das mindert den Genuß. Scheiße. Scheißkonsum.

Ich habe Arbeit im TV, zumindest in den Bereichen, zu denen wir noch Zugang haben, immer gerade gegenteilig verstanden, das Glatte, das Perfekte zu durchbrechen. Coolness ist ja gerade wieder dran als letzter Schrei, die Maskerade, um unberührt und unbeschadet durch die beschissene Zeit zu kommen – hilfe, mein Spray ist alle.

In der ersten Rocknacht hatte ich unter meiner Begeisterung eine Schweineangst und man hat sie gesehen. Wenn ich heute Angst habe, kann es jeder auf dem Schirm sehen, weil ich nicht mehr versuche, sie zu verstecken. Aber das Zeigen der Angst nützt nichts, die Leute schauen nicht mehr hin. Manchmal denke ich, wir alle sind süchtig nach dem Super-Kompetenten, um unsere eigene Unzulänglichkeit zu vergessen, und mit den Autoritäten unseren Frieden zu machen. Denn wir sind daran gewöhnt, daß uns Autoritäten via Schirm sagen, wo’s langgeht. Ich habe den Eindruck, vielen Leuten fällt es immer schwerer, den eigenen Konsum in die Reihe zu kriegen. Damit wir uns recht verstehen, ich bin mit einigen Sachen, die ich abgeliefert habe, überhaupt nicht zufrieden. Live-Sendungen aber kann man nicht proben.

Als wir ins Metropol kommen, werde ich gleich in eine lange Diskussion verwickelt. Diesmal macht mich einer mit spitzem Finger für die seiner Ansicht nach völlig verfehlte Auswahl der Bands im Rockpalast verantwortlich. Prompt kriege ich die Verantwortung für alle Gruppen, die nicht gerade von heute sind, zugeteilt – die fortschrittlichen Sachen hat natürlich Alan ins Programm gebracht.

Das ist nun wirklicher Unsinn. Die Gruppen werden von Peter Rüchel und Christian Wagner ausgesucht und verpflichtet. Alan und ich sind die Moderatoren der Sendung. Das ist alles. Wir beide haben ein Vorschlagsrecht, wir reden und erzählen, beeinflussen dadurch und werden auch gehört. Unser Job aber ist, über die Gruppen Informationen zu vermitteln, damit sich der Zuschauer orientieren kann. Daß da auch Gruppen dabei sind, die zwar wichtig sind, deren Musik mich aber nicht vom Hocker reißt, ist klar. Ich stehe entweder loyal zu der Redaktionsentscheidung, oder lehne es ab, die Gruppe zu moderieren. Außerdem kann man sich ja noch streiten. Da sich der Rockpalast nicht an den Hitparaden orientiert, ist es für uns vier nicht besonders schwierig, einen Konsensus zu finden. Ich persönlich höre und interessiere mich seit drei Jahren intensiv für neue deutsche Musik und habe über diese Musik einen Film gedreht: 1 Punk 36.

Unsere Moderationen schreiben wir selbst. Manche Leute denken, uns würde genau vorgeschrieben, was wir zu tun hätten. Das habe ich noch nicht erlebt. Nach der ersten Rocknacht, als ich von SOUNDS in der Luft zerrissen wurde, hat ein Kölner Musikjournalist die Frage gestellt: „Wollt ihr einen Rock’n’Roll-Frankenfeld?“ Ich möchte diese Frage übernehmen und an Euch weitergeben. Ich halte es nicht länger aus, auf ein viereckiges Mattscheibenformat reduziert zu werden. Ich wünsche mir mehr inhaltliche Kritik an den Rockpalast-Moderationen und ich möchte, daß sich endlich etwas bewegt. Schreibt mir, wenn Ihr was sagen wollt.

Albrecht Metzger

Heckmannufer 8,1000 Berlin 36